Historiker Wiesekopsieker ordnet Bedeutung des Bismarckturms in Bad Salzuflen neu ein

Bad Salzuflen. Vor 125 Jahren ist der Bismarckturm in Wüsten errichtet worden. Dr. Stefan Wiesekopsieker, Historiker, Geschichtslehrer und Vorsitzender des Heimat- und Verschönerungsvereins Bad Salzuflen (HVV), spricht im Interview über Bismarcks vielschichtige Rolle, die Bedeutung des Turms für die Menschen damals und die Frage, wie man heute mit solchen Denkmälern umgehen sollte. Anlass für das Gespräch ist sein Vortrag &bdquo;Bismarck – Kluger Staatsmann oder Dämon der Deutschen?“ am Dienstag, 9. September, um 18.30 Uhr in der Buchhandlung Maschke, Osterstraße 48. Der Eintritt ist frei.

Herr Wiesekopsieker, war Bismarck eher genialer Staatsmann – oder doch eher &bdquo;Dämon der Deutschen“? Wie sehen Sie ihn?

Stefan Wiesekopsieker: Zunächst muss ich zugeben, dass ich den Titel meines Vortrags aus einem Geschichtsbuch für die Oberstufe übernommen habe. Ich glaube, dass diese gegensätzliche Aussage eine sehr treffende Beschreibung seines vielschichtigen Charakters ist. Insofern werde ich mich hüten, für die eine oder die andere Einschätzung, also &bdquo;Schwarz“ oder &bdquo;Weiß“, Partei zu ergreifen – das &bdquo;Grau“ in der Mitte ist vielleicht die richtige Beurteilung.

Warum entstanden überall in Deutschland Bismarcktürme – auch hier in Bad Salzuflen?

Stefan Wiesekopsieker: Nachdem 1871 endlich ein Deutsches Reich entstanden war – freilich durch eine &bdquo;Reichsgründung von oben“ –, war es wichtig, eine &bdquo;innere Einheit“ zu schaffen. Dafür benötigte man gemeinsame Symbole, wie etwa die Germania, gemeinsame Gedenktage wie den Sedantag am 2. September oder eben &bdquo;Helden“, die die Reichsgründung vorangebracht hatten. Hier eigneten sich Bismarck und natürlich vor allem Kaiser Wilhelm I., sodass in den Jahrzehnten des Kaiserreichs landauf, landab entsprechende Nationaldenkmäler entstanden – in der Hoffnung, dass sich Preußen, Sachsen, Bayern und Lipper gemeinsam darum versammelten.

Welche Bedeutung hatte der Turm damals für die Menschen vor Ort: Denkmal als Ort der Verehrung oder eher unpolitisches Ausflugsziel?

Stefan Wiesekopsieker: Die Verehrung Bismarcks stand zunächst sicher im Vordergrund – es fanden ja zahlreiche Bismarckfeiern dort statt. Nach dem Ersten Weltkrieg und insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg trat dieser Zweck zurück. Mehr und mehr wurde der Turm zu einem Ausflugsziel für Wanderer oder Schulklassen. Die politische Dimension ging verloren – &bdquo;Helden“ dieser Art waren nicht mehr gefragt. Dass allerdings auch schon früh die touristische Bedeutung des Turms erkannt wurde, zeigen die zahlreichen Ansichtskarten, die ab 1900 das Bauwerk abbildeten.

Spiegelt der Bau des Turms die politischen Stimmungen in Lippe um 1900 wider?

Stefan Wiesekopsieker: Auf jeden Fall! Die Mehrheit der Deutschen war kaisertreu und begeisterte sich für Bismarck, wenngleich er auch eine stattliche Zahl von Gegnern hatte. In Bad Salzuflen, Schötmar und Wüsten waren die Menschen seinerzeit bestimmt sehr stolz, dass es ihnen gelungen war, einen solchen Turm zu errichten. Damit konnten sie ihre Begeisterung und Vaterlandstreue zum Ausdruck bringen.

War die Verehrung Bismarcks in Lippe besonders ausgeprägt – oder eher ein Reichstrend?

Stefan Wiesekopsieker: Ich denke, die lag eher im Reichstrend. Die Städte hatten ihre Bismarckstraßen, zu Jubiläen gab es Festessen, an denen man teilnehmen konnte, die Buchhandlungen hielten patriotische Schriften und Ansichtskarten vor – das gab es überall.

Heute stehen viele Denkmäler in der Kritik. Muss man auch den Bismarckturm neu bewerten?

Stefan Wiesekopsieker: Indem wir uns kritisch mit der Person auseinandersetzen, bewerten wir auch das Denkmal neu. Das ist gut und richtig und sollte fortlaufend geschehen. An der Überschrift aus unserem Geschichtsbuch sehen Sie, dass wir das auch im Geschichtsunterricht tun. Mein Vortrag leistet vielleicht ebenfalls einen kleinen Beitrag dazu. Falsch ist es meines Erachtens, ein solches Bauwerk blindwütig abzureißen – man muss es erklären und in den damaligen Kontext einordnen.

Hatte Bismarck direkte Bezüge zu Ostwestfalen-Lippe – oder verehrte man ihn hier aus der Ferne?

Stefan Wiesekopsieker: Das war eher eine Fernbeziehung! Allerdings wurden auch von Lippe aus &bdquo;Wallfahrten“ nach Friedrichsruh, dem Alterssitz Bismarcks, veranstaltet. Es gab außerdem die gemeinsame Ehrenbürgerschaft der lippischen Städte für Bismarck – kurzum: auch hier das Übliche, aber keine Besuche in den lippischen Bädern oder dergleichen.

125 Jahre Bismarckturm: Welche Rolle kann er heute für Bad Salzuflen spielen?

Stefan Wiesekopsieker: Das Jubiläum hat den Turm wieder etwas mehr ins Bewusstsein gebracht, und zwar in vielerlei Hinsicht: als Ausflugsziel, als Ort des Sports und der Kommunikation – wenn wir etwa an den Bismarcklauf am 13. September denken –, als Denkmal im doppelten Sinne oder eben als Anlass zur Auseinandersetzung und Neubewertung. Künftig soll auch ein Schild am Turm die komplexen Zusammenhänge erklären.

Persönlich: Dr. Stefan Wiesekopsieker, 1964 in Schötmar geboren, ist seit Ende der 1990er Jahre Lehrer am Rudolph-Brandes-Gymnasium. Der promovierte Historiker steht seit 25 Jahren an der Spitze des Heimat- und Verschönerungsvereins Bad Salzuflen und veröffentlichte zahlreiche Arbeiten zur Regionalgeschichte. In seiner Freizeit sammelt er seit mehr als 50 Jahren Briefmarken.

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