Untergang der Johanniter-Rettungswachen in Lippe: Einige brachen in Tränen aus

Blomberg. Die dunklen Wolken über dem Johanniter-Standort in Blomberg scheinen dieser Tage ein stückweit sinnbildlich zu sein. Es war kein guter Jahresstart für die Hilfsorganisation im Kreis Lippe. Ende März musste der Johanniter-Regionalverband Lippe-Höxter mit Blomberg seine letzte Rettungswache in Lippe aufgeben. Dabei war gerade der Rettungsdienst in den vergangenen Jahren massiv ausgebaut worden. Doch seit 2022 wurde eine Rettungswache nach der anderen an den Kreis abgegeben. Über die Gründe gibt es unterschiedliche Auffassungen.

Bis Anfang 2022 betrieb der Regionalverband Lippe-Höxter der Johanniter-Unfallhilfe (JUH) drei Rettungswachen in Lippe, einen Intensivtransportwagen-Standort in Lieme, dazu einen Anteil am Notarztstandort in Detmold. Rund 60 überwiegend langjährige Mitarbeiter gehörten zum festen Kern. Doch plötzlich setzte ab Mai 2022 eine erste Kündigungswelle ein, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kehrten ihrem Arbeitgeber den Rücken. Ohne Personal aber lässt sich die notwendige Besetzung der Rettungswachen nicht aufrechterhalten.

Schlusspunkt am 31. März 2025 Den Schlusspunkt unter das Kapitel setzte der Kreis Lippe, als er zum 31. März 2025 eine außerordentliche Kündigung für den Betrieb der letzten Wache unter JUH-Regie in Blomberg aussprach. Die Johanniter sind raus aus ihrem Kerngeschäft. Dabei galten sie einst als Vorzeige-Organisation im Rettungswesen.

Wie konnte es so weit kommen? Der aktuelle Johanniter-Regionalvorstand der in Blomberg ansässigen Organisation lehnt Interviewanfragen der LZ zu dem Thema ab. Pressesprecherin Judith Suckow antwortet auf einen umfangreichen Fragenkatalog der LZ schmallippig. Darüber hinaus verweist sie auf die erste und einzige Stellungnahme vom 25. April zu der Kündigung der noch verbliebenen Rettungswache Blomberg am 31. März: Die Personalsituation sei sehr angespannt gewesen, wegen der Corona-Pandemie, wachsender (Hygiene-) Anforderungen sowie Mehrbelastung durch hohen Krankenstand und des branchenüblichen Fachkräftemangels, heißt es da.

Arbeiten im &bdquo;Paradies“ Dieser Darstellung widersprechen langjährige JUH-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter vehement. Ihre Version klingt anders. &bdquo;Wenn Sie mich vor drei Jahren gefragt hätten, ob ich mir einen anderen Arbeitgeber vorstellen könnte, hätte ich ,Auf keinen Fall gesagt“, erklärt ein Ehemaliger. Das Arbeitsumfeld sei tatsächlich &bdquo;ein Paradies“ gewesen – so wie der Straßenname des ehemaligen Standortes in Blomberg. Ausbildung, Fahrzeuge, Wachen, Team – alles sei perfekt gewesen: &bdquo;Kündigungen gab es nicht – höchstens, wenn mal einer wegzog.“

Die Zufriedenheit habe sich auch darin gezeigt, dass die Mitarbeiter der JUH treu blieben, obwohl andere Träger wie der Kreis Lippe besser zahlten: &bdquo;Wir waren eine eingeschworene Gemeinschaft.“ Ein anderer ergänzt: &bdquo;Wir waren selbst innerhalb der Johanniter-Organisation ein Vorzeige-Rettungsdienst.“

Stelle nicht wieder besetzt Das habe sich schlagartig nach dem Ausscheiden des Fachbereichsleiters Rettungsdienst im Frühjahr 2022 geändert. Bei dem langjährigen Mitarbeiter liefen bis dato die Fäden zusammen: Er koordinierte den Tagesablauf und die Ausbildung, führte Vorstellungsgespräche, nahm Einstellungen vor, führte die Wachleiter, beschaffte Fahrzeuge und Material. Eine Vollzeitbeschäftigung. Doch die Stelle wurde nicht wieder besetzt, fortan habe der damalige Regionalvorstand die Aufgaben übernommen.

Darüber können Insider nur den Kopf schütteln – sie sagen unabhängig voneinander: Es hätte mindestens einen aus dem Kollegenkreis gegeben, der sowohl fachlich als auch menschlich in der Lage gewesen wäre, die Position neu zu besetzen. Und: So eine Aufgabe könne man nicht nebenbei erledigen, heißt es unisono. Zudem sei der damalige Regionalvorstand völlig fachfremd gewesen. Auch er reagiert nicht auf die Fragen der LZ. Längst hat er einen anderen Aufgabenbereich innerhalb der Hilfsorganisation übernommen.

Warum brach der gut funktionierende JUH-Rettungsdienst wie ein Kartenhaus in sich zusammen? Nach Darstellung der Mitarbeiter habe es plötzlich an Vertrauen gefehlt. Anfangs hätten viele Kollegen noch versucht, die Situation zu retten: &bdquo;Wir haben immer wieder das Gespräch gesucht, Mails geschrieben – auch an den Landesvorstand in Köln“, schildert ein Betroffener. Man habe auf die Probleme hinweisen wollen und sich Hilfe erhofft. Genützt habe es nichts. Der Landesverband äußert sich gegenüber der LZ ebenfalls nicht, verweist an den Regionalverband.

Intensivtransportwagen aufgegeben Nachdem beinahe zwei Handvoll Mitarbeiter, unter ihnen viele Führungskräfte, kurz vor Ostern 2022 gekündigt hatten, teilte die JUH öffentlich mit, dass sie den Notarzt-Standort Detmold und den Intensivtransportwagen-Standort Lieme – ein im Kreisgebiet einzigartiges Fahrzeug – aufgeben würde. Der Kreis übernahm. &bdquo;Wir können unseren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen“, wird der damalige Regionalvorstand in der LZ zitiert – der Personalmangel im Rettungswesen wirke sich aus, Veränderungen etwa wegen Elternzeiten kämen hinzu.

Als Hohn empfinden die Ehemaligen die Begründung, denn aus ihrer Sicht habe eben keine normale Fluktuation zu der Situation geführt. Ein Beteiligter schildert den Tag, an dem eine Delegation des JUH-Landesverbands aus Köln anlässlich einer Mitarbeiterversammlung in Blomberg auftaucht. Es habe Würstchen gegeben, aber letztlich keine Harmonie: &bdquo;Wir Mitarbeiter haben versucht, die Probleme anzusprechen, doch wir wurden nicht gehört.“ Die JUH ist als Ordenswerk des Johanniterordens eine evangelische Hilfsorganisation. Ihm sei noch im Ohr, wie die Schilderungen der Mitarbeiter abgekanzelt worden seien: &bdquo;Das Kreuz steht über allem“. Die Situation sei eskaliert, einige Kollegen seien in Tränen ausgebrochen. Auch zu diesem Vorfall äußert sich die JUH nicht.

&bdquo;Wenn sie unsere Sorgen ernst genommen hätten, hätte ich meine Kündigung auf der Stelle zerrissen und hätte wieder mit ins Rad gegriffen“, sagt einer. Die Verbundenheit mit der Organisation sei zu dem Zeitpunkt immer noch groß gewesen.

Keine Hilfe vom Bundesvorstand Im Sommer 2022 arbeiten noch rund 50 Mitarbeiter an den drei verbliebenen Standorten in Blomberg, Schlangen und Bad Meinberg. Doch schon folgt die nächste Kündigungswelle. Natürlich seien gerade in der Anfangsphase auch neue Mitarbeiter hinzugekommen, doch die seien meist nicht lange geblieben, schildert ein Beteiligter.Die Führungsebene wird ausgetauscht, doch die Situation habe sich nicht gebessert. In ihrer Verzweiflung hätten Mitarbeiter sogar an den JUH-Bundesvorstand in Berlin geschrieben, um ihre Nöte mitzuteilen – Hilfe sei jedoch auch von dort nicht gekommen.

Die Vorwürfe werfen kein gutes Licht auf das Beschwerdemanagement der Organisation, doch Sprecherin Judith Suckow betont auf Nachfrage: &bdquo;Die Johanniter verfügen über ein professionelles Beschwerdemanagement, das strukturiert und mehrstufig aufgestellt ist, um eine möglichst niederschwellige und transparente Bearbeitung von Beschwerden, Anregungen und Lob zu gewährleisten – auf Regional-, Landes- und Bundesebene.“

Der Mitarbeiterstamm schrumpft weiter. Im Mai 2023 gibt die JUH bekannt, dass auch die Rettungswache Bad Meinberg an den Kreis übergeben werde. Als Grund wird erneut der Fachkräftemangel angegeben; und die Fokussierung auf die beiden verbliebenen Rettungswachen der Johanniter in Schlangen und Blomberg.

25 ehemalige Mitarbeiter gehen zum Kreis Der Kreis teilt derweil mit, inzwischen 25 frühere JUH-Mitarbeiter eingestellt zu haben. Denn für die übernommenen Wachen wird selbstverständlich auch Personal benötigt. &bdquo;Es war aber definitiv nicht so, dass der Kreis die Mitarbeiter abgeworben hat. Er hat sie aufgefangen, und das war richtig und weitsichtig. Schließlich waren das alles fachlich gut ausgebildete Kollegen, die sich in der Region auskennen“, betonen die Ehemaligen. Diese Fachkräfte ziehen zu lassen, wäre fahrlässig gewesen.

Knapp zwei Jahre kehrt scheinbar Ruhe ein. Doch hinter den Kulissen hätten sich die Kündigungen fortgesetzt, sagen die Ex-Mitarbeiter. Die JUH habe versucht, mit Leiharbeitern die Löcher in der Personaldecke zu stopfen. Suckow sagt: &bdquo;Im Gesundheitswesen und im Rettungsdienst ist – wie allgemein bekannt – Leiharbeit keine Dauerlösung, aber ein häufig genutztes Instrument zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs bei akuten Engpässen wie beispielsweise in Zeiten von hohen Krankheitsausfällen. Dabei unterliegen die Leiharbeitenden exakt denselben Qualifikationsvoraussetzungen wie alle anderen Mitarbeitenden auch.“

Dass diese kurzfristig eingesetzten Kräfte auch kontrolliert werden, beweist ein Vorfall, den Suckow bestätigt: Es seien bei einem Leiharbeitenden am ersten Arbeitstag nach wenigen Stunden Zweifel an seiner Qualifikation aufgekommen. Die Person sei umgehend außer Dienst gestellt worden. Nachdem sich der Verdacht auf Urkundenfälschung erhärtet habe, sei der Kreis Lippe informiert worden – Suckow: &bdquo;Dem Mitarbeitenden wurde fristlos gekündigt und durch uns Hausverbot erteilt. Ferner wurde Strafanzeige gestellt.“

Notfallrettung ist Teamarbeit Die Notfallrettung lebt von Teamarbeit, einer muss sich auf den anderen verlassen können. Selbst wenn die Qualifikation stimme, seien Leiharbeiter deshalb immer eine Belastung fürs Team, so ein Ex-Mitarbeiter: &bdquo;Wenn Sie ständig mit neuen Kollegen fahren müssen, die Sie nicht kennen, die sich auf dem Rettungswagen nicht auskennen und auch nicht in der Region – die nicht wissen, wo welcher Ort ist, und wo das Krankenhaus, dann ist die Verantwortung, die Sie tragen, immens hoch.“ Die Situation habe daher noch mehr alte Kollegen veranlasst, sich einen neuen Arbeitgeber zu suchen – und der war unter anderem mit dem &bdquo;Bevölkerungsschutz des Kreises Lippe“ nicht weit.

Noch ist der Untergang nicht erreicht, doch er naht. Zum 1. Februar 2025 kündigt der Kreis Lippe der JUH den Vertrag über die vorletzte verbliebene Rettungswache in Schlangen – &bdquo;wegen Nichterfüllung“. Immer wieder sei es in der Vergangenheit vorgekommen, dass die Rettungswache Schlangen verwaist gewesen sei und der Kreis mit Sanitätern habe aushelfen müssen, heißt es auf LZ-Anfrage aus dem Kreishaus. Wieder teilt die JUH mit, sie wolle sich nun &bdquo;auf die einzige verbliebene Rettungswache in Blomberg konzentrieren“. Dass ihr diese besonders am Herzen liegt, ist verständlich: Schließlich befindet sich in Nachbarschaft der erst vor wenigen Jahren neu gebauten Rettungswache am Diestelbach die neue, geräumige JUH-Geschäftsstelle für den Regionalverband Lippe-Höxter.

Am Ende ist aber auch dieser Standort nicht mehr zu halten. Erneut spricht der Kreis eine außerordentliche Kündigung aus, diesmal zum 31. März 2025: &bdquo;Vertraglich vereinbarte Pflichten und Maßnahmen, die unter anderem wesentliche Qualitätsstandards und Sicherheitsvorgaben betrafen, wurden aus Sicht des Kreises nicht eingehalten oder umgesetzt“, begründet der Kreis auf LZ-Anfrage.

Gründe nicht nachvollziehbar &bdquo;Wir haben die Kündigung des Kreises Lippe zur Kenntnis genommen, auch wenn wir die genannten Gründe nicht nachvollziehen können“, äußerte sich der JUH-Regionalverband gut drei Wochen später in der Stellungnahme, die Judith Suckow anlässlich der aktuellen LZ-Recherche erneut verschickte.

Die Ehemaligen indes wundert die Entwicklung und Einschätzung des Kreises überhaupt nicht – schließlich seien der JUH die Mitarbeiter scharenweise davongelaufen, am Ende seien nur noch eine Handvoll von vormals rund 60 alten Kollegen in der Organisation verblieben.

Inzwischen ist der Kreis Lippe für fast alle Wach-Standorte in Lippe zuständig; lediglich Detmold wird von der Feuerwehr betrieben, Lage und Oerlinghausen von den Maltesern. Die früheren JUH-Mitarbeiter sind gut untergekommen. Viele sind zum Kreis gewechselt, der auch die Ausbildung der Azubis übernommen hat; manche zu anderen Trägern in der Region, beispielsweise nach Höxter oder Paderborn. Notfallsanitäter sind gefragtes medizinisches Fachpersonal.

Dennoch treibt sie die Frage um, wie sich die im Rettungswesen in Lippe bestens aufgestellten Johanniter innerhalb weniger Jahre so ins Abseits katapultieren konnten. Eine Antwort bleibt ihnen die Hilfsorganisation schuldig. &bdquo;Und ich habe mal gedacht, ich würde bei den Johannitern in Rente gehen...“, seufzt ein Mitarbeiter mit Blick auf die Zeiten im &bdquo;Paradies“.

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