Nach Geburtenstopp in Herford: Lagenserin erlebt Babyglück auf Umwegen in Detmold

Detmold/Herford. Weil es nicht genug Hebammen gibt, hat das Klinikum Herford die Reißleine gezogen. Die Kreißsäle sind geschlossen. Die Folgen dieses Personalmangels bekam eine junge Mutter aus Lage ganz direkt zu spüren, die kurz vor der Geburt weggeschickt wurde.

Die Lagenserin Gulia Pietza kommt hochschwanger nach Herford. Die Wehen sind in vollem Gange. Sie hat Schmerzen und stellt sich mental bereits voll auf die bevorstehende Geburt ein. Im Klinikum Herford sagt man ihr, es sei höchste Zeit, dass sie in den Kreißsaal komme. Die Geburt kann kommen, alles ist vorbereitet. &bdquo;Für mich war eigentlich klar, es ist jetzt bald soweit", sagt die junge Frau.

Doch dann kommt alles anders. Von einer Ärztin bekommt sie zu hören: Zum Wohle des Kindes wolle man sie jetzt lieber in eine andere Klinik überstellen. Probleme beim Personal würden diesen Schritt erforderlich machen. Ein Satz, den sie als werdende Mutter so kurz vor der Geburt nicht hören will – &bdquo;das war ein regelrechter Schock für mich."

Sanitäter sichern sich ab Ihr wird gesagt, sie solle sich schnell für eine Alternative entscheiden. Gemeinsam mit ihrem Freund trifft sie eine Wahl: das Klinikum Lippe. &bdquo;Bei allem was in Herford schief gelaufen ist, hatte ich schon Sorge, mein Freund müsse mich da jetzt hochschwanger hin fahren", sagt sie. Dieses fahrerische Abenteuer bleibt dem Paar jedoch erspart. Ein Rettungswagen bringt sie nach Detmold - trotz der Vorbehalte der Sanitäter: &bdquo;Die wollten nämlich erst einmal von einem Arzt bestätigt haben, dass sie mich überhaupt transportieren dürfen."

Grund für die späte Ablehnung der werdenden Mutter war der allgemeine Personalmangel bei den Hebammen in Kombination mit Krankheitsfällen. Das Klinikum Herford habe sich den Schritt nicht leicht gemacht, musste jedoch die Notbremse ziehen. Die Kreißsäle mussten geschlossen werden. &bdquo;Wir haben in den letzten Tagen mehrfach abgewogen, was wir tun", sagt Pflegedienstleiter Bastian Flohr: &bdquo;Aber wir kommen um diesen schmerzhaften Schritt nicht herum, denn wir wollen für niemanden ein Risiko eingehen."

Dr. Luttkus: "Ein Worst-Case-Szenario" Für die knappe Personalsituation kann Guilia Pietza sogar Verständnis aufbringen: &bdquo;Wenn da zu wenig Hebammen sind, dann ist das nun einmal so. Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass ich rechtzeitig darüber informiert werde und nicht so kurz vor der Geburt."

Dass es grundsätzlich zu wenige Hebammen gibt, kann auch der Chefarzt der Detmolder Frauenklinik bestätigen. &bdquo;Wenn es da mal zeitgleich Ausfälle gibt, kann es zu solchen Problemen kommen. Eine Verlegung so kurz vor der Geburt ist aber schon ein Worst-Case-Szenario", sagt Dr. Andreas Luttkus. Nach deutschem Recht habe eine Mutter ein Recht auf eine Hebamme. &bdquo;Keine Geburt sollte ohne sie geschehen", sagt Dr. Luttkus.

"In Detmold habe ich mich direkt besser gefühlt" Gulia Pietza kann sich mit ihrem Partner dann doch noch über das Babyglück freuen - wenn auch auf Umwegen: Jolina erblickt schließlich am Mittwochmorgen um 6:49 Uhr das Licht der Welt. &bdquo;Und das war auch höchste Zeit", sagt Dr. Luttkus. Das Kind war zwölf Tage über den Termin. Für Guilia Pietza nimmt die Geschichte damit eine positive Wendung. &bdquo;Als ich hier in Detmold angekommen bin, habe ich mich direkt besser gefühlt", sagt die junge Mutter. &bdquo;Hier wurde sich um mich gekümmert und ich wurde sofort gut betreut." Einige Stunden nach der Geburt wirkt sie entspannt, als sie das 3520 Gramm schwere Kind in den Armen hält.

Im Klinikum Herford gab es im vergangenen Jahr 1505 Entbindungen – es ist damit eine der größten Geburtsstationen in OWL. Im Herforder Mathildenhospital waren es 717. Im Klinikum Lippe gab es im Jahr 2017 2067 Geburten. Mütter, die in Herford entbinden wollten, müssen sich derzeit eine andere Klinik suchen. Die Kreißsäle sind hier erst einmal bis zum Montag, 3. Juni geschlossen. Solange ist das Klinikum von der Versorgung abgemeldet.

Kritik an der Akademisierung Der Bundesärztepräsident Frank-Ulrich Montgomery hat die geplante Akademisierung unter anderem der Hebammenausbildung scharf kritisiert. Deutschland ist das einzige Land in der Europäischen Union, in dem Hebammen nicht an den Hochschulen ausgebildet werden. Um einer EU-Richtlinie zu entsprechen, müsste der Gesetzgeber hier eigentlich handeln und eine Änderung auf den Weg bringen. Es sei jedoch zu befürchten, dass eine Akademisierung den akuten Mangel an Hebammen vor allem in den Kreißsälen noch verstärken werde, sagt Montgomery. &bdquo;Wir brauchen die Hebammen am Bett und nicht in der Verwaltung", sagte der Ärztepräsident. Kritik übte er gleichzeitig an der Ausbildungsreform für Psychotherapeuten. &bdquo;Absolventen der neuen Studiengänge dürfen psychisch Kranke behandeln, obwohl sie in der Ausbildung kaum praktische Erfahrungen gesammelt haben. Das ist unverantwortlich", kritisiert Montgomery.

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