Heribert Prantl: "Wir müssen für die Zukunft kämpfen"

Detmold. &bdquo;Heimat in flüchtigen Zeiten" – darüber hat Professor Dr. Heribert Prantl am Donnerstagabend im Landestheater gesprochen. Die Volksbank Detmold hatte zu ihrem Trendforum eingeladen. Die LZ nutzte die Gelegenheit für ein Gespräch mit dem Journalisten, der viele Jahre der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung angehört hatte.

Herr Professor Prantl, zentrales Thema und erstes Wort Ihres Vortragstitels ist &bdquo;Heimat". Verblasst das Geschehen hier vor der heimatlichen Haustür nicht angesichts des globalen Chaos?

Heribert Prantl : Ja, die Weltlage ist katastrophal. Es jagen sich die Ereignisse in einem Rhythmus, dass einem schwindlig wird.

Weil wir sie auch immer schneller und unreflektierter mitbekommen.

Prantl : Da gibt es den wahnsinnigen Trump, in London ist ein verrückter Narziss an der Regierung... Das Gefühl der Entheimatung kommt auch davon, dass die Menschen sagen: Auf nichts ist mehr Verlass, weltweit nicht, und bei uns hier auch nicht.

Was bedeutet für Sie Heimat?

Prantl : Für mich sind nicht nur Vereine Heimat, sondern Heimat ist Politik. Wie kommt Arbeit und Leben im Dorf so zusammen wie in der Stadt? Wie wird Wohnraum bezahlbar? Auch eine Lokalzeitung repräsentiert Heimat.

Auch wir müssen sehen, welche Ereignisse angesichts weltweiter, fundamentaler Unsicherheiten überhaupt noch relevant für unsere Leser sind.

Prantl : Wenn Sie es aber gut machen, decken Sie Defizite von Heimat auf und helfen, diese zu beheben. Denn: Was Trump an Lügen verbreitet, kann ich überall lesen. Mit Ihrer lokalen Exklusivität müssen Sie wuchern.

Nun haben viele Zeitungen, zuweilen auch wir, mit einem Verlust an Glaubwürdigkeit zu tun.

Prantl : Das stört mich nicht. Ich gehe davon aus, dass die Leute erlesen und erfahren, dass wir uns bemühen und nicht irgendwas behaupten.

Sie schreiben seit 33 Jahren für die demokratischen Grundrechte, den Rechtsstaat. Jetzt ziehen Sie Bilanz: Es ist alles übel draußen. Haben Sie für die Katz geschrieben?

Prantl : Ich höre oft: Mensch Prantl, Sie schreiben seit 33 Jahren übers Asylrecht und jetzt diese Stimmung in Deutschland. Wir müssen Demokratie immer wieder lernen und immer wieder dafür werben. Man darf nicht so tun, als ob die Zukunft feststeht und einfach auf uns zukommt. Tut sie nämlich nicht. Sie schaut so aus, wie wir sie in diesem Moment gestalten. Die Zukunft ist nicht schon da, so dass wir deswegen &bdquo;zukunftsfähig" werden müssten.

Wie stehen Sie denn zur Friday-for-Future-Bewegung, die für eine bessere Zukunft kämpft?

Prantl : Ich finde das ganz wunderbar. Wir haben viele Jahre lang darüber geklagt, dass die jungen Leute unpolitisch sind. Jetzt sind sie es nicht mehr, und da kommt diese Art von Überheblichkeit etwa eines Christian Lindner, der da sagt, von Klimapolitik verstehen die ja nichts. Wir müssen das Engagement erst nehmen.

Bleiben wir bei der Zukunft. Die &bdquo;Süddeutsche" analysiert, die AfD wolle eine andere Zukunft, ein &bdquo;anderes Land". Sind unsere Grundfeste wirklich in Gefahr? Wenn eine Partei kommt, die bei Landtagswahlen jede vierte Stimme holt?

Prantl : Es sind immer noch drei, die anders wählen. Ich bin besorgt, aber nicht panisch. Aber: Sowohl wir Journalisten als auch die demokratische Gesellschaft muss sich mehr anstrengen, mehr erklären. Viele Sorgen der Menschen sind ja nachvollziehbar. Die digitalen Veränderungen etwa sind massiv und machen vielen Angst. Aber die Demokratie muss Überzeugungsarbeit leisten. Sie hat ganz andere Bewährungsproben überstanden: Die RAF-Morde etwa, und die NPD saß in vielen Landtagen.

Ja, nur kurze Zeit. Aber der Erfolg der AfD verstetigt sich. Sie ist angekommen.

Prantl : Nun, der Osten macht mir da große Sorgen. Aber ich glaube, der Höhepunkt des extremistischen Populismus im Westen ist vorbei. Die Art und Weise des Auftretens des neonazistischen &bdquo;Flügels" etwa ist den Leuten zu heftig.

Welche Strategien haben Sie denn gegen Populismus?

Prantl : Demokratische Leidenschaft, Grundrechts-Begeisterung. Und: Man darf den Populismus, den ich lieber populistischen Extremismus nenne, nicht überbewerten. Man darf nicht so tun, als drehe sich alles um die AfD. Horst Seehofer hat diesen Fehler lange gemacht. Seine Hysterie in der Flüchtlingspolitik war Wasser auf die Mühlen der AfD. Er hat quasi Wahlkampf für diese Partei gemacht. Und: In jeder Talkshow sitzen AfD-Leute. Man muss sie ernst nehmen, aber man darf nicht übertreiben. Allein die Tatsache, dass an Sonntagabend ein AfD-Mensch im Fernsehen sagen darf, man solle auf Flüchtlinge schießen dürfen, adelt solchen Unsinn.

Aber solche Aussagen sind doch entlarvend.

Prantl : Ach, das ist so eine Geschichte. Nicht jeder empfindet das so, die Entlarvungs-These teile ich nicht. Ich gebe denen ein gigantisch großes Forum, doch es gibt in einer Talkshow kaum die Zeit, zu argumentieren. Ich nehme die AfD-Leute ernst, doch vor allem die Wähler, die auf sie reinfallen. Das Gespräch mit dem Wähler ist mir viel wichtiger als das mit der AfD. Wir müssen mit den Menschen reden, Vorurteile widerlegen – etwa, dass Flüchtlinge so viel Geld bekommen. Das ist unser Job als Journalisten: Wir bedienen eine Anti-Vorurteils-Maschine. Wenn die Rechtsaußen schäumen, sollen sie schäumen. Es geht um Fakten. Die Art und Weise beispielsweise, wie Flüchtlingspolitik hysterisiert wurde, ist entscheidend für die hohen Prozentzahlen der AfD vor allem im Osten.

Wir reden 30 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch von West und Ost.

Prantl : Im Osten hat sich bis auf die Jahreszeiten alles verändert. Nichts mehr hatte Geltung, was den Menschen jahrelang Sicherheit gegeben hatte. Automatisch war alles im Osten schlecht.

Da sind wir wieder beim Thema Heimat.

Prantl : Die Menschen im Osten haben tatsächlich Entheimatung erlebt. Man muss sich mal vorstellen, wir selber hätten das so mitbekommen. Aber noch mal: Die Zukunft ist nicht automatisch schon da. Wir müssen für sie kämpfen: Der Bänker, der Lehrer, der Journalist. Daraus setzt sich eine gute Demokratie zusammen.

Gegen die provinzielle Depression Jeder zehnte Einwohner Deutschlands könne Brot und Milch nicht mehr zu Fuß einkaufen, weil der nächste Laden zu weit entfernt sei. In vielen Dörfern und Städte verrotteten die Ortskerne &bdquo;als sei der Buchsbaumzünsler nicht nur in die Vorgärten, sondern auch in viele Klein- und Mittelstädte eingefallen" – eindrucksvoll hat Professor Dr. Heribert Prantl am Donnerstag aufgezeigt, was zu tun ist, damit die Heimat Heimat bleiben kann. Öffentliche Verkehrsanbindungen müssten funktionieren, Schulen zu Mittelpunkten des Miteinander- und- Voneinander-Lernens werden. Medizinische Betreuung und Pflege neu konzipiert und schnelle Datenleitungen gelegt werden, damit die Arbeit kraft des digitalen Wandels wieder aufs Land komme. &bdquo;Der Kampf gegen den populistischen Rechtsextremismus ist ein Kampf gegen die provinzielle Depression."

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