Nachbarn sammeln Geschichten über die Bewohner der "Friedrichshöhe"

Detmold-Heiligenkirchen. Ein nachbarschaftliches Projekt mit diesem Umfang dürfte in Deutschland selten sein. Die Projektgruppe "Friedrichshöhe" hat innerhalb von zwei Jahren ein stattliches Archiv über ihr Villenviertel zusammengetragen. Die "Zeitzeugenberichte, Geschichten und Anekdoten der Bewohner der Friedrichshöhe sind auch in einer Kurzfassung als Buch erhältlich.

Das Archiv enthält Erzählungen über viele der rund 120 Häuser am Büchenberg seit dem Baubeginn vor 120 Jahren. Dazu wurde das digitale Friedrichshöhen-Archiv angelegt. Es umfasst 72 Dokumente auf 522 Seiten mit Lebenserinnerungen oder historischen Fotos und Zeichnungen sowie 22 Dokumente mit Video- und Audioaufnahmen mit einer Abspieldauer von mehr als 400 Minuten. Vor einem Jahr war bereits ein Bildband über die 124 Gebäude der Friedrichshöhe fertig gestellt worden.

Die Idee dazu hatte Dr. Hans-Joachim Keil. "Bei Gesprächen mit Nachbarn tauchten immer mal wieder interessante Geschichten auf", erzählt er. Zu schade, um sie nicht mit anderen zu teilen. Es bildete sich die Projektgruppe mit Dr. Hans-Joachim Keil, Dr. Oliver Arnhold, Dr. Immo und Angelika Niebel, Christoph Pompe und Dr. Katharina Schmidt.

Ein Musikstudent in einer Erdhöhle Stadtarchivarin Dr. Bärbel Sunderbrink informierte zu Beginn über die Recherchemöglichkeiten im Stadtarchiv und stellte Dokumente zur Verfügung. In den folgenden zwei Jahren entstanden fast 100 Geschichten. Darunter historische Fotoalben, Schmalfilme aus den 50er Jahren, Fernsehberichte und Videos über Prominente in der Friedrichshöhe, Familienerzählungen, Kindheitserinnerungen, berufliche und politische Werdegänge von Bewohnern, Berichte über Strafprozesse und Tagebücher mit Berichten über die Erlebnisse im Bunker beim Einmarsch der Amerikaner in Heiligenkirchen.

Die "Villenkolonie" Friedrichshöhe entstand ab 1900 mit Häusern im unteren Bereich. Friedrich Pieper, dem alles gehörte, verkaufte nach und nach Grundstücke, erzählt Hans-Joachim Keil. "Ausländer" kauften sie zunächst, damals betuchte Nicht-Lipper, um hier ihre "Sommerfrische" zu verleben. Nach und nach wurde der ganze Hang bebaut. Auch kuriose Geschichten finden sich. Etwa die von einem Musikstudenten, der Anfang der 50er-Jahre in einer Erdhöhle ohne Licht und Wasser hauste und den Kindern des Viertels Musikunterricht gab. Familien hätten den jungen Mann mit Essen versorgt, erzählt Angelika Niebel. Ein hier lebender Arzt entwickelte das Milchpulver für die Firma Humana . Sein Kind wurde für die weltweite Werbung fotografiert.

Oder die Geschichte von der jungen Frau, deren Vater verhindern wollte, dass sie den Jungbauern des Teuthofes, der gegenüber dem Büchenberg liegt, heiratet. Die junge Frau aber schaffte es und arbeitete anschließend die Geschichte des jahrhundertealten Hofes auf.

"Sittengemälde" der Zeit Über das Leben der "prominenten" ehemaligen Nachbarn recherchierte das Team umfangreich in Familienarchiven, Büchern, im Internet und auf Youtube. Da einige Nachbarn während des sogenannten "Dritten Reichs" aktiv an der verhängnisvollen europäischen Vernichtungs- und Kriegsgeschichte mitgewirkt hatten, entstand ein "Sittengemälde" eines 120 Jahre alten Stadtquartiers mit unmittelbaren Bezügen zur deutschen Zeitgeschichte. So hatte Gauleiter Dr. Alfred Meyer während der Zeit des Naziregimes an der Friedrichshöhe seine Residenz. Christoph Pompe beeindruckte die damalige gelebte Nachbarschaft. Während des Krieges lud man sich gegenseitig zum Musizieren ein. In den 70er-Jahren habe es zahlreiche Aufführungen mit Kindern gegeben - bis alles einschlief.

"Das Besondere an unserem Projekt ist, dass Nachbarn für Nachbarn geschrieben haben", resümiert Dr. Keil. Selbst ehemalige Bewohner, die weggezogen sind, beteiligten sich. Besonders sei auch, dass es sich um ein multimediales Projekt handelt, so Pompe. Aus der digitalen Version der Kurfassung können über Links alle Dokumente aufgerufen werden. Mit Hilfe einer Datenbank kann nach Personen, Grundstücken und Ereignissen recherchiert werden. Die Kontakte und historischen Rundgänge haben dazu geführt, dass die Nachbarschaft stärker zusammengerückt ist und viel über schöne, aber manchmal auch traurige Erlebnisse früherer Generationen erfahren hat.

Führungen durch das Villenviertel Die Projektgruppe "Friedrichshöhe" bietet zwei Rundgänge durch die ehemalige Villenkolonie Friedrichshöhe für Interessierte an. Der erste Rundgang findet am Freitag, 4. November, um 15 Uhr durch die Friedrich-Pieper-Straße statt. Der zweite am Samstag, 5. November, um 15 Uhr durch die Straße Friedrichshöhe. Treffpunkt ist an beiden Tagen die Einmündung der Straße Friedrichshöhe in die Friedrich-Pieper-Straße in Heiligenkirchen. Teilnahmegebühr jeweils 4 Euro. Vor den Gebäuden werden die Geschichten der damaligen Bewohner erzählt.

Das Buch "Zeitzeugenberichte, Geschichten und Anekdoten der Bewohner der Friedrichshöhe", dessen Druck der Heimatverein Heiligenkirchen bezuschusst hat, gibt es zum ermäßigten Preis von 8 Euro (regulär 10 Euro). Die Käufer erhalten damit kostenlos Zugriff auf die 100 Geschichten im digitalen Archiv. Weitere Infos bei Dr. Keil, Tel. (05231) 469553 und unter www.regionalanalysen.de.

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