Abriss vs. Erhalt: In diesem Detmolder Gebäude wurden Tausende Lipper geboren

Detmold. Mehr als 31.000 Kinder sind zwischen 1920 und Ende der 1960er Jahre im Entbindungsheim Petri-Stiftung an der heutigen Behringstraße 48 geboren worden. Eines von ihnen ist die Tochter von Christel Grote, die dort 1969 zur Welt kam. Die Mutter erinnert sich noch genau an das Heim, die Atmosphäre. Und spricht sich nun, da das Haus abgerissen werden soll, mit Gesine Niebuhr und Stadtarchivarin Dr. Bärbel Sunderbrink dafür aus, dass es erhalten wird.

Grote und Niebuhr waren beide jahrzehntelang im Verein &bdquo;Frauengeschichtsladen“ aktiv, der sich 2019 auflöste. Ziel sei es gewesen, Frauengeschichte in den Fokus zu rücken – das hatte auch Stadtarchivarin Bärbel Sunderbrink zum jüngsten Tag des Denkmals im Sinn. Denn gerade Frauen kämen in der Historie immer wieder zu kurz, sagt sie. Unter anderem ging sie deshalb auf die Geschichte der Petri-Stiftung ein – ein &bdquo;symbolischer Ort der Frauengeschichte in Detmold“, sagt sie – weil sie als eine der ersten neu geschaffenen Einrichtungen der jungen Demokratie gelten könne.

Gegen die Säuglingssterblichkeit 1891 war Medizinalrat Dr. Justus Petri an die lippische Regierung herangetreten, um &bdquo;aus hygienischen Gründen“ eine Einrichtung zu schaffen und die Klinikgeburten auf problematische Fälle zu beschränken. Um die Säuglingssterblichkeit zu reduzieren, sollten Wöchnerinnen so nicht mit ansteckenden Krankheiten in Berührung kommen. Aus finanziellen Gründen lehnte die Regierung das Projekt jedoch zunächst ab.

Petri aber ließ nicht locker und sammelte Geld – kurz vor seinem Tod 1903 erwarb er das Gelände und ließ ein repräsentatives Gebäude entwerfen. Doch der Bau des Entbindungsheims hatte bei der Regierung keine Priorität, sie verzögerte den Baubeginn – Hintergrund war die drohende Konkurrenz zum Landkrankenhaus, das auf die Einnahmen der Geburtshilfe nicht verzichten wollte.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs kam es schließlich doch zum Bau – allerdings wurde die Fassade deutlich schlichter realisiert, so Sunderbrink. 500.000 Mark kostete das Ganze, die Inneneinrichtung wurde zum Großteil von der Bevölkerung gespendet und stammte aus Detmolder Möbelfabriken.

Im September 1920 wurden die Bauarbeiten beendet, im Juni hatten die Erben von Justus Petri, Clemens Petri und Mediziner Dr. Walter Petri, die Stiftungsurkunde unterschrieben. Hauptziel der Einrichtung wurde es, Frauen aus Detmold und dem Umland für die Zeit der Entbindung Hilfe sowie während des Wochenbetts Ruhe und Pflege zu gewähren. Walter Petri wurde Geschäftsführer und leitender Arzt.

Frauen und Säuglinge wurden zunächst durch freie Schwestern betreut, von 1929 bis 1954 übernahmen die Schwestern des Diakonissenhauses, was einen günstigen Betrieb des 25-Betten-Hauses ermöglichte. Nach Konflikten endete die Zusammenarbeit jedoch 1954.

Mehr als 1000 Kinder pro Jahr Das erste Kind in der Petri-Stiftung wurde am 24. September 1920 geboren. Je nach finanziellen Möglichkeiten konnten die Schwangeren unter drei Klassen wählen, die sich in Belegungszahl und Ausstattung der Zimmer unterschieden. Auf Wunsch konnte ein eigener Arzt konsultiert werden. Der größte Teil der Geburten wurde aber von Hebammen ohne Arzt betreut.

Die Geburtenzahl steigerte sich kontinuierlich, bis Anfang der 1960er Jahre regelmäßig mehr als 1000 Kinder pro Jahr hier geboren wurden. &bdquo;Damit ist die Petri-Stiftung der Ort, an dem die meisten Kinder aus dem ehemaligen Detmolder Kreisgebiet zur Welt gebracht wurden“, sagt Bärbel Sunderbrink.

Christel Grote jedenfalls ist die Geburt ihrer Tochter und der Aufenthalt bis heute positiv im Gedächtnis. Sie erzählt von einem größeren Raum, Kabinen, Stellwänden. Vier gebärende Frauen seien dort gleichzeitig untergebracht gewesen. Das sei alles andere als unangenehm gewesen. &bdquo;Es war eine Gemeinschaft, man war nicht allein“, erinnert sie sich. Sie habe sich umsorgt und gut betreut gefühlt. Ihr Sohn sei zwei Jahre später im Klinikum geboren worden. &bdquo;Das habe ich ganz anders empfunden, der weiß gekachelte Raum, ich lag allein. Es war sehr unpersönlich“, erzählt sie.

1972 stellte die Familie Petri das Haus der Lebenshilfe zur Verfügung, um es als Wohnstätte für Menschen mit Behinderung umzubauen. Heute gehört das Haus nach wie vor der Petri-Stiftung, die unter dem Dach der Lebenshilfe beheimatet ist. Aktuell sind dort 24 Bewohner untergebracht, teilt die Lebenshilfe mit. Trotz der Bedeutung für die Geschichte Detmolds steht das Haus nicht unter Denkmalschutz. &bdquo;Das kann man durchaus hinterfragen“, meint Sunderbrink. Einen Vorstoß dazu hatte es schließlich gegeben.

Kein Erhaltungsgrund nach Denkmalschutzgesetz Die Untere Denkmalbehörde der Stadt habe bereits vor drei Jahren die &bdquo;hohe ortsgeschichtlichen Bedeutung“ der Petri-Stiftung zum Anlass genommen, die beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) angesiedelte Denkmalfachbehörde um eine Einordnung des Denkmalwertes zu bitten, teilt die Stadt mit. Der LWL kam jedoch zu dem Schluss, dass trotz der Bedeutung kein Erhaltungsgrund im Sinne des Denkmalschutzgesetzes gegeben sei.

&bdquo;Grund dafür ist, dass das Gebäude in den vergangenen Jahrzehnten durch Umbauten starke Veränderungen erfahren hat.“ So seien Architekturoberfläche und andere fest zum Gebäude gehörende Ausstattungsstücke aus der Zeit vor 1956 weitgehend verloren. Zwar spiegele sich die historisch bedeutsame Nutzung und die Funktionsweise noch im Relief über dem Eingang wieder, lasse sich aber im Inneren &bdquo;nicht mehr anhand des Bestandes nachvollziehen“.

Dass das Gebäude Historie und Bedeutung für die Stadt habe, will Markus Fischer, Pressesprecher des LWL, nicht abstreiten. &bdquo;Wenn ein Gebäude als Denkmal eingetragen werden soll, muss die geschichtliche Bedeutung jedoch an der vorhandenen Substanz abgelesen werden können“, sagt er.

Der Plan ist nun, das Gebäude langfristig abzureißen: Stattdessen soll hier ein Gästehaus für das Klinikum entstehen. Mit der Lebenshilfe ist eine inklusive Zusammenarbeit mit den Menschen mit Behinderung geplant – so hatte es die LZ bereits 2020 berichtet. Das sei nach wie vor aktuell. Allerdings habe sich der Zeitplan wegen der vielen Baustellen rund ums Klinikum deutlich verschoben, sagt

Christian Ritterbach, Pressesprecher des Klinikums. Vier bis fünf Jahre werde es wohl noch dauern, bis das Gästehaus entsteht.Auch die Familie Petri habe den Abriss abgesegnet. Zudem wolle man über Elemente oder Infotafeln später an die Geschichte des Hauses erinnern. Bärbel Sunderbrink hätte sich gewünscht, man hätte im Bestand gebaut und das Gebäude wegen seiner Einmaligkeit erhalten. Ob es dafür noch eine Chance gibt? &bdquo;Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt Christel Grote.

Diakonissenhaus mit Bedeutung für die Frauengeschichte Gegenüber des früheren Entbindungsheims Petri-Stiftung steht das ehemalige evangelische Diakonissenhaus von 1899 an der Hofstraße. &bdquo;Gemeinsam mit dem Entbindungsheim und dem Landkrankenhaus war es eng verzahnt. Die drei bildeten eine Einheit für Detmold“, sagt Gesine Niebuhr vom früheren &bdquo;Frauengeschichtsladen“. Nun stehen die Zeichen auch hier auf Abbruch – dabei habe das Gebäude ebenfalls eine wichtige Bedeutung für die Frauengeschichte der Stadt, betont Stadtarchivarin Dr. Bärbel Sunderbrink.

Die ersten Schwestern kamen 1899 von der Diakonissenanstalt Sarepta, die zu Bethel in Bielefeld gehörte. Bis 1914 traten 112 junge Frauen ins Haus ein – viele kamen aus ländlichen Gegenden und waren meist zwischen 20 und 30 Jahre alt, weiß Sunderbrink. Im Haus lebte man in einer Art hierarchischem Familienmodell. Die Oberin verstand sich als &bdquo;Mutter“, der Pfarrer übernahm die Vaterrolle, die &bdquo;Töchter“ waren die Schwestern. Nach einer siebenjährigen Probezeit, in der die pflegerische Ausbildung sowie die theologisch-diakonische Vorbereitung stattfanden, wurden die Diakonissen eingesegnet.

Schnell übernahmen die Diakonissen die Betreuung in Kleinkinderschulen, die Pflege in Kranken- und Siechenhäusern sowie die Arbeiten in Gemeindepflegestationen. &bdquo;Das Diakonissenhaus bot auch Frauen, die nicht heiraten konnten, eine gute Möglichkeit, versorgt zu sein und einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen“, sagt Niebuhr. &bdquo;Sie bekamen hier eine gute Ausbildung.“ Zudem fand hier die Versorgung der Schwestern im Alter statt.

Frauen durften nicht selbst entscheiden Aber: Es gab auch Schattenseiten. &bdquo;Denn die Frauen durften nicht selbst bestimmen, was sie tun wollen“, erklärt Sunderbrink. Sämtliche Frauen im Diakonissenhaus erhielten zudem keinen Lohn, sondern lediglich ein Taschengeld. Vor allem in den 1920er und 30er Jahren traten viele Frauen in die Diakonissengemeinschaft ein, in der Nachkriegszeit sank die Zahl jedoch – nach 1960 blieben sie ganz aus. Die letzte Einsegnung fand 1968 statt. Insgesamt kamen in all der Zeit 436 Frauen ins Mutterhaus.

Das Gebäude enthält bis heute zur Röntgenstraße hin den bescheidenen Gründungsbau von 1898. Dieser wurde in mehreren Bauphasen erweitert. Bis 1914 war der Komplex fertig. Der rückwärtige Saalbau im Hof wurde 1929 angefügt. Neben den Wohnräumen der Diakonissen waren dort ein Kinderheim und ein Siechenhaus untergebracht.

1977 wurde das alte Mutterhaus verkauft, der Kreis übernahm das Gebäude der Pflegevorschule sowie das Mutterhaus und nutzte es für pflegerische Zwecke. Heute gehört das Gebäude dem Klinikum.

Ein Erhalt ist nicht vorgesehen, stattdessen soll es für Flächen weichen, die für Forschung und Lehre als Erweiterung der Universitätsklinik dienen sollen, erklärt Klinikums-Pressesprecher Christian Ritterbach. Wann es abgerissen werden soll, ist aber Zukunftsmusik, noch gebe es weder Baupläne noch konkrete Zahlen.

Auch das Diakonissenhaus erfüllt nach Auffassung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) trotz seiner ortsgeschichtlichen Bedeutung keine Voraussetzungen, um als Denkmal eingestuft zu werden. Grund dafür ist nach Angaben der Stadt unter anderem, dass &bdquo;die ursprünglichen räumlich-funktionalen Zusammenhänge nur noch eingeschränkt ablesbar sind“. Dies liege auch daran, dass bei Sanierungen erhebliche Teile der &bdquo;wandfesten Ausstattung“ verlorengegangen seien.

Trotzdem liegt der Erhalt des Gebäudes den Frauen des ehemaligen &bdquo;Frauengeschichtsladens“ am Herzen. &bdquo;Es wäre wichtig, dass hier etwas passiert“, betont Niebuhr.

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