Begatalbahn: Von Tunneln, Kunstwerken und Abschiedsfahrten

Nordlippe. Mit der aktuellen Untersuchung zur Reaktivierung der Begatalbahn rückt auch die mehr als 100-jährige Geschichte des Schienenstrangs wieder in den Fokus, der früher bis Hameln reichte und so eine durchgehende Verbindung zwischen Bielefeld und der Rattenfängerstadt bot. 1896 wurde die Strecke zwischen Lage und Barntrup in mehreren Teilstücken eröffnet, 1897 folgte der Abschnitt bis Hameln. 83 Jahre später wurde der Personenverkehr eingestellt: Am 27. September 1980 fuhr der letzte Personenzug. Doch die Gleise bis Barntrup sind noch da, und mit den aktuellen Zahlen, nach denen die Wiederaufnahme des Schienenverkehrs wirtschaftlich wäre, rückt auch die Geschichte der Begatalbahn in den Fokus. Wir beleuchten die Historie in fünf Schlaglichtern.

Die Eröffnung 1896 bringt Aufschwung Manchmal braucht es einen langen Atem: Bevor 1896 der erste Zug fuhr, waren 16 Jahre mit Planung und Bau vergangen. "Die Vorgeschichte begann Anfang der 1880 Jahre", erklärt Jürgen Scheffler. Der ehemalige Lemgoer Museumsleiter hat zusammen mit Jochen Brunsiek bei einer "Erzählwerkstatt" zur Begatalbahn mit der Volkshochschule und dem Kulturstellwerk Nordlippe Erinnerungen der Menschen gesammelt (www.kulturstellwerk-nordlippe.de). Mit der Eröffnung der "lippischen Sekundärbahn" war das Ziel erreicht. Unter anderem erlebten die Lippische Thonwarenfabrik und die Sand- und Thonwerke in Dörentrup mit dem Bahnanschluss einen sagenhaften Aufschwung.

In Lemgo hatte es eine Diskussion über die Bahnhofsfrage gegeben: "Braucht man einen oder zwei Bahnhöfe? Bekommt Brake einen eigenen?", referiert Scheffler. Diskutiert wurde ebenfalls, ob in Lemgo ein Bahnhof im Norden oder im Südwesten der Stadt gebaut werden sollte. Wie es kam, ist bekannt: Die Bahnstrecke wurde am südlichen Stadtrand entlanggeführt, der Bahnhof entstand deshalb im Südwesten - und Brake bekam einen eigenen. Interessanterweise wurde der Abschnitt Lage-Bielefeld als Letztes eröffnet - erst im Jahr 1902.

Weserbrücke und Klüttunnel Dass es nach der Eröffnung des Abschnitts bis Barntrup 1896 noch ein Jahr dauern sollte, bis die Züge auch nach Hameln rollen konnten, hat seine Gründe: Kurz vor dem Zielbahnhof waren noch Hindernisse zu überwinden - ein Berg und der Fluss. Der Tunnel durch den Klütberg sollte gebaut werden, ebenso die Brücke über die Weser. 316 Meter lang war (und ist) der Klüttunnel, gemeinsam mit der 370 Meter langen Weserbrücke wurde er am 30. Oktober 1897 eingeweiht.

Beide Bauwerke gibt es noch. "Die Brücke sollte mal ganz weg", weiß Jürgen Scheffler. 2005 gab es entsprechende Pläne der Deutschen Bahn. Die Brücke steht seit 1989 unter Denkmalschutz. Bis 1996 konnten auf ihr noch Fußgänger und Radfahrer die Weser überqueren. 2021 wurde der Beschluss gefasst, die Brücke nach Möglichkeit für Fußgänger und Radfahrer wieder in Betrieb zu nehmen. Auch der alte Klüttunnel existiert weiter. Er ist gesperrt und dient als Refugium für Fledermäuse. Bei den Gleisen sieht es anders aus: Ein Teil des Schienenstrangs zwischen Barntrup und Hameln wurde 1985 abgebaut, der Rest folgte 1995.

Als in Dörentrup 1945 Kunstwerke aus einem Zug verschwinden Im Jahr 1945 verknüpfen sich das Leben des berühmten westfälischen Malers Peter August Böckstiegel (1889 bis 1951) und die Geschichte der Begatalbahn zu einer Art Kriminalfall: In den Wirren der letzten Kriegsmonate war in Dörentrup ein Güterzug gestrandet. Er stand im März 1945 drei Wochen lang auf dem Zufahrtsgleis zur damaligen Lippischen Thonwarenfabrik und wurde irgendwann geplündert. Der aus Werther stammende Böckstiegel hatte in den 20er und 30er Jahren in Dresden gelebt und hatte dort ein Atelier, weiß Jürgen Scheffler. In den 40er Jahren Jahren kam der Maler zurück nach Werther und wollte sich 1945 Bilder aus Dresden kommen lassen. Die Kunstwerke waren in diesem Zug - und sollten nie ankommen.

Böckstiegel reiste im Juni 1945 nach Dörentrup und fand am Zug einige seiner privaten Gegenstände. Die Kunstwerke waren aber weg. Aus seinem persönlichen Archiv ist eine Verlustmeldung über sieben Koffer erhalten, die in Dörentrup, "wo 12 Gepäckwagen abgestellt wurden", ausgeraubt worden seien. Das Dokument ist im Archiv des Böckstiegel-Hauses Werther erhalten geblieben und vom Leiter David Riedel für das Kulturstellwerk zur Verfügung gestellt worden. Böckstiegel gibt unter anderem an, dass 20 Aquarelle verschwunden seien. "Heute würde man für ein Böckstiegel-Aquarell eine ordentliche Summer zahlen", sagt Scheffler. Klar ist: Zu der Zeit gab es eine ganze Menge Plünderungen, nicht nur in Dörentrup. Die Menschen waren sicherlich in erster Linie auf der Suche nach Nahrungsmitteln und wurden vermutlich in den Gepäckwagen auch fündig. Die Böckstiegel-Werke sind hingegen bis heute verschollen.

Die 60er Jahre: Der Bahnhof als "Abenteuerspielplatz" Der Vater von LZ-Mitarbeiter Reinhold Sölter war Fahrdienstleiter im Bahnhof Bega. Anfang der 60er Jahre fuhr Reinhold Sölter als Kind nach der Schule oft von Humfeld, wo die Familie wohnte, mit dem Fahrrad zum Bahnhof, um seinen Vater zu besuchen. Der Bahnhof Bega war sein "Abenteuerspielplatz", schildert Reinhold Sölter bei der Erzählwerkstatt zur Begatalbahn. Aufgabe seines Vaters war es nicht nur, im Stellwerk Weichen und Signale zu stellen und Schranken zu bedienen, sondern auch, Fahrkarten zu verkaufen. Allerdings konnte er sich um die Tickets nicht kümmern, wenn ein Zugpaar nahte - Bega war damals Kreuzungsbahnhof und soll es im Falle einer Reaktivierung wieder werden.

Dann sprang oft der Sohn ein: Reisende, die kurz vor knapp kamen und noch eine Fahrkarte brauchten, erhielten diese von Reinhold Sölter - im Zug wäre es deutlich teurer gewesen, erinnert sich Sölter. "Die Fahrgäste des Bahnhofs Bega waren fast alle ,Stammkunden', kannten also auch mich. Deshalb habe ich immer mal wieder ,Spätreisenden' noch kurz vor Eintreffen ihres Zuges eine Fahrkarte verkauft, wenn mein Vater durch den Zugbetrieb keine Zeit mehr hatte. Die Karte mit dem gewünschten Zielort aus dem Fahrkartenschrank nehmen, stempeln und Fahrpreis kassieren – Fahrkarten verkaufen war eigentlich ,kinderleicht'."

Der letzte Zug am 27. September 1980 Winkende Menschen stehen in den Bahnhöfen, viele machen Fotos: Der letzte Zug auf der damaligen Kursbuchstrecke 204 startet am 27. September 1980 um 13.50 Uhr in Lage. Unter den Passagieren im letzten Zug ist Dr. Rudolf Hüls, heute bekannt als Mitglied des Fahrgastverbands "Pro Bahn" OWL. Er beschrieb seine Erlebnisse damals in einem Bericht für die LZ.

Vorn ist der Doppel-Triebwagen "mit grünem Zweigwerk geschmückt", wie Hüls es formuliert. Es ist voll, an den meisten Bahnhöfen drängen sich die Menschen, um den nostalgischen Augenblick mitzuerleben. Die meisten Fahrgäste, so schildert Hüls seine Beobachtungen, kaufen beim Schaffner im Zug nur die Hinfahrkarte - zurück geht's ja nicht mehr. Wer mit diesem Schienenbus nach Hameln fährt, muss irgendwie anders zurückkommen. In Barntrup dann eine weitere Besonderheit: Eine Bläsergruppe spielt ein Abschiedslied. Dem Schaffner und dem Zugführer ist spätestens jetzt anzumerken, dass ihnen der Moment nahegeht, schreibt Hüls. Und: "Große Anteilnahme in der Bevölkerung, Musikkapelle - Barntrup scheint zu wissen, was ihm der Schienenverkehr bedeutet hat."

In Aerzen steigen Anhänger der damals jungen Partei der Grünen zu und verteilen Flugblätter, die vermuten lassen, dass ein Kostenstreit zwischen Stadt Hameln und Deutscher Bundesbahn über die Sanierung der Eisenbahnbrücke über die Weser der Grund für die Einstellung des Personenverkehrs ist. Tatsächlich sind Recherchen zu der Frage, wer die Stilllegung damals eigentlich angeordnet hat, bislang ergebnislos geblieben, weiß Bahnfachmann Jochen Brunsiek.

Die letzten Meter: Es geht durch den Klüttunnel und über die Weser. Wie im damaligen LZ-Bericht nachzulesen ist, hieß es am Endbahnhof: "Hameln, hier Hameln. Dies war der letzte Zug aus dem Lipperland!". "Ich wünschte, er hätte Unrecht", erlaubt sich Hüls am Schluss eine persönliche Anmerkung. Was den Abschnitt zwischen Lemgo und Barntrup angeht, scheint ein Neuanfang in Sicht.

Tag der Schiene Die Geschichte der Begatalbahn ist auch Thema einer Aktion des Kulturstellwerks Nordlippe zum Tag der Schiene am Samstag, 16. September. Im Europawaggon werden Ergebnisse der Erzählwerkstatt gezeigt, außerdem ist ein Film über den ehemaligen Bundesbahner Klaus Müller und seine Arbeit am Barntruper Bahnhof zu sehen. Zugleich werden Pläne zur Zukunft der Begatalbahn diskutiert. Der Waggon hält um 11 Uhr in Barntrup, um 14 Uhr in Bega, um 16.30 Uhr in Dörentrup und um 19 Uhr in Farmbeck.

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