„Aaron ist ein Geschenk“: Extertaler Familie über den Alltag mit einer seltenen Krankheit

Extertal-Bösingfeld. &bdquo;Ihr Kind hat eine Behinderung" - ein Satz, der wohl allen frischgebackenen Eltern den Boden unter den Füßen wegreißen würde. Vor allem, wenn lange Zeit überhaupt nicht klar ist, um welche Erkrankung es sich überhaupt handelt. So haben es auch Nicola und Johannes Gottschick erlebt. Ihr inzwischen 12-jähriger Sohn Aaron wurde mit dem Pelizaeus-Merzbacher-Syndrom geboren, einer Erkrankung der weißen Hirnsubstanz. Aaron kann nicht laufen, nicht sitzen oder sprechen. Er ist rund um die Uhr auf Pflege angewiesen. Im Gespräch erzählt die Familie, wie ihr Alltag aussieht, wie sie gelernt haben, die Diagnose anzunehmen und was ihnen Halt gibt.

&bdquo;Uns war schon kurz nach der Geburt klar, dass etwas nicht stimmt", wirft Nicola Gottschick einen Blick zurück. Sie und ihr Mann hatten da bereits zwei ältere Söhne, wussten also, wie sich Babys verhalten, wie sie sich normalerweise entwickeln. &bdquo;Aaron hat sich wenig bewegt, seine Augen haben oft geflackert und seine Hände hatte er nach außen gedreht", erinnert sich die dreifache Mutter, die selbst gelernte Kinderkrankenschwester ist. Also ging das Paar mit seinem neugeborenen Sohn zur Neurologin.

Auch Epilepsie wurde diagnostiziert &bdquo;Im MRT wurde dann bereits festgestellt, dass kaum weiße Substanz im Hirn vorhanden ist", erzählt Johannes Gottschick. Ein Bluttest habe schließlich ergeben, dass es sich um eine Leukodystrophie handelt, eine genetisch bedingte Erkrankung, bei der das die Nerven umgebende Myelin nur unvollständig ausgeprägt ist oder im Laufe der Zeit abgebaut wird. Außerdem wurde eine Epilepsie diagnostiziert.

Ein Schock für die Familie, denn von da an ist klar: Aaron wird nie ein eigenständiges Leben führen können. Kurz habe auch im Raum gestanden, dass ihr Sohn taub sein könnte, erinnert sich Johannes Gottschick. Doch obwohl die Familie nie genau weiß, was in Aarons Kopf vor sich geht, sind sich alle sicher: Er bekommt mehr mit als viele denken. Und so ist er auch bei allem dabei, was bei Familie Gottschick den Tag über ansteht.

&bdquo;Morgens wird Aaron vom Fahrdienst abgeholt", erzählt Nicola Gottschick. Der 12-Jährige besucht die Topehlen-Schule der Stiftung Eben-Ezer in Lemgo, eine Förderschule an der auch Kinder mit einem besonderen Betreuungsbedarf unterrichtet werden. Eine Schulbegleiterin kümmert sich während dieser Zeit um ihn. &bdquo;Sie ist auch medizinisch ausgebildet", erzählt Johannes Gottschick. Immerhin muss sie Aaron auch Medikamente geben und seine Magensonde und das Absauggerät kontrollieren, das seinen Speichelfluss reguliert. &bdquo;Für den Nachmittag ist Aaron von der Schule befreit", sagt Johannes Gottschick. &bdquo;Das wäre zu anstrengend für ihn."

Großer Familienzusammenhalt Zwei Mal die Woche besucht eine Krankengymnastin die Familie. Regelmäßig stehen außerdem Besuche bei der Neurologin in Minden an, bei der sich die Familie gut aufgehoben fühlt. &bdquo;Es ist schön, jemanden zu haben, der Aaron und sein Krankheitsbild schon lange kennt", sagt Johannes Gottschick. &bdquo;Neue" Ärzte müssten sich oft erst selbst über die Erkrankung informieren, so selten ist diese.

Was der Familie Halt gibt, ist vor allem die Familie. &bdquo;Niemand hat Berührungsängste, Aaron ist immer dabei, wird von allen liebevoll umsorgt. Wir erfahren viel Zuspruch und Hilfe." Auch ihr christlicher Glaube habe den Gottschicks die Stärke gegeben, ihre Situation anzunehmen. &bdquo;Wir fragen nicht nach dem Warum", sagt Johannes Gottschick. Aaron sei ihnen anvertraut worden, dafür seien sie dankbar.

Dankbar sind Nicola und Johannes Gottschick aber auch, dass ihnen, wie sie erzählen, von der Krankenkasse bisher wenig Steine in den Weg gelegt worden seien. Inzwischen konnte die Familie auch einen Anbau an ihr Haus realisieren, in dem Aaron barrierefrei versorgt werden kann, inklusive Pflegebett und höhenverstellbarer Badewanne. Im Verein &bdquo;ELA" (Europäische Vereinigung gegen Leukodystrophien) hat die Familie andere Betroffene kennengelernt, mit denen sie sich regelmäßig austauscht.

Es braucht auch Auszeiten Die Gottschicks haben sich arrangiert, wissen aber: Es braucht auch Auszeiten. &bdquo;Seine älteren Brüder Jonathan und Ruben kümmern sich liebevoll um Aaron, wenn wir zum Beispiel mal unterwegs sind", erzählt Johannes Gottschick. Zwei Mal im Jahr sind alle gemeinsam aber auch zu Gast im Kinderhospiz Bethel. &bdquo;Dabei geht es gar nicht in erster Linie um das Thema Sterben, wie man es von anderen Hospizen kennt", sagt Johannes Gottschick. &bdquo;Viel mehr wird Aaron dort rund um die Uhr betreut, so dass wir vier mal abschalten und Kraft tanken können." Denn die Eltern wissen: Mit einem erkrankten Kind kommen die Geschwister manchmal zu kurz.

Und doch ist sie da, die Gewissheit, dass Aarons Lebenserwartung verringert ist. &bdquo;Damals wurde uns gesagt, dass er wohl nicht älter als zehn wird", sagt Johannes Gottschick. Bald wird Aaron schon 13 und die Familie genießt jeden Moment mit ihm, der ihnen gegeben wurde. Aaron ist ein Geschenk, da sind sich alle einig.

Das Pelizaeus-Merzbacher Syndrom ist eine Leukodystrophie Das Pelizaeus-Merzbacher Syndrom (PMS) gehört zu der Gruppe der Erkrankungen der weißen Hirnsubstanz, auch Leukodystrophien genannt. Die Erkrankung führt dazu, dass die weiße Hirnsubstanz entweder nicht richtig aufgebaut wird oder in ihrer Erhaltung gestört ist. Die sogenannte connatale Form ist die schwerste und erste Symptome treten in der Regel bereits unmittelbar nach der Geburt oder in den ersten Lebenswochen auf.

Zu den ersten Anzeichen gehören unter anderem Augenzittern, eine Schluckstörung sowie eine schwache Muskelspannung. Zudem können auffällige Atemgeräusche oder Krampfanfälle beobachtet werden.

PMS wird über das X-Chromosom vererbt, was dazu führt, dass vor allem Jungen betroffen sind. Frauen können die Genveränderung weiter geben, ohne dass bei ihnen Zeichen der Erkrankung auftreten. Mädchen erkranken nur selten.

Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.elaev.de

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