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Das hat Extertals Archivar über die ehemalige Synagoge in Bösingfeld herausgefunden

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Südseite der Synagoge nach der Zerstörung von 1938. Die Scheiben sind noch zertrümmert. Das Foto stammt aus dem Frühjahr 1939. - © Archiv Gemeinde Extertal
Südseite der Synagoge nach der Zerstörung von 1938. Die Scheiben sind noch zertrümmert. Das Foto stammt aus dem Frühjahr 1939. (© Archiv Gemeinde Extertal)

Extertal-Bösingfeld. 200 Jahre ist es her, dass in Bösingfeld eine Synagoge eingeweiht wurde. Ein Ereignis, das die LZ-Redaktion zum Anlass genommen hat, Gemeindearchivar Wulf Daneyko zu bitten, mal in alten Unterlagen und Fotos zu stöbern. Herausgekommen ist dabei eine Zeitreise, die nicht nur einen Blick zurück auf das 1988 abgerissene Gebäude wirft, sondern auch auf jüdisches Leben in Bösingfeld im Allgemeinen.

Das ist nämlich schon seit Anfang des 17. Jahrhunderts bezeugt, schreibt Daneyko. Seither hätten Christen und Juden hier mehr oder weniger friedlich zusammengelebt. Häufiger sei es zwischen den jüdischen Kleinhändlern und Nichtjuden allerdings zu Streitigkeiten über getätigte Handelsgeschäfte gekommen. Viele Jahre lang hätten die sieben jüdischen Familien eine kleine Kammer als Betraum genutzt, die sie im Haus des Juden Herz Danneberg für acht Reichstaler gemietet hatten. Das sei auf Dauer nicht mehr tragbar gewesen, weil das Haus völlig baufällig geworden sei.

Und so kaufte die Bösingfelder Judenschaft 1821 von Johann Friedrich Korf das ebenfalls verfallene Haus Nummer 74 für 160 Reichstaler. „Sie wollten hier ein neues Haus für ihre Synagoge bauen“, schreibt der Gemeindearchivar. Da sie selbst nicht wohlhabend waren und „verdienstlose Zeiten“ herrschten, konnten die örtlichen Juden jedoch nicht auch noch das gesamte Geld für den Bau eines neuen Hauses aufbringen. So hätten sie die Erlaubnis der Fürstlich Lippischen Rentkammer erhalten, weitere Gelder über eine Kollekte bei den Glaubensbrüdern in und außerhalb Lippes einzusammeln. 200 Reichstaler brachte das ein. Da die Bösingfelder Juden bereits 550 Reichstaler Schulden machten und die Kollekte für die Fertigstellung des Hauses auch noch nicht ausreichte, stellten sie Unterstützungsgesuche an die Fürstlich Lippische Regierung.

Fachwerkhaus brennt 1901 nieder

Das erworbene Gebäude Nummer 74 von Johann Friedrich Korf gehörte zu den 140 Häusern, die bereits 1756 im Flecken standen, als ein Ortsplan erstellt wurde und die Häuser durchnummeriert wurden, schreibt Wulf Daneyko weiter. Um das Jahr 1786 seien diese Nummern in Bösingfeld offiziell als Hausnummer eingeführt worden. Das Haus wurde auch „Rehmsche Straßenkötterstätte“ genannt, da dort viele Jahre die Familie Rehm lebten. Die Adresse Bösingfeld Nummer 74 wurde später Südstraße 8 und ist nach der Straßenumbenennung dieses Teilstücks der Südstraße im Jahre 1991 heute die Hummerbrucher Straße 5.

Bösingfeld von Süden betrachtet (Hummerbrucher Straße). Am linken Bildrand ist die Synagoge mit dem Türmchen auf den Dach und dem großen Bogenfenster zu erkennen. - © Archiv Gemeinde Extertal
Bösingfeld von Süden betrachtet (Hummerbrucher Straße). Am linken Bildrand ist die Synagoge mit dem Türmchen auf den Dach und dem großen Bogenfenster zu erkennen. (© Archiv Gemeinde Extertal)

Bis zur endgültigen Fertigstellung des neuen Synagogenhauses musste die jüdische Gemeinde mangels Räumlichkeiten für kurze Zeit ihre Gottesdienste im Hause des Juden Weinberg abhalten. Im August 1824 konnte die neue Synagoge schließlich eingeweiht werden. 1901 brannte das Fachwerkhaus, in dem sich die Synagoge befand, allerdings völlig nieder, dokumentiert Daneyko. An gleicher Stelle wurde von der jüdischen Gemeinde eine neue Synagoge aus massiven Ziegelsteinen errichtet und bereits am 2. September 1903 eingeweiht. In dem Haus waren auch die jüdische Schule und eine Lehrerwohnung untergebracht.

Obwohl die christlichen und jüdischen Bürger Jahrhunderte lang weitgehend friedlich zusammenlebten, kam es bereits seit Beginn der 1920er-Jahre zu wachsender antisemitischer Propaganda und zu offenen Feindseligkeiten gegen Juden. Um 1930 besaß Bösingfeld eine zwar überalterte, aber dennoch lebendige jüdische Gemeinschaft. Seit 1916 war der Kaufmann David Kleeberg Vorsteher der Synagogengemeinde, die eine Synagoge und einen Friedhof an der Bahnhofstraße unterhielten. Mittlerweile wurden auch die Silixer und Alverdisser Judenschaften angegliedert.

Viele Angriffe auf Juden in Bösingfeld

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 begann die systematische Verfolgung und Entrechtung der jüdischen Bevölkerung. Schon im März 1933 wurden von der SA jüdische Geschäfte boykottiert und jüdischen Familien terrorisiert, schreibt der Archivar. Die Übergriffe auf die Juden waren in Bösingfeld weit ausgeprägter als in anderen lippischen Gemeinden gewesen. Während der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde die nur 50 Meter von der evangelischen Kirche entfernt liegende jüdische Synagoge in der Südstraße geplündert und zerstört. Der organisierte Nazi-Mob der SA zerschlug die Fenster und verbrannte das gesamte Inventar der Synagoge und der Lehrerwohnung auf der Straße.

Nach der Zerstörung der Synagoge wurde das Innere des Gebäudes von der Firma Lambrecht als Lagerraum genutzt. Das Bild stammt ungefähr aus den 1950er Jahren. - © Archiv Gemeinde Extertal
Nach der Zerstörung der Synagoge wurde das Innere des Gebäudes von der Firma Lambrecht als Lagerraum genutzt. Das Bild stammt ungefähr aus den 1950er Jahren. (© Archiv Gemeinde Extertal)

Im Rahmen der „Arisierung“ wurde das Synagogengebäude schon am 31. Januar 1939 an den Kaufmann Wilhelm Lambrecht verkauft. Er renovierte das Gebäude und baute es massiv um. Der Turm auf dem Dach wurde abgenommen, das große Bogentor des Eingangs entfernt und das große Bogenfenster an der Südseite verkleinert. In den Gebetsräumen wurden seither Waren gelagert und durch eine eingezogene Decke in dem hohen Innenraum ist darüber eine weitere Wohnung entstanden.

1988 wird das Gebäude abgerissen

Bei Kriegsende 1945 gab es nach der Verfolgung und dem Holocaust in Bösingfeld keine Juden mehr. Mindestens 28 Mitglieder der jüdischen Gemeinde wurden in den Konzentrationslagern umgebracht. Nur einige wenige konnten rechtzeitig vor den Nazis ins Ausland fliehen. Ein viel beachtetes Schülerprojekt der Realschule arbeitete seit den 1980er-Jahren die Judenverfolgung im Heimatort auf. Im November 2003 wurde unterhalb der ehemaligen Synagoge am Südhagen ein von Schülern entworfenes Mahnmal eingeweiht. Damit wird an das Schicksal der einstigen jüdischen Mitbürger im Extertal erinnert. Im Sommer 1988 folgte schließlich der Abriss des alten Synagogengebäudes und es wurde an dieser Stelle der Neubau eines Geschäftshauses realisiert. Bilder des 1901 abgebrannten Fachwerkhauses existieren im Archiv übrigens nicht.

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