Kalletal/Extertal. Etwa 30 Hunde verschiedener Größen, Rassen und Altersgruppen tollen, spielen oder sonnen sich auf der großen Freilauffläche der Kalletaler Hundeschule in Lüdenhausen, während sich ihre Menschen austauschen, Kuchen essen, das Frühlingswetter genießen und Kaffee trinken. So unterschiedlich die Vierbeiner auch wirken mögen, haben sie doch alle eins gemeinsam: Sie alle wurden vom Tierschutzverein Napfsucher aus Extertal an ihre Menschen vermittelt und der hatte seine Adoptanten Ende April zu einem Treffen in die Hundeschule von Lutz Weitkamp eingeladen. Viele der Tiere wurden in Rumänien ausgesetzt oder abgegeben. Einige landeten sogar in staatlichen Tötungsstationen, bevor sie, oft in letzter Minute, doch noch ihren Weg in das Partnertierheim „Animal Shields“ der Napfsucher in Oradea fanden und die Chance auf ein neues Leben erhielten. Dort leben etwa 300 bis 400 Hunde. Der deutsche Verein hilft vor allem mit Spendengeldern, um den Fortbestand des Tierheims zu sichern. Von den Mitteln werden unter anderem Futter gekauft, Tierarztbesuche und Impfungen bezahlt und die Infrastruktur ausgebaut. Hilfe beginnt in Rumänien In den vergangenen Jahren entstanden dort moderne Zwingeranlagen und es wurde sogar ein Brunnen gebohrt, denn es gab auf dem Gelände bis vergangens Jahr keinen Wasseranschluss. Hilfe wird laut der Zweiten Vereinsvorsitzenden der Napfsucher Silvia Kranich immer gebraucht, denn vom rumänischen Staat bekommen die Tierschützer keine Unterstützung. Die Betreiberin des Heims ist auch vor Ort auf die Hilfe von Freiwilligen angewiesen und geht neben der Arbeit mit den Tieren auch noch einem Vollzeitjob nach. „Dort ist einiges anders, als wir es aus deutschen Tierheimen kennen“, berichtet Kranich im Gespräch mit der LZ. Ein kleinerer, aber ebenso wichtiger Teil der Vereinsarbeit der Napfsucher ist die Vermittlung der Hunde in Deutschland – doch längst nicht alle Vierbeiner schaffen den Weg über die Grenze und einige werden den Rest ihres Lebens in dem Shelter verbringen. Die etwa 30 Hunde, die an diesem sonnigen Frühlingstag über die Wiese in Kalletal laufen als hätten sie nie etwas anderes gemacht, haben den Weg aus Elend, Überlebenskampf und Vernachlässigung gefunden. Es ist erstaunlich ruhig und fast alle harmonieren sehr gut miteinander. „Ich glaube, die Hunde aus Oradea haben eine unsichtbare Verbindung miteinander“, glaubt Silvia Kranich, obwohl sich längst nicht alle der anwesenden Vierbeiner schon persönlich kennen. Doch warum geben Menschen in Deutschland diesen Tieren eine zweite Chance? Ernst-Walter Fuhlhage und „Asmo“ Ernst-Walter Fuhlhage aus Voßheide ist mit Hunden groß geworden. „Meine Eltern haben immer Dackel gehabt“, berichtet Fuhlhage, der diese Tradition aber nicht fortsetzt. Als er sich mit 25 Jahren für seinen ersten eigenen Hund entschied, sollte es stattdessen einer aus dem Tierheim sein. Im Tierheim Eichenhof in Vlotho wurde er fündig. „Da haben wir unseren Eddy geholt. Der ist 16 Jahre alt geworden“, erinnert sich der Lemgoer. Auch sein zweiter Hund kam aus dem gleichen Heim und begleitete ihn, bis er mit 14 Jahren an Krebs verstarb. „Dann bin ich auf Napfsucher gestoßen“, berichtet Fuhlhage, der sich im Internet über die Möglichkeiten der Adoption informiert hatte. Der Verein vermittelte ihm vor vier Jahren einen ersten Hund, der nicht zuvor in einem deutschen Tierheim gelebt hatte. „Der ist leider nur zehn geworden, ich hatte ihn nur dreieinhalb Jahre“, erzählt Fuhlhage. Wieder war es der Krebs, der dem Tier das Leben kostete. Vier Monate später gab er einem neuen Napfsucher-Hund ein Zuhause. „Der ist wieder aus dem gleichen Lager“, sagt Fuhlhage über seinen neuen Gefährten „Asmo“, der fröhlich mit den anderen Hunden spielt. „Ich bin wirklich happy mit der Geschichte“, resümiert der Lemgoer. Dafür, dass er sich bereits vier Mal bewusst dazu entscheiden hat, einem Tier eine zweite Chance zu geben, statt bei einem Züchter zu kaufen, hat er mehrere Gründe. „Ich finde, es gibt so viele, die es verdienen“, sagt Fuhlhage. Deshalb möchte er Züchtungen – und besonders Qualzüchtungen – nicht unterstützen. Auch hält er die Tierschutzhunde, die in aller Regel Mischlinge sind, für deutlich robuster. „Bis es wirklich zu Ende geht, altersmäßig oder durch Krebs, hast du mit den Hunden keine Tierarztkosten, außer den Impfungen und anderen Kleinigkeiten“, sagt Fuhlhage. „Asmo“ gefällt ihm aber auch optisch und im Hinblick auf sein Wesen: „Ein Hund muss eine Schnauze haben und ich stehe auf diese Naturfarben“, berichtet der Lemgoer. Doch auch der Charakter seines Begleiters muss passen, denn Fuhlgae hat Enkelkinder. Dabei musste er sich auf die Beschreibung verlassen, die der Verein über „Asmo“ angefertigt hatte – und die war akkurat. „Da haben wir beide Male absolut Schwein gehabt. „Asmo“ steht auf unsere Enkelkinder. Da bin ich abgemeldet, wenn die da sind“, berichtet der Lemgoer. Corinna Wacker und „Jaxs“ Auch Corinna Wacker aus Bünde schwört auf Tierschutzhunde und lebt im Moment mit drei von ihnen. „Jaxs“ und „Smilla“ hat sie mit nach Lüdenhausen gebracht. „Der andere hat nur drei Beine, dem ist das hier zu viel“, berichtet sie. Der Tierschutz liegt Wacker auch ganz generell am Herzen: „Ich bin in jeder Hinsicht Tierschützer und ein Fan von robusten Mischlingshunden, die eine Geschichte haben.“ Da sie Herausforderungen mag, entscheidet sie sich immer wieder ganz bewusst für Hunde, die nicht ganz einfach sind: „Silvia vermittelt mir die eher schwierigen Fälle.“ Nicht jeden Hund, den Wacker aufnimmt, behält sie auch. Stattdessen bekommen einige Vierbeiner ein vorübergehendes Zuhause, bis sie von ihren Menschen gefunden werden. „Ember hab ich zum Beispiel an meine beste Freundin und ihren Freund vermittelt“, berichtet Wacker und deutet auf den mittelgroßen schwarzen Hund, der bei ihrer Freundin Bianca Wiechmann und deren Lebensgefährten Lennard Beiderwieden sitzt. Das ist gängige Praxis, denn nicht jeder Hund, der aus Rumänien nach Deutschland kommt, hat bereits ein neues Zuhause in Aussicht. Einige werden zunächst auf sogenannten Pflegestellen untergebracht, wo die Tiere erst einmal ankommen und sich akklimatisieren können, bis sich die passenden Interessenten gefunden haben. Auch „Jaxs“ sollte eigentlich weiter vermittelt werden, doch seine Chancen standen aufgrund seiner Geschichte eher schlecht. „Der wäre wahrscheinlich ein Wanderpokal geworden“, berichtet Wacker, die dem Tier ein häufiges Hin und Her ersparen wollte. „Jaxs“ wurde in Rumänien mit einer Tetanus-Erkrankung aufgefunden, die er sich wahrscheinlich zugezogen hatte, nachdem andere Hunde ihn gerissen haben. „Daran wäre er fast gestorben“, berichtet Wacker. Doch mit Behandlungen und Reha-Maßnahmen kam der Mischling buchstäblich wieder auf die Beine und schaffte es sogar, wieder laufen zu lernen. Bereits in Rumänien fand er eine neue Familie, doch das Glück währte nicht lange. „Die haben sich dann entschieden, nach Deutschland zu ziehen – allerdings ohne Hund“, berichtet die Bünderin. Und so kam „Jaxs“ mit gerade einmal elf Monaten in eine staatliche Tötungsstation. „Einen Tag bevor es so weit war, wurde er da raus geholt“, sagt Wacker, die den Hund im Anschluss aufnahm. Seine Geschichte hat offenbar Spuren auf der Seele von „Jaxs“ hinterlassen. Besonders auf Männer reagiert er auch heute noch reserviert. „Es ist schon viel besser. Anfangs hat er gebissen“, ordnet Wacker ein. Sie ist sich sicher, dass ihr Hund seine Probleme ohne konsequente Führung nicht in den Griff bekommen hätte. „Jetzt ist er drei und ganz entspannt im Vergleich zu damals“, erläutert Wacker, die ihre Entscheidung für „Jaxs“ nicht im Geringsten bereut. Auch ihre andere Hündin Smilla hat eine traurige Geschichte. „Sie war früher Kettenhund“, berichtet Wacker. Zwar sei sie mittlerweile sehr sozial und aufgeschlossen gegenüber Menschen und Hunden, doch auch ihre Vergangenheit lässt das Tier nicht ganz los – das Anlegen eines Halsbandes lässt sie sich nicht gefallen. „Sie ist ein echter Traumhund, aber sobald etwas an dem Hals kommt, kommt auch diese Kette wieder bei ihr durch“, berichtet Wacker. Mit einem Geschirr lässt sich die neunjährige Hündin aber ausführen. Bianca Wiechmann, Lennard Beiderwieden und „Amber“ Bianca Wiechmann und Lennard Beiderwieden freuen sich sehr darüber, „Amber“ ein Zuhause geben zu können. Es ist ihr erster gemeinsamer Hund, doch Wiechmann brachte bereits zwei andere Hunde mit in die Partnerschaft. „Wir haben immer schon was mit Hunden zu tun gehabt“, erzählt sie. Auch ihr Partner ist mit den Vierbeinern aufgewachsen. Das Paar möchte zudem in Zukunft gerne als Pflegestelle fungieren und Hunde bis zur weiteren Vermittlung aufnehmen. „Am besten keinen, der einen zu 100 Prozent anspricht. Sonst versagt man noch als Pflegestelle und behält ihn doch“, überlegt Wiechman. Da sich „Amber“ sehr gut mit anderen Hunden versteht, haben die beiden keine Bedenken vorübergehend einen weiteren Vierbeiner ins Haus zu holen. Auch mit anderen Tieren versteht sich die Hündin gut und mit den Schafböcken, Pferden und Hühnern, mit denen sie sich ihr Zuhause teilt, versteht sie sich prima. „Sie kommt auch mit, wenn ich ausreite, und geht jeden Tag mit zur Arbeit“, berichtet Wiechmann. Martina Ludwig und „Marley“ Martina Ludwig ist mit „Marley“ aus Petershagen zum Adoptantentreffen gekommen und der ist mit seinen 15 Jahren schon ein richtiger Hunde-Opa – und ihr erster Hund überhaupt. „Mein Mann ist verstorben und ich hab gesagt, dass ich gern einen alten Hund möchte“, berichtet Ludwig. Ein jüngeres Exemplar kam für sie aufgrund ihres eigenen Alters nicht infrage. „Ein vier Jahre alter Hund, der lebt vielleicht noch zehn oder 15 Jahre und dann bin ich über 80“, führt Ludwig aus. Auf „Marley“ ist sie im Internet gestoßen und eigentlich hätte sie gern ein kleineres Exemplar gehabt. Doch weil viele andere Attribute, wie die Verträglichkeit mit Katzen und Kindern, bei dem Senior stimmten, durfte er schließlich bei Ludwig einziehen. „Er ist einfach perfekt für mich“, berichtet Ludwig. Im Alltag sind beide gut aufeinander abgestimmt, auch das der alte Hund mittlerweile taub ist und viel Ruhe braucht, stört sie nicht. Auch „Marley“ war in Rumänien ein Straßenhund. „Wir nehmen an, dass er zu alt war und dann vom Hof gejagt wurde“, sagt Ludwig. Von da aus ging es direkt in das Tierheim in Oradea, wo er etwa zwei Jahre verbrachte, bevor er nach Deutschland kam. Martina Ludwig würde jederzeit wieder einen Tierschutz-Hund aufnehmen. „Es gibt da so viele verschiedene Hunde und da ist immer einer dabei, der passt“, ist sich Ludwig sicher. Inka Heißmeyer und „Felix“ Inka Heißmeyer und „Felix“ wohnen in der Region Hannover. Er ist einer der ersten Hunde, die über den Verein vermittelt wurden. „Silvia hat ihn sehr genau beschrieben, ich wusste, worauf ich mich einlasse“, berichtet Heißmeyer, die mit „Felix“ einen wirklich schwierigen Fall bekommen hat. „Er wurde schon in der Tötungsstation geboren“, berichtet die Hundebesitzerin. Allerdings konnten der Welpe und seine Mutter und Geschwister freigekauft und in ein Tierheim gebracht werden. Dabei handelte es sich aber nicht um das Tierheim, mit dem die Napfsucher heute zusammenarbeiten. Dort trennte man ihn im Alter von vier Wochen von seiner an Staupe erkrankten Mutter – in der Hoffnung, seine Gesundheit dadurch zu schonen. „Er wurde mit der Flasche aufgezogen. Alle seine Geschwister sind gestorben“, berichtet Heißmeyer. „Felix“ verbrachte seine ersten zwei Jahre fast isoliert in einem Zwinger, bevor er nach Deutschland zu Silvia Kranich reisen durfte. „Das Problem ist, dass er in seiner Sozialisierungsphase gar nichts erlebt hat“, so Heißmeyer weiter. Dies sei in der Regel noch schlimmer als eine Sozialisierung mit schlechten Erfahrungen. Als „Felix“ bei ihr ankam, konnte er kaum das Haus verlassen, so groß war seine Angst vor Autos. Auch an Geschirr und Leine musste der sensibele Hund lange gewöhnt werden. Da er so fixiert auf sein Frauchen war, konnte auch ihr damaliger Mann nicht mit dem Hund rausgehen. Alleine blieb „Felix“ nicht gerne und auch heute hat er damit noch Probleme. „Es kann sein, dass er sich dann hinsetzt, und heult wie ein Wolf, weil er mich so sehr vermisst“, berichtet Heißmeyer, die „Felix“ nicht mehr als etwa zwei Stunden alleine lassen kann. Durch kontinuierliches Arbeiten haben es „Felix“ und sein Frauchen geschafft, sich gut aufeinander einzustellen. Der Hund konnte einiges aufholen und kann mit mittlerweile fast zehn Jahren ein annähernd normales Leben führen. Dass sie sich für „Felix“ entschieden hat, bereut Inka Heißmeyer nicht, denn „er ist ein absolut besonderer Hund“, sagt sie.