Horn-Bad Meinberg/Belle. Seit Monaten wird darüber gestritten, ob sich die Ansiedlung von Amazon im Industriepark Lippe für Horn-Bad Meinberg wirklich lohnt. Jetzt liegen der LZ erstmals konkrete Zahlen vor. Sie zeigen: Die Kommune macht tatsächlich ein Plus „im siebenstelligen Bereich“, wie es zu Wahlkampf-Zeiten von verschiedenen Seiten behauptet worden war. Genau sind es 3.165.003,54 Euro – laut einer Aufstellung, die den Ratsmitgliedern nicht-öffentlich gezeigt wurde und die der LZ danach von mehreren Seiten zugespielt worden ist. Demnach betrug der Kaufpreis, den Amazon für das überbaute Gelände inklusive Pre-Check-in-Parkplatz und Böschung, aber ohne das Regenrückhaltebecken und die flache Wiese zum Niederbeller Bach gezahlt hat, 16.642.750 Euro. Trotz centgenauer Gegenüberstellung und Rechnung betont die Stadtverwaltung im Dokument, dass sich die Kosten an vielen Stellen noch gar nicht so genau beziffern ließen. „Die Rechnung zu den Planungskosten kam beispielsweise erst kurz vor der Ratssitzung, in der das Dokument vorgestellt wurde“, erklärt Stadt-Pressesprecher Sebastian Vogt auf Nachfrage. Auf 181.117,76 Euro beziffert die Stadtverwaltung diese. Andere aufgelistete Kosten seien immer noch nicht final bestimmt und eher als Näherungswert zu verstehen. Ratsmitglieder bekommen keine regelmäßige Kostenübersicht Auch deshalb habe man die Fragen unterschiedlicher Ratsmitglieder nach einer Kosten-Aufstellung bislang nicht beantwortet. Im Übrigen sei es auch nicht üblich, den Rat regelmäßig über die Kosten städtischer Engagements zu informieren. „Bei anderen Bebauungsplänen haben wir das ja auch nicht gemacht. Nur, wenn sich etwas ergibt - etwas teurer wird, beispielsweise“, sagt Vogt. Dabei steht dem Rat laut Gemeindeordnung NRW die zentrale Entscheidungsbefugnis über die kommunalen Ausgaben zu und Ratsmitglieder haben Informationsrechte, auch zu vertraulichen Angelegenheiten, damit sie ihre Kontrollfunktion wahrnehmen können. Auffällig ist in der Kostenauflistung, dass Amazon zusätzlich zum Kaufpreis seines Grundstücks fast 2,5 Millionen Euro für die „Entschädigung der Grunddienstbarkeiten“ gezahlt hat – und zwar für die gesamte Fläche des Industrieparks, wie Vogt bestätigt, nicht nur für das Drittel, was Amazon bebaut hat. Es handelt sich dabei um einmalig gezahlte Entschädigungssummen an die Eigentümer, die sich per Grundbuch-Eintrag verpflichtet haben, auf ihren Grundstücken „auf ewig“ Ausgleichsmaßnahmen für den Artenschutz für die im Industriepark überbaute Fläche durchzuführen. Deren Grundstücke sind durch diese eingetragene Last schließlich weniger wert. Warum Amazon die Entschädigung nicht nur anteilig für die vom Unternehmen überbaute Fläche gezahlt hat, mochte Vogt nicht verraten. Das sei Verhandlungssache gewesen. Stadtverwaltung rechnet Artenschutz-Kosten für 30 Jahre hoch Die Kosten für die tatsächliche Durchführung der Artenschutzmaßnahmen, also beispielsweise für das Anlegen von Lerchenfenstern im Acker und den an die Landwirte zu zahlenden Verdienstausfall für den doppelten Reihenabstand, beziffert die Stadtverwaltung mit 120.000 Euro pro Jahr für den gesamten Industriepark und rechnet das auf 30 Jahre hoch – macht 3,6 Millionen Euro. Die Stadtverwaltung habe sich entschieden, die Gesamtkosten der Maßnahmen für die nächsten 30 Jahre aufzuführen, um zu zeigen, dass deren Finanzierung gesichert sei, hatte Bürgermeister Heinz-Dieter Krüger bei der Präsentation im Rat erklärt. Zum heutigen Zeitpunkt seien deutlich weniger Kosten entstanden. Amazon zahlt allerdings nur ein Drittel von 70.000 Euro, was ursprünglich im zugrunde liegenden städtebaulichen Vertrag als jährliche Artenschutz-Kosten angenommen worden war – also 23.000 Euro mal 30 Jahre gleich 690.000 Euro. Nach heutigen Kosten läge der Amazon-Anteil aber bei 1,2 Millionen Euro. Die zwischenzeitliche Kostensteigerung bei den Maßnahmen sei das Risiko der Stadt, sagt Vogt der LZ. Ausschreibung bei Erschließungsstraße umgangen Einen kleinen Trick hat man offenbar beim Bau der Erschließungsstraße angewandt. Die Westfalenstraße hat Amazon selbst gebaut und anschließend für 1,6 Millionen Euro an die Stadt verkauft. Hätte diese die Straße selbst gebaut, hätte sie den Bau umständlich ausschreiben müssen. Amazon konnte einfach seinen eigenen Bautrupp schicken. Von Amazon-Gegnern wird immer auch die fehlende Ausschreibung der Artenschutz-Flächen unter den Landwirten kritisiert. Die Kostenaufstellung legt noch etwas anderes nahe: Ein Kauf der Grundstücke für den Artenschutz wäre vermutlich insgesamt günstiger gewesen, als Entschädigungen für die Artenschutz-Verpflichtungen in den Grundbüchern zu zahlen. „Dafür müssen aber in der Nähe auch Grundstücke zum Verkauf stehen“, sagt Vogt. Es eignete sich ja nur eine begrenzte Anzahl von Flächen. Auf der Kostenseite listet die Stadt auch den Bau der Ampelanlage an der B239 und den Radweg-Bau für 536.000 Euro. Auch das sei beides sicher nicht in voller Höhe Amazon zuzurechnen, auch wenn der Verkehr durch das Logistikzentrum sicherlich zugenommen habe. Diese Investition in die Infrastruktur dienten auch zukünftigen Betrieben im Industriepark, hatte der Bürgermeister vor dem Rat betont. Genauso bewerte er den Bau der Westfalenstraße. Diese sei zwar durch die Ansiedlung von Amazon ausgelöst und auch in der Rechnung in voller Höhe eingestellt worden, erschließe jedoch mehrere Grundstücke. Hinweisschilder statt teures zusätzliches Sanitärgebäude Erst mal nicht umsetzen wird die Stadt den ursprünglich angedachten Bau eines zusätzlichen Sanitärgebäudes für insgesamt 200.000 Euro für Amazon-fremde Lkw-Fahrer, die den Industriepark gewissermaßen als Rastplatz nutzen. Der Rat hatte sich dafür ausgesprochen, die Situation erst mal weiter zu beobachten. Es sollen aber zusätzliche Hinweisschilder auf den Pre-Check-In-Parkplatz von Amazon aufgestellt werden, der eine Sanitäranlage besitzt. Außerdem betont die Stadtverwaltung, dass man den Erlös des Grundstückverkaufs gewinnbringend angelegt habe, was allein im Jahr 2022 der Stadt 1,4 Millionen Zinseinnahmen beschert habe. Außerdem flössen durch Amazon Grundsteuer- und Gewerbesteuereinkünfte. Beides habe man in der Gegenüberstellung unberücksichtigt gelassen - und trotz dieser pessimistischen Rechnung bleibe die Differenz positiv. Amazon feiert unterdessen das einjährige Bestehen vor Ort. Knapp 2000 Personen aus 90 Nationen hätten in Belle eine berufliche Heimat gefunden, heißt es in einer Pressemitteilung des Konzerns. Etwa 100 Millionen Artikel seien seit August 2024 im Amazon-Logistikzentrum PAD2 eingelagert und ebensoviele von dort verschickt worden. Seit Standorteröffnung hätten bereits 34 interne Beförderungen ausgesprochen werden können. Außerdem habe man einen IT-Auszubildenden und einen dualen Studenten in der Logistik.