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26 Cent pro Liter Milch - Bauern ächzen

Axel Bürger

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100 Kühe besitzt Cord-Friedrich Delker in Brake: Die geben zwar ordentlich Milch, aber der Landwirt macht trotzdem je Liter rund 13 Cent Verlust. - © Axel Bürger
100 Kühe besitzt Cord-Friedrich Delker in Brake: Die geben zwar ordentlich Milch, aber der Landwirt macht trotzdem je Liter rund 13 Cent Verlust. (© Axel Bürger)

Lemgo-Brake. 59 Cent oder noch weniger für einen Liter Milch beim Discounter haben Folgen. Mit Preissenkungen im Laden steigt der Druck auf die Landwirte, die häufig am Existenzminimum kalkulieren.

Der Verbraucher mag billig. Ob er sich darüber wirklich freuen sollte, ist fast schon eine moralische Frage. Cord-Friedrich Delker betreibt in Brake Milchwirtschaft und hat gerechnet. „Derzeit komme ich an Erzeugerkosten von 39 Cent pro Liter Milch nicht vorbei.“

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Proteste in München und Brüssel

Milchbauern aus ganz Deutschland haben gestern in München gegen den Preisverfall protestiert – dabei auch Delkers Ehefrau Anja. Sie warfen sie der Politik vor, der Entwicklung tatenlos zuzusehen und Existenzen zu vernichten.

„Aber wir werden nicht sang- und klanglos untergehen“, rief der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter, Romuald Schaber, den Landwirten zu, die ihrem Unmut lautstark mit Kuhglocken Luft machten. Vor dem Treffen der EU-Agrarminister am kommenden Montag in Brüssel gibt es weitere Proteste des Bauernverbandes, dann geht es auch um die niedrigen Preise für Schweinefleisch. Der Landwirtschaftliche Kreisverband Lippe hat zur Teilnahme aufgerufen, sagte Geschäftsführer Dr. Herbert Quakernack. (dpa/mah)

Wer nun glaubt, die Macht, dieses Missverhältnis zu ändern, liege bei den Discountern, der täuscht sich. Delker nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er klar formuliert: „Die Molkereien haben das größte Interesse an der Auslastung ihrer Betriebe. Sie nehmen uns jeden Liter Milch ab, aber sie bestimmen die Preise. Verhandeln können die Bauern nicht auf Augenhöhe.“ Im Kern heißt das in diesem Sommer: Der gefallene Milchpreis beschert den Milcherzeugern derbe Verluste. Nicht jeder kann das auf Dauer kompensieren. Delker federt Teilbeträge derzeit noch ab. Er hat mit der Kartoffelsparte und dem Anbau von Getreide zwei weitere Standbeine.

Wer sich aber auf Milch spezialisiert, spürt die Kosten-Einnahme-Diskrepanz schneller als erwünscht. Milchseen und Butterberge gab es früher, sie gehören der Vergangenheit an, auch wenn die Bestände wieder zu wachsen drohen. Die Milchquote wurde im April abgeschafft, die Kosten für die Kühe aber sind geblieben. Allein die Stadtwerke Lemgo buchen bei Delker mehr als 1500 Euro monatlich für Wasser und Strom ab. „Eine Kuh säuft am Tag zwischen 70 und 100 Liter Wasser“, sagt Delker und rechnet für einen Liter mit folgenden Fakten: „20 Cent kostet mich das Futter, ein Mix aus Mais, Gras, Sojaschrot und Mineralstoffen. Für die Gebäude muss ich 3,5 Cent kalkulieren, für Strom und Wasser, die Pflege der Melkanlage, Besamung, Tierarzt und alle Lohnkosten zusammen 15,5 Cent. Am Ende sind es 39 Cent an Kosten. Meine Molkerei, die DMK in Everswinkel oder Georgsmarienhütte, zahlt mir in diesem Monat 26 Cent je Liter.“

Umfrage

Die Molkerei wechseln könne er nicht. Die stetig steigende Kostenspirale habe auch dazu geführt, dass die Anzahl der Milchbauern in Lemgo in den vergangenen 20 Jahren rapide abgenommen habe. „Weniger als zehn sind geblieben.“ Und wer könnte das Dilemma ändern? „Die Politik könnte dazu beitragen, dass Molkereien, Landwirte und der Lebensmitteleinzelhandel die Liefermenge fair verhandeln“, sagt Delker. Der sich klar festlegt, wer das derzeit verhindert: „Die Molkereien, die soviel Milch wie möglich verarbeiten wollen und den Discountern dann günstige Preise einräumen, damit diese vielleicht noch mehr Produkte abnehmen.“

Alle zwei Tage verlassen rund 5000 Liter Milch den Hof im Braker Buschkamp. Morgens und abends werden die Kühe gemolken, eine Kuh macht das ganze Prozedere vier bis fünf Jahre. Vor zwei Jahren hat Delker einen modernen Stall gebaut. Seine 100 Kühe können selbst aus dem Stall auf die Weide, jedes Tier hat einen Namen – von Florenz über Porsche bis zur Lieselotte – und soll sich wohl fühlen. Ob Delker das für sich noch garantieren kann, ist angesichts des Milchpreises fraglich. „Die Verbraucher würden bestimmt 10 Cent je Liter mehr bezahlen, aber es wird ihnen gar nicht die Chance gegeben“, kritisiert der Braker. 50 Prozent der Milchbauern fehle es mittlerweile am Mut, stärkeren Druck aufzubauen. Vor sechs Jahren haben deutsche Landwirte schon einmal Milch in die Gülle gekippt, also gestreikt und gemeutert wegen der geringen Preise. Ob es erneut zu diesen radikalen Maßnahmen kommen wird, weiß heute keiner.

Ein ruinöser Wettbewerb

Kommentar von Martin Hostert

Da fahren sie wieder mit ihren Treckern durch die Lande, hupen, schlagen die Kuhglocken, skandieren Parolen oder blockieren – wie im Elsaß – die Grenzübergänge. So mag mancher denken, sieht er die Bilder protestierender und demonstrierender Landwirte in den Zeitungen, auf Fernsehbildern und im Netz. Ausdrücklich sind kommende Woche auch lippische Bauern von ihrem Verband zur Teilnahme an der nächsten Demo in Brüssel aufgerufen. Europaweit sicher eine Randnotiz, aber nur eine breite Masse kann für Gehör bei der EU sorgen. Und das Beispiel des Lemgoer Milchbauern zeigt, wie bitter nötig diese Proteste sind. Zwar sind die Gründe der Bauern dafür unterschiedlich. Im Elsaß protestierten sie dagegen, dass sie osteuropäischen Erntehelfern mehr Lohn zahlen müssen als ihre Kollegen in Deutschland. In Belgien galt der Unmut dem allgemeinen Preisverfall für Agrarprodukte. In München ging es gestern um den Milchpreis. Allerdings zeigt sich eine rote Linie: In ganz Europa machen Landwirte gegen den ruinösen Wettbewerb mobil.

Es zeigt aber auch: Es liegt an uns. An Ihnen und an mir. Wieviel Geld sind wir bereit, fürs Schnitzel und für den Liter Milch auszugeben? Alternativen zum Billigfleisch und zur 51-Cent-Milch – ein Skandalpreis – gibt es in Lippe. Es liegt an uns, wie lange die Trecker nach Brüssel fahren, statt aufs Feld.

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