Drohungen und alte Mordfälle: Oberstaatsanwalt Ralf Vetter erzählt

Detmold. Diebstahl, Betrug, Volksverhetzung, Körperverletzung, Mord - die Liste an kriminellen Taten ist lang. Ein Mann auf der anderen Seite ist Oberstaatsanwalt Ralf Vetter. Täglich hat er mit mehr oder weniger schlimmen Verbrechen und den Menschen dahinter zu tun. Mit der LZ spricht er über Drohungen, Messerstechereien und alte Mordfälle.

Herr Vetter, Sie haben täglich mit Verbrechen zu tun. Wurden Sie auch schon einmal von jemandem bedroht?

Ralf Vetter: Ich persönlich bin noch nie bedroht worden. Es ist zwar schon passiert, dass Angeklagte während der Hauptverhandlung ausfällig geworden sind, aber das kann ich auch. Damit war es dann erledigt. Aber ich habe schon erlebt, dass Kollegen anonym bedroht wurden. Doch das kommt selten vor. Wahrscheinlich viel seltener, als man vielleicht in der Öffentlichkeit denkt.

Gibt es Fälle, die Sie nicht loslassen oder Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Vetter: Da gibt es eine ganze Menge Fälle. Besonders aus Paderborn, wo ich noch Kapitalverbrechen verfolgt und verhandelt habe. Da muss ich nur den Namen hören und weiß sofort, worum es ging. Darunter sind auch einige Fälle, bei denen der Täter noch nicht gefasst wurde.

Ist irgendeine besondere Tat darunter?

Vetter: Der Fall Frauke Liebs sticht da vielleicht heraus. Sie ist 2006 auf dem Heimweg verschwunden, nachdem sie zusammen mit Freunden ein WM-Spiel geschaut hatte. In den folgenden Tagen hatten Bekannte noch teilweise Kontakt, der dann abbrach. Im Oktober wurde schließlich ihre Leiche gefunden. Wir haben lange ermittelt, sehr viele Telefondaten ausgewertet und mit einem Profiler gearbeitet. Auch im Fernsehen wurde viel berichtet. Trotzdem ist der Fall noch nicht aufgeklärt.

Was passiert denn mit solchen ungelösten Fällen?

Vetter: Kleine Delikte verjähren irgendwann. Mord dagegen verjährt nie. Es ist also nicht so, dass die Akten irgendwann weggeschmissen werden. Sie werden verwahrt, zum Beispiel in den Geschäftsstellen der Staatsanwaltschaft und der Polizei oder später in den Archiven. Es kann sein, dass sie jahrelang unberührt im Archiv liegen. Gibt es einen neuen Ermittlungsansatz werden sie wieder hervorgeholt. Die Akten können dabei sehr weit zurückreichen. Ich habe zum Beispiel einmal eine Akte von 1945 hervorgeholt. Damals war ein Grundbesitzer aus Höxter von einem polnischen Kriegsgefangenen umgebracht worden. Es ermittelten die Amerikaner in dem Fall. Als sie dann abzogen, blieb der Fall liegen. Als sich 1989 die Grenzen öffneten, habe ich noch einmal versucht, zu ermitteln - doch ohne Erfolg.

Denken Sie, dass unsere deutsche Rechtsprechung zu lasch und ungerecht ist?

Vetter: Ich empfinde unsere Gesetzgebung als relativ ausgewogen und generell nicht als ungerecht. Wenn man persönlich in irgendeiner Weise von einer Straftat betroffen ist, sieht derjenige das aber vielleicht auch anders. Ich denke auch, dass wir eine recht gut funktionierende Justiz haben und Bürger auch schnell zu ihrem Recht kommen können.

Empfinden Sie einen Freispruch als Niederlage?

Vetter: Nein, in aller Regel nicht. Häufig beantragt ja auch die Staatsanwaltschaft selbst einen Freispruch, wenn sich die Beweislage in der Hauptverhandlung anders darstellt, als in den Akten. Ich denke, dass ist auch ein Beweis dafür, dass das System funktioniert, wenn in der Verhandlung ein anderes Bild entsteht. Dann kann ich damit gut leben. Aber es kommt sicherlich auch mal vor, dass ich mich mal ärgere.

Hat sich viel in der Zeit verändert, seit Sie Staatsanwalt sind?

Vetter: Einschneidend für unsere Ermittlungen war sicherlich die Öffnung der Grenzen in den Osten. Damit haben sich ganz neue und mehr Möglichkeiten aufgetan, vor allem auch, was die Zusammenarbeit mit den Kollegen in den osteuropäischen Staaten angeht. Das ist heute recht einfach. Davor war es schwer, Ermittlungen über die Grenzen im Osten hinaus zu führen. Und auch mit der EU-Erweiterung sind andere Ermittlungsansätze möglich. Allerdings sind mit der Öffnung der Grenzen auch neue Kriminalitätsformen aufgetaucht. Ähnlich ist es auch mit der Digitalisierung. Sie vereinfacht viel, doch sie eröffnet auch neue Formen von Kriminalität.

Haben Sie das Gefühl, dass Täter immer brutaler vorgehen?

Vetter: Kapitaldelikte sind immer schon auch brutal gewesen. Was man beobachten kann, ist, dass zum Beispiel bei Schlägereien brutaler vorgegangen wird und auch schnell Messer gezogen werden. Viele Täter haben keine Empathie. Ansonsten hat die Kriminalitätsentwicklung auch immer etwas mit der Bevölkerungsentwicklung zu tun. Es geht immer mal auf und ab. Auf der anderen Seite leben wir aber statistisch gesehen in der sichersten Zeit.

Was fasziniert Sie an Ihrem Beruf?

Vetter: Ich finde es einfach toll, dass jeden Tag etwas Neues auf mich zukommt. Ich lerne immer dazu, weil ich ständig mit neuen Themen und Berufsgruppen in Kontakt komme. Das können Dinge sein, von denen man noch nie gehört hat. Jeder Tag bringt etwas anderes, auch wenn sich natürlich mal etwas wiederholt.

Persönlich Oberstaatsanwalt Ralf Vetter ist 58 Jahre alt und seit 2009 in Detmold tätig. Studiert hat er in Münster. Zunächst wollte er Steuerberater werden, hat sich dann aber doch für Jura entschieden. 1990 wurde er schließlich Staatsanwalt und arbeitete zunächst ein Jahr in Dortmund. Danach wechselte er nach Paderborn, wo er von 1991 bis 2009 war.

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