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Blutschande und Giftmischerei - Mutter landet 1968 vor Gericht

Yvonne Glandien

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Das Gift soll die Mutter in den Morgenkaffee ihres Sohnes gemischt haben. - © Pixabay
Das Gift soll die Mutter in den Morgenkaffee ihres Sohnes gemischt haben. (© Pixabay)

Kalletal-Talle. Hannes B. ist gerade 16 Jahre alt, als er aufhört zu atmen. Nachbarn finden ihn im Hausflur liegend, während die Mutter auf der Arbeit ist. Hannes ist tot. Und was zunächst wie die Folge einer Grippe aussieht, stellt sich schon bald als Mord heraus. Die Hauptverdächtige: Hannes Mutter Marie H. (alle Namen von der Redaktion geändert).

Aufruhr in Talle: Es ist der 27. November 1967, als Hannes B. gefunden wird. Der Junge war leicht herzkrank, hatte gerade eine Grippeinfektion hinter sich. Kurz vor seinem Ableben erbricht er sich. Auf dem Hausflur vor der Wohnung seiner Mutter und seines Stiefvaters bricht er zusammen und stirbt. Doch die Ärzte hegen Zweifel am natürlichen Ableben des Jungen und schicken den Leichnam zur Obduktion nach Münster. Fast ein halbes Jahr dauert es, bis feststeht: Hannes B. wurde umgebracht. Die Ärzte finden Spuren eines Schädlingsbekämpfungsmittels, das offenbar als Gift missbraucht und dem Jungen beim Frühstück verabreicht wurde.

Am 6. Mai 1968 wird Hannes' Mutter, Marie H. verhört. Es dauert nicht lange bis sie gesteht, das Gift in den Morgenkaffee ihres Sohnes gemischt zu haben. Der Grund? Sie habe ein schlechtes Verhältnis zu dem Jungen gehabt, er sei renitent gewesen. Aber ihn zu töten, sei nie ihre Absicht gewesen. Lediglich krank machen wollte sie ihn - und ihn damit näher an sich binden. Doch Marie H. wird als Giftmörderin angeklagt.

Böse Überraschung lässt tief blicken

Kaum eine Woche später ändert sich das Motiv von Marie H.. "In einer der letzten Vernehmungen hat Frau [H.] ausgesagt, in der Nacht vor dem Mord mit ihrem Sohn aus erster Ehe intimen Verkehr gehabt zu haben", heißt es im Bericht der LZ vom 13. Mai 1968. Aus Angst vor einer Wiederholung soll sie ihren Sohn vergiftet haben. Sie soll gefürchtet haben, auch in Zukunft keinen Widerstand leisten zu können.

Ein halbes Jahr vergeht, das Marie H. in Untersuchungshaft verbringt. Am 26. November 1968 muss sie sich dann vor dem Schwurgericht verantworten. Die Anklage lautet auf Mord. 13 Zeugen und vier Sachverständige sagen aus. Doch Marie H. erzählt eine ganz andere Geschichte, als zuvor. Ihr Geständnis sei erzwungen worden. "'Ich habe es wirklich nicht getan. Man wollte mir nicht glauben. Ich habe mir alles ausgedacht'", soll sie laut LZ-Bericht vom 3. Dezember 1968 vor Gericht gesagt haben. Schuld sei der Kriminaloberkommissar gewesen, er habe sie angebrüllt und in die Enge getrieben.

Doch das Gericht stellt Marie H.s Rückzieher in Frage. Zu detailliert seien ihre Ausführungen im Vorfeld gewesen. So hatte sie genau geschildert, wie sie das Gift gemischt hat. Zwei Tropfen des Pflanzengifts habe sie auf einen Kaffeelöffel gegeben, es mit Wasser vermischt und schließlich einen halben Teelöffel voll auf den Grund der dickwandigen Tasse des Sohnes - einem Geschenk der Großmutter - gegeben.

Zu wenig Fantasie

Sie selbst wird von Zeugen als "eingeschüchterte kleine Maus" beschrieben. In Breslau sei sie beim Einzug der Russen vergewaltigt worden. Ein erstes Kind sei verstorben, ihr erster Mann habe sie verlassen. Der neue Mann, acht Jahre jünger als Marie, sei gesundheitlich angeschlagen gewesen und ständig auf Kur. Während der Abwesenheit des Stiefvaters habe der Sohn immer häufiger im Ehebett genächtigt. Marie H. wollte ihn so besser unter Kontrolle halten. Letztendlich entscheidet das Gericht: Marie H. habe nicht genügend Fantasie, um ihre Ausführungen frei erfunden zu haben.

Das Urteil

"Die Angeklagte wird wegen Blutschande und wegen eines im Zustand verminderter Zurechnungsfähigkeit begangenen Mordes an ihrem 16-jährigen Sohn [Hannes B.] zu einer Zuchthausstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die Untersuchungshaft wird voll angerechnet. Die bürgerlichen Ehrenrechte werden der Angeklagten für die Dauer von zehn Jahren aberkannt."

Das Strafmaß begründe sich durch die ausweglose Situation der Angeklagten nach dem nächtlichen Vorfall mit dem Sohn. In sich gekehrt und voll lauter Tränenausbrüche soll Marie H. die Urteilsverkündung verfolgt haben.

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