Expertin referiert im Kreishaus zum Thema "Migration und Pflege"

Kreis Lippe. Wenn verschiedene Kulturen aufeinandertreffen, kann es Konflikte geben – auch in der Pflege. Sina Arslan kann ein Lied davon singen. Jüngst hat die erfahrene Krankenschwester und Stationsleiterin aus Minden im Kreishaus Lippe zum Thema Migration und Pflege referiert.

Das Schlimmste sei die Unwissenheit, sagt die Fachfrau: &bdquo;Es ist ganz wichtig, dass das Pflegepersonal Einblick in andere Kulturen hat, um richtig reagieren zu können." Das beginne bei den Essgewohnheiten: Menschen muslimischen Glaubens essen nun mal kein Schweinefleisch.

Die Möglichkeit, sich rituell zu waschen, sei für viele Angehörige des Islam ebenso wichtig wie ein Platz fürs Gebet. Das bestätigt auch Dr. Christoph Friedrich, Leiter der Lemgoer Geriatrie im Klinikum Lippe. &bdquo;Wir hatten jüngst einen Patienten, der sein Gebet vor dem Aufzug verrichtet hat, weil da am meisten Platz war." So lange das den Alltagsbetrieb nicht störe, könne man das auch tolerieren.

Sein Rezept ist neben der Schulung auch die Gelassenheit im Umgang mit dem Kulturmix. &bdquo;Aber grundlegende Regeln muss man schon beachten." Beispielsweise intime Untersuchungen sollte ein Arzt bei den Männern, aber eine Ärztin bei den Patientinnen vornehmen, und der Unterleib sollte möglichst zugedeckt sein.

Das gilt auch für die Intimhygiene bei der Pflege, weiß Sina Arslan. Und selbst wenn ein Mensch muslimischen Glaubens verstorben ist, gelten Regeln bei den rituellen Waschungen des Leichnams: Ist er männlich, so kümmert sich meist ein Sohn oder anderer Mann aus der Familie, ist er weiblich, die Töchter. Im Todesfall übernehmen spezielle Bestattungsunternehmen den Transport in die Moschee. &bdquo;Hier kann es helfen, als Krankenhaus oder Pflegeeinrichtung den Kontakt zur muslimischen Gemeinde vor Ort zu halten", betont die Fachfrau.

Nicht zu unterschätzen ist das Sprachproblem, das sich vor allem bei an Demenz Erkrankten noch verschärft: &bdquo;Wenn die Demenz weiter fortschreitet, dann verschwindet zunächst die erworbene Zweitsprache. Die Betroffenen werden auf ihre Muttersprache zurückgeworfen", sagt Dr. Friedrich. Sie erleben also eine Art des doppelten Identitätsverlustes.

Ängste, die ohnehin bereits mit der Demenz einher gehen, verschärfen sich, wenn Patienten sich nicht mehr verstanden fühlen. &bdquo;Wer im Krankenhaus liegen muss, ist meistens ohnehin schon verunsichert." Die Sprachbarriere verschlimmere das noch. Den Pflegebedürftigen dann mit Rücksicht auf ihre kulturelle Herkunft Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln, sei eine wichtige Aufgabe.

Pflegepersonal mit Migrationshintergrund habe hier eine wichtige Mittlerrolle, sagt Sina Arslan. &bdquo;Viele Patienten gucken schon, wer ausländisch aussieht, in der Hoffnung, hier auf mehr Verständnis zu stoßen als bei deutschem Pflegepersonal."

Gleichwohl sei es enorm wichtig, &bdquo;nicht in Stereotypen zu denken, sondern immer individuell den Patienten im Blick zu haben", warnt Bahar Dyk. Die Masterstudentin hat sich mit den Versorgungsbedürfnissen älterer türkischstämmiger Menschen im Akutkrankenhaus befasst. &bdquo;Kommunikation ist hier das A und O", betont sie. Sprachliche Barrieren könnten sogar zu Fehldiagnosen führen. Auch Analphabetismus, etwa bei älteren Türkinnen, könne hier eine Rolle spielen.

Eine andere Definition von Zeit, eine andere Schmerzbewältigung, andere Lebensgewohnheiten – all dies können Fallstricke sein. Noch sieht Dr. Friedrich im ländlichen Lippe nicht so große Fallzahlen wie etwa im Ruhrgebiet: &bdquo;Aber in rund zehn Jahren werden wir es – wenn auch nicht in so großem Ausmaß – mit ähnlichen Problemen zu tun haben."

Bielefelder Studie In Deutschland lebten 2015 16,4 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, mittlerweile hat jeder fünfte Einwohner eine eigene oder eine über mindestens ein Elternteil mitgebrachte Zuwanderungsgeschichte. Die Zahl der Pflegebedürftigen mit Migrationshintergrund wird sich bis 2030 nahezu verdoppeln, sagt eine Bielefelder Studie, die der Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2015 in Auftrag gegeben hat. Genaue Zahlen für Lippe liegen nicht vor. Bei Zuwanderern herrsche häufig noch die Erwartung, dass Pflege selbstverständlich von Familienangehörigen geleistet wird. Geht das nicht, gebe es große Verunsicherungen. Erste Hilfestellungen in Pflegeeinrichtungen können die Informationsblätter für Patienten in den jeweiligen Muttersprachen bilden, die das Klinikum längst vorhält. Die kultursensible Schulung und entsprechende Broschüren für das Personal seien ebenfalls unverzichtbar.

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus!

0,99 Euro im ersten Monat

Weiterlesen mit LZplus