Lippischer Pfarrer zu Verschwörungstheorien: oft eine Befriedigung des Egos

Kreis Lippe. Corona gibt es gar nicht – das hat sich Bill Gates ausgedacht, um endlich die ganze Welt impfen zu können und so an Persönlichkeitsprofile zu gelangen. Oder ist Corona doch eine Merkel-Idee? Verschwörungstheorien wie diese gibt es viele, auch in Lippe gehen ihre Anhänger auf die Straße. Pfarrer Horst-Dieter Mellies, Beauftragter für Weltanschauungsfragen in der Lippischen Landeskirche, ordnet das Phänomen ein.

Was ist das überhaupt, eine Verschwörungstheorie?

Mellies: Ich würde es als Geheimwissenschaft bezeichnen. Verschwörungstheoretiker haben sich in einem kruden Spektrum gesammelt, von links über rechts, versprengte Nationale, ehrlich Besorgte und Leute, die es etwa der Polizei immer mal zeigen wollten. Vielen, die sich als Wortführer darstellen, unterstelle ich, dass es ihnen um die Befriedigung ihres Egos geht, nicht um die Protokollierung einer Wahrheit. Sie gehen von Voraussetzungen aus, die gar nicht hinterfragbar sind. Aber sie folgen dem Detailwissen der von ihnen Ausgewählten, und daraus entfalten sie ein Weltbild.

Aber dieses angebliche Detailwissen entbehrt doch zumeist jeder Grundlage.

Mellies: Ja, und wenn Nachfragen zu kritisch werden, steigen Verschwörungstheoretiker aus dem Gespräch aus. Wie bei einem Schachspiel, in dem einer zu Beginn den Bauern drei Felder vorzieht. Ab dann läuft das Spiel normal weiter, aber die ganze Partie ist kaputt. Am Anfang gibt es also einen irren Zug, dann findet man Indizien, dass dieser Zug eben doch richtig war.

Also werden Indizien bewusst gesucht, nicht einfach so gefunden?

Mellies: Genau, und zwar nur in den eigenen Kreisen und Medien wie &bdquo;kla TV". In dieser Blase wird dann alles einsortiert. Wenn sich etwa zwei Virologen streiten, nimmt man den, der näher an der eigenen Position liegt – obwohl der vielleicht nur einen wissenschaftlichen Diskurs führt.

Worum geht es den Leuten?

Mellies: Das Schöne am Geheimwissen ist ja, dass es etwas Elektrisierendes hat. Es erhebt mich über die anderen. Es geht wohl eher nicht um Wahrhaftigkeit.

In &bdquo;Verschwörungstheorie" steckt das Wort Theorie. Gibt es keinen Anspruch, diese Theorie zu verifizieren?

Mellies: Diese Leute bezeichnen sich ja nicht als Verschwörungstheoretiker. Sie sind ja Wissende, mit einer profunden Basis.

Auch Wichtigtuer?

Mellies: Es ist ja kein Zufall, dass die meisten in dieser Bewegung männlich sind. Das ist ein Hahnenritual. Es sind Menschen, die einfach alles besser wissen. Sie finden beispielsweise abstruse Begründungen für die Hygieneverordnung im Internet, die ja uns alle betrifft. Dank der Algorithmen werden sie auf weitere Seiten geleitet. Sie lesen sich ein – und wissen endlich, warum sie ihre Mutter nicht im Heim besuchen dürfen. Nämlich wegen Merkels Plan, und nicht wegen des Virus, wie es uns alle weismachen wollen.

Eine krude Antwort.

Mellies: Ja, aber im System absolut plausibel. Zugleich haben wir im Moment eingeschränkte Kontaktmöglichkeiten, um uns mit anderen direkt über Ängste auszutauschen. Dass Menschen dann für Verschwörungstheorien empfänglich werden, halte ich für nachvollziehbar. Auch ich kenne Leute, die sofort bei Bill Gates bösen Plänen sind, geht es ums Impfen. Diese Theorie ist schon im Umlauf.

Haben Sie Gegenargumente?

Mellies: Das Gegenargument ist die Frage: Wo steht das? Woher wissen Sie das? Welches Interesse steckt dahinter, wer soll denn diesen Plan ausgearbeitet haben? Wie soll der überhaupt seit Jahren in diesem Ausmaß verfolgt worden sein? Eine eventuell anderslautende Quelle von mir würde im Zweifel auch nicht akzeptiert werden. Das verschwörungstheoretische Denken zeichnet aus, dass auf der einen Seite eine hohe Skepsis da ist, insbesondere gegenüber den Medien. Auf der anderen Seite gibt es eine tiefe Gläubigkeit gegenüber den eigenen Meinungsführern.

Wie kommen Sie als Sektenbeauftragter der Landeskirche ins Spiel?

Mellies: Wir bekommen Anfragen. Was halten Sie davon? Ist der Lockdown wirklich ein Planspiel der Regierung Merkel? Will Bill Gates mit seinen Impfprogrammen die Menschheit kontrollieren? Ist das der Beginn der Apokalypse? Christen sind ja nicht davor gefeit, solche Dinge aufzunehmen. Wenn Menschen so etwas hören, sind sie zu einem großen Teil extrem verunsichert. Ängste um den Arbeitsplatz, die Gesundheit, die Familie, die Mutter, die ich plötzlich nicht mehr besuchen darf, sind ja real. Denken Sie an die Bilder aus Italien, aus Spanien, zu Corona-Beginn. Aber solange Menschen Fragen stellen, gibt es immer die Möglichkeit, damit umzugehen.

Wie?

Mellies: Ernstnehmen. Insofern sage ich als Pfarrer: Es gilt in diesen Zeiten, den Menschen eine gute Botschaft weiterzusagen, und sie nicht etwa in ihren Ängsten zu belassen. Schaut in die Bibel: Die Offenbarung endet ja nicht in einer Katastrophe, sondern in einem Ausblick auf ein Friedensreich. &bdquo;Gott wird abwischen alle Tränen von den Augen."

Kann man Verschwörungstheoretiker bekehren?

Mellies: Bei Anrufern kann ich ein gewisse Nachdenklichkeit schaffen. Bekehren ist ja nicht mein Auftrag. Aber bitten kann ich, im wahrsten Sinne des Wortes: Denkt doch mal nach!

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