Soziales Pflichtjahr, Dienst an der Waffe - wie Wohlfahrtsverbände in Lippe dazu stehen

Kreis Lippe. &bdquo;Man könnte den Dienst in sozialen Einrichtungen, in der Flüchtlingshilfe, in der Umwelt- und Klimaarbeit, im Katastrophenschutz oder auch bei der Bundeswehr leisten“ - mit diesem Statement hatte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schon vor drei Jahren in einer &bdquo;Rede zur Lage der Nation“ zu den &bdquo;offenbar härter werdenden Zeiten“ positioniert und ein soziales Pflichtjahr für jedermann vorgeschlagen.

Die aktuelle Diskussion zur Stärkung des freiwilligen Wehrdienstes oder zur Wiedereinführung der Wehrpflicht lief damals noch auf Sparflamme - und sie wird auch jetzt unzureichend geführt, kritisieren die lippischen Wohlfahrtsverbände. Steinmeiers Ideen zum Pflichtdienst in sozialen Einrichtungen und anderswo spielten in der öffentlichen Diskussion keine Rolle.

Die Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände in Lippe (AGFW) fordert von der Politik ein &bdquo;längst überfälliges Gesamtkonzept“. Zur AGFW gehören Diakonie, AWO, Caritas, der Paritätische und das Deutsche Rote Kreuz - keiner ihrer Sprecher positioniert sich für oder gegen eine Wehrpflicht, alle kritisieren aber: Im Moment gehe es nur darum, die Armee handlungsfähig zu bekommen. Die Briefe des Staates an die 18-Jährigen müssten auf andere Dienste als nur auf den an der Waffe hinweisen. Und es müssen nicht nur junge Männer, auch junge Frauen angeschrieben werden.

&bdquo;Haben nur gute Erfahrungen gemacht“ Über Jahrzehnte waren die Alternativen zum Bund der Zivildienst, der Katastrophenschutz oder die Verpflichtung, zehn Jahre beim Deutschen Roten Kreuz oder den Johannitern mitzuarbeiten. Jetzt sind es das FSJ und der Bundesfreiwilligendienst. &bdquo;Damit haben wir nur gute Erfahrung gemacht“, ordnet Ingo Hojer, Geschäftsführer des Paritätischen, mit Blick auf diejenigen ein, die in Seniorenheimen, Jugendzentren und anderswo ein Freiwilliges Soziales Jahr machen oder als &bdquo;Bufdi“ aktiv sein wollen. Das geht übrigens etwa auch beim Kreis Lippe oder in Sportverbänden. Das Deutsche Rote Kreuz spricht von gut funktionierenden Modellen, durch die sich sowohl für das DRK als auch für die jungen Leute Mehrwerte ergeben hätten. Auch der seinerzeitige Zivildienst habe sich bewährt.

Pfarrer Dieter Bökemeier (Diakonie) verweist auf die pädagogische Begleitung der jungen Leute in den freiwilligen Diensten, die wichtige Erfahrungen machten, oft den Beruf fürs Leben fänden. Jetzt aber sei etwas völlig Neues in der Diskussion: nämlich die Verpflichtung ausschließlich zur Bundeswehr. Diese Dienste müssten zusammen gedacht werden, und es gebe noch zahlreiche offene Fragen. Wenn die Wehrpflicht wieder eingeführt würde und damit auch ein grundgesetzlich verankertes Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen - was ist dann mit den &bdquo;Bufdis“ oder den &bdquo;FSJlern“, die ja anders bezahlt werden? Was passiert, wenn jemand zum Wehrdienst gelost oder auf anderem Weg verpflichtet werden würde und dann verweigert - müsste der dann Zivildienst machen? Wäre er dafür dann ebenso motiviert wie ein jetzt Freiwilligendienst-Leistender? Wie steht es überhaupt um die Gleichberechtigung von Männern und Frauen? Die Diakonie fordert den Rechtsanspruch auf ein freiwilliges, vom Bund auskömmlich bezahltes Gesellschaftsjahr für alle - gleich beworben und attraktiv gestaltet. &bdquo;Nicht verpflichtend, aber mit genügend vorgehaltenen Plätzen.“

&bdquo;Gesellschaft muss Antworten geben“ Abseits dieser eher formalen und organisatorischen offenen Fragen schlägt Ingo Hojer vom Paritätischen den Bogen weiter: &bdquo;Es geht im Kern um eine Antwort darauf, wie sich unsere Gesellschaft zu Leistungen innerhalb der Gesellschaft positioniert. Die Frage des gesellschaftlichen Gesamtkontextes wird jedoch völlig ausgeblendet.“ Hojer beobachtet Verunsicherungen vor allem unter den Jüngeren, vor allem angesichts der erlebten Krisen, von Corona über den Klimawechsel bis zum Ukraine-Krieg. &bdquo;Darauf muss die Gesellschaft Antworten geben.“ AWO-Geschäftsführer Rainer Klessmann stimmt zu und ist überzeugt: &bdquo;Dass so einseitig und aufgeregt in Richtung Wehrtüchtigkeit gedacht wird, löst Unmut bei der jungen Generation aus. Die jungen Leute wissen gar nicht: Ist das gewollt, dass ich mich sozial engagiere? Da wird seitens der Politik nur rumgeeiert.“ Dabei sei im Grunde allen klar, dass die Freiwilligenzahlen für den Wehrdienst nicht reichen werden. Daraus folge die Wehrpflicht für alle, daraus wiederum klare und gleichberechtigte Ersatzdienst-Regelungen.

Die ganze Diskussion läuft also noch im Konjunktiv. Noch. Aber: &bdquo;Wenn der Wehrdienst verpflichtend werden sollte, dann müssen die Bedingungen für das Gesellschaftsjahr stimmen“, sagt Bökemeier. Die Wohlfahrtsverbände müssen parat sein. &bdquo;Wir haben ein großes Pfund an Erfahrungen.“ Doch schon jetzt seien die Freiwilligendienste chronisch unterfinanziert. Komme der verpflichtende Wehr- und damit der Zivildienst zurück, müssten Strukturen in Altenhilfe, Eingliederungshilfe, Kita und so weiter neu aufgebaut werden, das gehe nicht von heute auf morgen. Gleichzeitig dürften die Freiwilligendienste, die ja auch Ältere übernähmen, nicht über Bord geworfen werden.

Der pädagogische Mehrwert der Jugendbildung müsse erhalten werden, fordert Thomas Frank, der Leiter der Diakonie. &bdquo;Wir merken in der Begleitung der Jugendlichen: Sie waren vor Corona um einiges resilienter.“ Pädagogische Arbeit werde zunehmend wichtiger, die jungen Leute seien weniger gefestigt, zuweilen weniger zuverlässig. Ein Pflichtjahr erfordere mehr Personal bei den Trägern. &bdquo;Gesamtgesellschaftlich stärken diese Dienste die Widerstandsfähigkeit gegen Krisen“, sagt Klaus Jürgen Wolf vom DRK.

Überdies: Strukturen abzuschaffen, gehe immer schnell. Sie wieder aufzubauen, etwa für die Unterbringung der Mitarbeiter, dauere. &bdquo;Gibt es dafür Mittel? Das ist unsere Sorge“, fragt Hojer mit Blick auf jetzt schon nicht auskömmliche Fördermittel. &bdquo;Wir brauchen ein gut geordnetes, gerechtes System aus der Gesellschaft heraus. Gerecht für beide Seiten. Gleich bezahlt für alle Geschlechter.“ Wer was mache, sei dann jedem überlassen und eine Gewissensfrage.

Begriffsklärungen Wehrpflicht : Die Wehrpflicht ermöglicht es einem Staat, seine Bürger zum Dienst in den Streitkräften zu verpflichten. Der Wehrdienst ist meistens zeitlich begrenzt. In Deutschland ist sie im Grundgesetz verankert. Von 1956 bis 2011 wurden Männer ab 18 Jahren zum Dienst in der Bundeswehr verpflichtet. Derzeit ist die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt. Abgeschafft wurde sie jedoch nie.

Kriegsdienstverweigerung: Über die Berechtigung, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, entscheidet das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben auf Antrag. Unabhängig von der Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht bleibt das Recht, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen gemäß Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes zu verweigern, bestehen. Im Zivildienst erfüllen anerkannte Kriegsdienstverweigerer Aufgaben, die dem Allgemeinwohl dienen, vorrangig im sozialen Bereich.

Freiwilliges Soziales Jahr: Während eines FSJ engagieren sich junge Menschen in sozialen Einrichtungen wie zum Beispiel Krankenhäusern, Kitas, Behindertenhilfeeinrichtungen oder Seniorenheimen. Ein FSJ geht in der Regel ein Jahr, ist generell aber zwischen sechs und 18 Monaten möglich. Wer ein FSJ machen möchte, muss zwischen 15 und 27 Jahren sein und die Schulpflicht erfüllt haben. Über die Tätigkeit in einer Einsatzstelle hinaus haben alle Freiwilligendienstleistenden eine pädagogische Begleitung. Dieses Programm schließt 25 Seminartage ein, was auch für ein FSJ in Teilzeit gilt.

Der Bundesfreiwilligendienst ist ein Angebot an Personen jedes Alters, sich außerhalb von Beruf und Schule für das Allgemeinwohl zu engagieren – im sozialen, ökologischen und kulturellen Bereich oder im Bereich des Sports, der Integration sowie im Zivil- und Katastrophenschutz. Die Idee: Der Bundesfreiwilligendienst sollte helfen, die Folgen der Aussetzung des Zivildienstes zumindest teilweise zu kompensieren. Eine Altersgrenze nach oben gibt es nicht. In der Regel dauert der Bundesfreiwilligendienst zwölf Monate, mindestens jedoch sechs und höchstens 18 Monate. In Ausnahmefällen kann er bis zu 24 Monate geleistet werden. (Quelle: Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben)

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