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Grippeimpfung: Wer sollte sich im Corona-Jahr impfen lassen?

Carolin Nieder-Entgelmeier

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Ärzten raten Risikogruppen in diesem Jahr dringend zu einer Grippeimpfung. - © picture alliance
Ärzten raten Risikogruppen in diesem Jahr dringend zu einer Grippeimpfung. (© picture alliance)

Bielefeld/Berlin. In der Corona-Pandemie können andere Infektionen zu zusätzlichen Risiken führen. Das gilt für Betroffene, aber auch für das Gesundheitssystem. Um Komplikationen bei Betroffenen und eine Überforderung des Gesundheitssystems im Winter zu verhindern, wird in diesem Jahr verstärkt zur Grippeimpfung geraten. Doch die Empfehlungen von Politikern und der ständigen Impfkommission stimmen nicht überein. Die Folge: Die Verunsicherung in der Bevölkerung sorgt für zusätzliche Belastung in den Praxen der Haus- und Kinderärzte. Wir haben mit Experten gesprochen, die erklären, für wen die Empfehlungen in diesem Jahr gelten.

Wer sollte sich in diesem Jahr gegen Grippe impfen lassen?

Die Ausdehnung der Grippeimpfung auf die gesamte Bevölkerung, wie sie viele Politiker fordern, lehnen die Ärztekammer und die Kassenärztliche Vereinigung in Westfalen-Lippe ab. „Wir müssen bei der Grippeschutzimpfung vorrangig die Bevölkerungsgruppen ins Auge fassen, die ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe einer Influenza oder von Covid-19 haben", sagt Ärztekammer-Präsident Hans-Albert Gehle.

Hausärztin Anke Richter-Scheer aus Bad Oeynhausen, Vorsitzende des Hausärzteverbands Westfalen-Lippe. - © Sabrina Zeuge
Hausärztin Anke Richter-Scheer aus Bad Oeynhausen, Vorsitzende des Hausärzteverbands Westfalen-Lippe. (© Sabrina Zeuge)

Die Ständige Impfkommission empfiehlt folgenden Bevölkerungsgruppen eine Grippeimpfung: Menschen ab dem 60. Lebensjahr, Menschen mit einer chronischen Grunderkrankung, Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, medizinisches Personal und andere Kontaktpersonen von Menschen mit einem erhöhtem Risiko, Schwangere und Angehörige von Berufsgruppen mit viel Publikumsverkehr.

Diese Empfehlung gilt jedes Jahr, doch in diesem Jahr ist eine Grippeimpfung nach Einschätzung von Experten aufgrund des zusätzlichen Risikos einer Infektion mit dem Coronavirus für diese Gruppen noch wichtiger als sonst, sowohl für Betroffene selbst, als auch für das Gesundheitssystem. „Je mehr Menschen sich impfen lassen, desto geringer ist die Gefahr, dass es zu Influenza-Ausbrüchen kommt", erklärt Hausärztin Anke Richter-Scheer aus Bad Oeynhausen, Vorsitzende des Hausärzteverbands Westfalen-Lippe. „Neben dem eigenen Schutz schützt man auch seine Mitmenschen, denn man verhindert durch die Impfung eine Übertragung auf andere Menschen."

Zudem reagieren Menschen laut Richter-Scheer unterschiedlich auf die Impfung. „Es kann durchaus sein, dass ich mich impfen lasse, aber trotzdem die Influenza bekomme, weil mein Immunsystem nicht reagiert hat. Es ist also wichtig, dass auch meine Umgebung geimpft ist und ein Ansteckungsrisiko so reduziert ist."

Gilt die Impfempfehlung auch für Kinder?

Ja, sagen Kinderärzte übereinstimmend, denn nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie übertragen Kinder das Influenzavirus maßgeblich. „Anders als bei der Übertragung des Coronavirus spielen Kinder bei der Übertragung des Influenzavirus durch Kitas und Schulen eine entscheidende Rolle", erklärt der Bielefelder Kinderarzt Marcus Heidemann, Vorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Westfalen-Lippe. Kinder profitieren jedoch auch selbst von einer Grippeimpfung. „Wenn Kinder an Grippe erkranken, sind die Krankheitsverläufe in der Regel mild, es gibt aber auch Ausnahmen mit schweren Verläufen."

Der Bielefelder Kinderarzt Marcus Heidemann, Vorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Westfalen-Lippe. - © Andreas Zobe
Der Bielefelder Kinderarzt Marcus Heidemann, Vorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Westfalen-Lippe. (© Andreas Zobe)

Wie bei Erwachsenen auch ist die Grippeimpfung laut Heidemann vor allem für die Kinder wichtig, die an einer chronischen Erkrankung leiden. „Diese Kinder sollten jedes Jahr gegen Grippe geimpft werden", sagt Heidemann. Wichtig sind Grippeimpfungen auch für Kinder, die engen Kontakt zu Erwachsenen mit Risikofaktoren haben. „Wenn Kinder mit Risikogruppen wie beispielsweise ihren Großeltern zusammen leben oder engen Kontakt haben, sollte sie gegen Grippe geimpft werden." Auch für gesunde Kinder, die nicht mit Risikogruppen zusammen leben, ist eine Grippeimpfung laut Heidemann sinnvoll. „Das dient dann aber mehr dem Bevölkerungsschutz."

Trotzdem wird es nach Einschätzung des Kinderarztes nicht möglich sein, alle Kinder gegen Grippe zu impfen. „Wie wir bei anderen Impfungen sehen, gibt es Eltern, die Impfungen ablehnen. Auch zeitlich und mit Blick auf die Impfstoffmengen ist das nicht möglich." Zudem gelte wie bei Erwachsenen die Regel, dass Risikopatienten Vorrang haben.

Heidemann wünscht sich von der Politik anstelle irreführender Impfempfehlungen Voraussetzungen, um die steigende Nachfrage nach Grippeimpfungen nach kommen zu können. „Die Politik erschwert unseren Praxisalltag. Kinder mit Schnupfen dürfen nicht in die Kita oder Schule und müssen so jedes Mal für ein Attest beim Kinderarzt vorstellig werden. Das belastet die Kinder und ihre Familien sowie das System", moniert Heidemann.

Vor einer Umsetzung der Pläne von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Fieberambulanzen einzurichten, rät der Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) dringend ab. „Säuglinge und Kleinkinder machen durchschnittlich acht bis zwölf Infektionen pro Jahr durch, im Herbst und Winter vor allem Atemwegsinfekte mit Fieber. Kinder und Jugendliche würden also die Patientenmehrheit in den geplanten Fieberambulanzen stellen", erklärt BVKJ-Präsident Thomas Fischbach. „Fieberambulanzen sind jedoch keine Kinder- und Jugendarztpraxen. Wir betreuen unsere Patienten oft von Geburt an. Wir wissen, wie viel Gesundheitskompetenz wir ihren Eltern zutrauen können, wir können beurteilen, welche Familie mit Husten, Schnupfen und Fieber gut alleine klarkommt und wer eng betreut werden muss."

Kinderärzte nutzen die Besuche fiebernder Patienten laut Fischer auch, um auf fehlende Vorsorgen und Impfungen hinzuweisen. „All dies können Fieberambulanzen nicht leisten. Sie würden unser ganzheitliches Betreuungskonzept sogar empfindlich stören. Vor allem sehr junge Kinder werden verunsichert und verlieren ihr Zutrauen zu Ärzten, wenn sie statt in die vertraute Praxis in eine Fieberambulanz gebracht werden, wo sie auf fremdes Personal treffen."

Welche Gefahren drohen Menschen, die besonders gefährdet sind, sich aber nicht gegen Grippe impfen lassen?

„Bei Menschen, die sich aus welchen Gründen auch immer nicht impfen lassen können oder wollen, besteht ein höheres Risiko, an Influenza und womöglich an einer zusätzlichen, sich aufpfropfenden, Infektion zu erkranken", erklärt Richter-Scheer. „Geschützt werden können diese Menschen aber durch eine Herdenimmunität, wenn sich die Umgebung impfen lässt und so das Ansteckungsrisiko minimiert wird."

Wann sollten sich Kinder und Erwachsene gegen Grippe impfen lassen?

„Bei der Grippeimpfung ist der richtige Zeitpunkt wichtig, da der Körper nach der Impfung zwei bis drei Wochen benötigt, bis genügend Antikörper gebildet werden, um wirksam vor einer Influenzainfektion zu schützen", erklärt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, Volker Schrage. „Daher empfehlen wir eine Impfung im Oktober." Nach Angaben von Hausärztin Richter-Scheer ist der optimale Zeitraum für die Grippeimpfung Oktober bis Mitte November.

Kinder können laut Heidemann ab dem sechsten Monat geimpft werden. „Kinder unter neun Jahren, die erstmalig geimpft werden, sollten bei bestimmten Impfstoffen im Abstand von vier Wochen zwei Impfungen erhalten."

An wen wenden sich Menschen, die sich gegen Grippe impfen lassen möchten?

„An ihren Hausarzt, denn er kann entscheiden, ob die Impfung indiziert ist oder nicht", erklärt Richter-Scheer. Das gelte auch für Menschen, die sich gern gegen Grippe impfen lassen möchten, aber zu keiner der empfohlenen Risikogruppen zählen. „Die Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes sind Empfehlungen, keine Richtlinien. Das bedeutet, dass ich als Arzt darüber hinaus individuell entscheiden kann, ob jemand trotzdem eine Impfung gegen Influenza bekommt oder nicht." Die Hausärztin geht nicht davon aus, dass es Probleme mit der Abrechnung der Impfung geben wird, wenn sie medizinisch zu begründen ist.

Eltern sollten Unsicherheiten mit dem Kinderarzt besprechen. „Das passiert bereits. Wir haben deutlich mehr An- und Nachfragen als in den Jahren zuvor", sagt Heidemann.

Wer zahlt die Impfung?

Die Grippeimpfung ist nach Angaben der ständigen Impfkommission nur für bestimmte Bevölkerungsgruppen eine Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenkassen. Viele Krankenkassen erstatten jedoch auf Anfrage auch bei Nichtrisikogruppen.

Sind die Hausärzte in Westfalen-Lippe auf eine steigende Nachfrage vorbereitet?

„Ja, ich denke, dass wir Ärzte in Westfalen-Lippe der steigenden Nachfrage gewachsen sind", sagt Richter-Scheer. Die Kassenärztliche Vereinigung hat den Vertragsärzten in Westfalen-Lippe im Frühjahr die Möglichkeit gegeben, ihre Impfstoffbestellungen für die Saison 2020/21 noch einmal anzupassen, um auf eine höhere Nachfrage vorbereitet zu sein. „Dieses Vorgehen wurde auch vom Robert Koch-Institut empfohlen", erklärt KVWL-Vorstand Thomas Müller.

Was kann die Gesellschaft noch tun, um möglichst gesund durch den Winter zu kommen?

Für alle gilt die AHA-Formel: A wie Abstand halten, H wie Hygiene beachten und A wie Alltagsmaske tragen. „Die Beachtung der Hygieneregeln ist in diesem Jahr besonders wichtig", erklärt Kinderarzt Heidemann. Experten gehen sogar davon aus, dass die Grippe und andere saisonale Infektionskrankheiten dadurch ausgebremst werden können. Zahlen der Krankenkasse IKK Classic zeigen für das Frühjahr und den Sommer 2020, dass die Zahl schwerer Infekte durch die Corona-Schutzmaßnahmen zurückgegangene sind.

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