Chefarzt blickt besorgt auf stark überlastete Kinder- und Jugendpsychiatrie

Kreis Lippe/ Bad Salzuflen. Die Situation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bad Salzuflen spitzt sich zu. Viele junge Menschen brauchen derzeit professionelle Hilfe, die Wartelisten sind aber voll wie nie. "Wir haben aktuell etwa 320 Patientinnen und Patienten auf der Warteliste", sagt Chefarzt Dr. Ulrich Preuss. Allein die Zahlen sprächen Bände, erklärt er: Denn die Klinik sei eigentlich darauf ausgelegt, etwa 200 junge Menschen im Jahr zu behandeln, dazu kämen zusätzlich laufend Notfälle. "Daran sieht man, wie ernst die Lage ist."

Lippe sei in dieser Hinsicht kein Einzelfall, auch an anderen Kliniken in OWL und darüber hinaus sehe es derzeit kritisch aus. Andere psychiatrische Kliniken würden daher inzwischen schon komplett auf Wartelisten verzichten, um den Familien erst gar keine Hoffnung zu machen, berichtet Dr. Preuss. An seiner Klinik hatte zuletzt ein Wasserschaden die Situation verkompliziert. "Wir wollten eine Station eigentlich nach Lemgo auslagern, um den Schaden in Ruhe beheben zu können", sagt der Chefarzt. "Und ausgerechnet dann kam es dort zum Brand." Das Feuer, das Mitte Januar in einem Patientenzimmer auf der Pneumologie in Lemgo ausgebrochen war , wirkte sich also indirekt mit auf den Ablauf der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Bad Salzuflen aus.

"Es war schon etwas chaotisch, aber wir konnten letztendlich die Situation im Haus umorganisieren", sagt Dr. Preuss. Darüber hinaus ist laut Dr. Christine Fuchs, medizinische Geschäftsführerin des Klinikums Lippe , derzeit im Gespräch, künftig einzelne Fälle in der Pädiatrie am Standort Detmold zu behandeln, um die Situation zu entlasten. Auch wenn die Lage angespannt sei, möchte Dr. Fuchs eins besonders betonen: "Die Umstände sind zwar widrig, aber die Notfallversorgung ist zu jeder Zeit gegeben", sagt sie.

Dennoch beobachtet der Chef der Kinder- und Jugendpsychiatrie die derzeitige Situation mit großer Sorge. Schließlich sind die Wartelisten laut Dr. Preuss im Vergleich zum sonst eh schon anspruchsvollen Klinikalltag inzwischen um das Fünf- bis Sechsfache gestiegen. Vieles werde zwar, soweit möglich, ambulant behandelt, doch gerade wenn Gewalt, Missbrauch oder schwere familiäre Zerwürfnisse Teilauslöser der Krankheit seien, werde es schwierig. "Die Kinder und Jugendlichen müssen ja irgendwo hin."

Klinikneubau liegt schon lange auf Eis Die begrenzten Kapazitäten seien für den immer größer werdenden Andrang an jungen Betroffenen nicht zu bewältigen, diese Entwicklung sei längst absehbar gewesen . "Schon seit 2016/2017 streben wir eine Vergrößerung in Minden an, bisher hat es mit der Finanzierung nicht geklappt", sagt Dr. Preuss. Immerhin: Weiterführende Gespräche des aus allen beteiligten Kreisen zussammengesetzten Beirats, darunter Lippe, Minden-Lübbecke und Herford, hat es erst kürzlich gegeben. Einen Durchbruch kann die medizinische Geschäftsführerin Dr. Christine Fuchs zwar nicht verkünden, dennoch stimme das Treffen zuversichtlich. Allen Kreisen sei sehr daran gelegen, die Kapazitäten der Kinder- und Jugendpsychiatrie auszubauen.

Nur der Weg dahin ist steinig, der Prozess zieht sich schon seit Jahren hin. Hoffnung mache jetzt ein neuer Fördertopf, sagt Dr. Christine Fuchs. Das Land NRW wolle in der laufenden Krankenhausbedarfsplanung ab 2024 nach einer neuen Systematik auch Einzelförderprojekte nach konkreten Leistungsspektren unterstützen. "Es wäre schön, wenn wir da nicht leer ausgingen", sagt Dr. Fuchs. Dann könnte der geplante Neubau in Minden endlich starten. Wie groß der Bedarf ist, sehe auch die Politik.

Dennoch wachse die Problematik ununterbrochen weiter. Laut Dr. Ulrich Preuss wird der Ernst der Lage letztendlich nicht erkannt, weil die Gesellschaft bei psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen zu oft wegsieht, anstatt deren Existenz anzuerkennen. "Wenn mal ein Fiebersaft fehlt, regen sich die Leute auf, dass wir weitaus größere Probleme haben, wollen viele aber nicht wahrhaben", sagt Preuss. Aus seiner Stimme spricht ein stückweit Resignation mit. Eine erkrankte Psyche werde viel zu sehr tabuisiert, gerade wenn junge Menschen betroffen sind.

Ressourcen umverteilen Aber was, wenn es langfristig weder mehr Raum noch mehr Personal gibt, um die Situation zu entschärfen? Aus Sicht des Chefarztes müsse man überlegen, ob die vorhandenen Ressourcen allgemein im Krankenhausalltag nicht umgeschichtet werden könnten. "Viele postoperative Überwachungen können beispielsweise inzwischen auch von zuhause stattfinden", sagt Preuss. Der Patient werde dann via Bluetooth über sein Handy angeschlossen und überwacht. Sollte etwas nicht stimmen, werde das Signal sofort weitergeleitet. "Da bekommt man letztendlich schneller Hilfe als auf einer überlasteten Station", sagt Dr. Ulrich Preuss. Der Druck sei überall präsent.

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