Ernte in Lippe: Die jetzigen Probleme sind erst der Anfang

Kreis Lippe. Endlich Sonne satt – keine Niederschläge: Die Wettervorhersage hat bereits am Donnerstag auf den heimischen Bauernhöfen eine Menge in Bewegung gesetzt. Kaum ein Mähdrescher, der nicht in den Startlöchern stand und spätestens am Freitag zum Großangriff ansetzte. Doch auch, wenn das Getreide halbwegs trocken in Scheunen und Silos landet: Ob es am Ende gut verkäuflich sein wird, steht in den Sternen. Ein Hofbesuch.

Auch Bio-Landwirt Ulf Allhoff-Cramers Blick geht an diesem Donnerstagvormittag immer wieder gen Himmel und auf das Feuchtemessgerät: &bdquo;Können wir wohl schon anfangen?“, auch sein Getreide wartet seit zwei Wochen darauf, geerntet zu werden.

Blumenwiese am Feldrand Drüben, einen halben Kilometer Richtung Cappel, hat der Nachbar bereits angefangen: Zwei Mähdrescher arbeiten sich durch den längst überreifen Raps, hinterlassen dichte Staubwolken – natürlich nicht vom trockenen Boden wie in den vergangenen Jahren: Die papierdünnen Schotenwände zerfallen beim Dreschen zu Staub.

Derweil steht Ulf Allhoff-Cramer vor seinem Roggenfeld: Die Sonne hat die Bienen und Hummeln auf den Blühstreifen gelockt, in dem Sonnenblumen leuchten: &bdquo;Da war die Saatmaschine leer, da habe ich mit der Hand noch eine Blumenmischung gesät“, erzählt der 63-Jährige lachend. &bdquo;Das ist ein kleiner Beitrag zur Biodiversität. Wir Menschen rotten in dieser Zeit dermaßen viele Arten aus wie in Jahrtausenden vorher nicht.“

Da wachsen auch Strandkamille und vieles mehr, &bdquo;an einigen Stellen sogar Ackerwinde“, sagt der Landwirt stolz, um gleich ein Liedchen anzustimmen: &bdquo;Ackerwinde, du Blümlein fein, winde aus dir mir ein kleines Kränzelein“, tönt die alte Volksweise über die sonnenbeschienenen Felder mit Allhoff-Cramers sonorer Stimme.

Getreide keimt bereits auf dem Feld aus Der Bio-Bauer macht einen großen Schritt über ein lehmiges Loch im Boden, hier ist die feuchte Erde aufgewühlt: &bdquo;Das waren die Wildschweine, aber glücklicherweise haben sie nicht viel Schaden angerichtet.“ Der Roggen steht wie eine Eins, kaum ein Hälmchen geknickt, die Starkregen der vergangenen Wochen haben den Ähren offenbar wenig anhaben können.

Doch dann pflückt Allhof-Cramer ein paar davon und befreit die Körner von Spelzen und Grannen. Er beißt auf ein Korn: &bdquo;Eigentlich ist das noch zu feucht, sonst wären die Körner nicht zu beißen. Und schauen Sie, hier haben wir das Problem: Die Körner beginnen zu keimen.“

Genau das macht den Bauern landauf, landab Sorgen: &bdquo;Bereits bevor man den ersten Keimansatz sehen kann, hat die Pflanze begonnen, das Korn umzubauen, und damit verliert es die guten Eigenschaften fürs Brotbacken.“ Was saftige Einbußen für ihn und all seine Kollegen zur Folge haben wird: &bdquo;Es ist schon ein Unterschied, ob man 30 oder nur 20 Euro pro Tonne Getreide bekommt“, sagt er. Besonders für seinen Sohn Hendrik ist das bitter, der Ingenieur für Umwelttechnik hat gerade den Hof übernommen. &bdquo;Und dann gleich sowas im ersten Jahr, das ist heftig“, sagt der Vater. Dabei könnte Hendrik Allhoff-Cramer in der Windkraftbranche mit weniger Arbeit und Risiko das Doppelte verdienen, habe sich dennoch für die Landwirtschaft entschieden.

"Wir müssen endlich umdenken" Der Junior ist gerade mit dem Fahrrad zur Viehweide unterwegs, um nach einem Nachzüglerkälbchen zu schauen, das erst vor drei Tagen geboren ist. &bdquo;Denn trotz allem ist es wirklich ein toller Beruf“, betont Ulf Allhoff-Cramer.

Fast mit Tränen in den Augen steht der 63-Jährige wenig später ein paar Kilometer weiter in einem weiteren Feld: &bdquo;Schauen Sie doch mal, wie toll der Weizen steht.“ Die goldgelben, durch den Regen leicht angegrauten Ähren wiegen sich im Sommerwind. Und doch muss er damit rechnen, dass das alles nur noch als Viehfutter taugt, auch wenn hier die Keimlinge noch nicht so deutlich zu sehen sind.

Doch den Allhoff-Cramers geht es nicht nur um den finanziellen Verlust. &bdquo;Es bringt nichts, jedes Jahr nur davon zu sprechen, wie gerade die Ernte ausfällt. Wir müssen endlich umdenken, denn die Wetterextreme der vergangenen Jahre wie Dürre und Starkregen sind glasklar die Folgen des Klimawandels. Und das, was wir jetzt erleben, das ist erst der Anfang, es wird noch viel, viel schlimmer werden.“ Die Welt steuere auf eine Erderwärmung um die 3 Grad zu, die entscheidende Grenze von 1,5 Grad sei bald überschritten. &bdquo;Doch anscheinend ist das immer noch nicht in der Politik angekommen.“

Futteranbau für eigene Tiere ausgeweitet Aus gutem Grund hat er selbst sein idyllisch gelegenes Bauernhaus längst mit Photovoltaik-Elementen bedeckt. &bdquo;Wir müssen endlich aufhören, so viele fossilen Brennstoffen zu verbrauchen“, sagt er, während die Bereisung durch die traurigen Reste eines Mischwaldes mit kahlen Fichtengerippen führt. &bdquo;Wir haben Wald im Sauerland“, berichtet der gebürtige Balver mit Blick auf die toten Bäume, &bdquo;und da sieht es genauso aus. Ich habe angefangen, ganz viele verschiedene Baumarten zu pflanzen, aber es weiß doch keiner, welche Baumarten wirklich künftig noch eine Chance haben.“

In den vergangenen Jahren mussten seine etwa 25 Mutterkühe immer wieder auf steppenartigen Weiden stehen, es gab einfach kein Gras aufgrund der Trockenheit. In vier der vergangenen fünf Jahre herrschte Dürre. &bdquo;Das Land verbrennt und viele Bauern sind in Not“, hat Allhoff-Cramer damals in einem Brandbrief formuliert.

Jetzt stehen die Mutterkühe mit ihren Kälbchen auf einer saftig grünen Weide. Nebenan liegt frisch gemähter Klee. Weil sie im vergangenen Jahr Futter haben zukaufen müssen, hat Allhoff-Cramer die Anbaufläche für Grünfutter fast verdoppelt.

Die Futtererbsen nebenan sind teilweise schon weit ausgekeimt, die Pflanzen haben dem Starkregen nicht standhalten können und liegen am Boden. &bdquo;Wir wissen nicht, ob wir die noch vermarkten können.“ Er sagt es mit Resignation in der Stimme, weil ihn eigentlich der Klimawandel umtreibt und es um das große Ganze geht.

An zu billige Lebensmittel gewöhnt? Doch wie verträgt sich die Viehhaltung und damit die Fleischproduktion mit dem Klimaschutz? – Die Frage beantwortet er gelassen: &bdquo;Wenn Fleisch so produziert wird, wie wir das tun, wenn wir die Tiere mit unserem eigenen Grünfutter ernähren, ist das eine sinnvolle Sache.“ Im Übrigen sei das vielfältige ökologische Grünland ein wichtiger Beitrag gegen den Artenverlust und speichere eine große Menge C02.

Der Fleischverkauf sei aktuell verhalten: &bdquo;In diesen Zeiten sparen die Leute wieder am Essen, wollen sich das etwas teurere Biofleisch nicht leisten. Sie könnten es vielleicht, müssten dann aber andere Prioritäten setzen. Wir leben in einem Land, in dem wir uns an viel zu billige Lebensmittel gewöhnt haben.“

Während der Unterhaltung hat er an jedem Standort Proben genommen. Jetzt wird der Landwirt jede einzelne auf ihren Feuchtigkeitsgehalt prüfen und dann wissen, wo der Mähdrescher anfangen muss. Denn eins ist für ihn und seinen Sohn klar: &bdquo;Aufgeben gilt nicht.“

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