Verfolgungsfahrt mit 34 Schüssen: Notarzt soll Fotos vom Einsatz verbreitet haben

Kreis Lippe/Bad Salzuflen. Während ein von mindestens fünf Polizeikugeln getroffener 19-Jähriger am Morgen des 3. Juni in einer Holzhauser Sackgasse um sein Leben kämpft, soll ein vom Kreis Lippe eingesetzter Notarzt mit seinem Privathandy Fotos gemacht und diese an beteiligte Rettungskräfte weitergeleitet haben. Es geht dabei um die folgenschwere Verfolgungsfahrt von Herford nach Bad Salzuflen, die mit 34 Schüssen aus polizeilichen Dienstpistolen endete. Der Kreis Lippe hat den als Honorarkraft beschäftigten Notarzt seit Bekanntwerden des Vorfalls nicht mehr eingesetzt - und will das nach eigenen Angaben auch nicht mehr tun.

Fotos von schweren Unfällen und laufenden Einsätzen dürfen aus Dokumentationszwecken einzig mit den extra in den Rettungswagen verstauten und dafür vorgesehenen i-Pads gemacht werden, teilt der Kreis Lippe mit. "Die damit angefertigten Bilder landen umgehend in der Leitstelle und werden von dort direkt, wenn nötig, an beteiligte Krankenhäuser geschickt - also da, wo sie hingehören", sagt Kreis-Sprecher Patrick Bockwinkel. Somit sei im Arbeitsalltag der Rettungskräfte schon grundsätzlich ausgeschlossen, dass Fotos an Unbefugte oder Dritte weiterverschickt werden könnten.

Kreis verbietet Bild- und Tonaufnahmen von Rettungseinsätzen Dass es trotzdem Bilder vom laufenden Einsatz gibt, scheint den Kreis überrascht zu haben. Offenbar nicht grundlos: Festangestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rettungsdienstes des Kreis Lippe hielten sich bereits seit Jahren an die geltende Dienstanweisung, nach der mit dem Privathandy keine Aufnahmen von Einsätzen gemacht werden dürften. Bisher habe es allerdings dazu keine mündliche Dienstanweisung für eingesetzte Honorarkräfte gegeben. "Wir hielten das bisher nicht für nötig - für uns war es eine Selbstverständlichkeit", sagt Kreis-Sprecher Patrick Bockwinkel. Seit Bekanntwerden der Vorwürfe sei der dazugehörige Passus nun in die schriftlichen Honorar-Verträge mitaufgenommen worden.

Der Vorfall war intern überhaupt erst nach einer Berichterstattung des Nachrichtenmagazins "Spiegel" Thema geworden, das rund zwei Wochen nach dem deutschlandweit Aufsehen erregenden Polizeieinsatz in seiner Recherche eine "erfahrende Rettungskraft" zitierte und dazu ein privat geschossenes Einsatzfoto veröffentlichte. Im Artikel unter der Online-Überschrift "Die hatten den doch schon" wird beschrieben, wie die Leitstelle des Kreises Lippe fünf Rettungskräfte und einen Notarzt unter dem Einsatzstichwort "Schussverletzung" in die besagte Salzufler Sackgasse schickt. Der Kreis Lippe bestätigt das.

"Hinweise auf exzessive Polizeigewalt" Der Informant gibt dem Magazin gegenüber dazu Details über die genauen Schussverletzungen des 19-Jährigen preis. Es wird ebenfalls auf Fotos des laufenden Einsatzes eingegangen, von denen der Spiegel eins mit der Quelle "Privat" veröffentlicht hat. Es zeigt das offenbar in die Beifahrerseite eines Polizeiwagens geprallte Auto des Fluchtfahrers (19) mit Einschusslöchern. Dahinter stehen Rettungskräfte, die dem Augenschein nach mutmaßlich gerade eine am Boden liegende Person versorgen - ein uniformierter Polizist hält einen Infusionsbeutel hoch.

Der als erfahrene Rettungskraft eingeführte Informant wird im Beitrag dahingehend zitiert, dass aus seiner Sicht vieles am Einsatzort auf "exzessive Polizeigewalt" hindeute. Der veröffentlichte Text sei daraufhin Gesprächsthema unter den beteiligten Einsatzkräften in der Leitstelle gewesen - keiner hätte eigenen Angaben zufolge Informationen weitergegeben oder gar Fotos gemacht. "Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rettungsdienstes fühlten sich an den Pranger gestellt", sagt Kreis-Pressesprecher Patrick Bockwinkel.

Notarzt soll Vorwürfe eingeräumt haben In darauffolgenden Gesprächen zur Aufarbeitung mit den Vorgesetzten sei dann herausgekommen, dass der eingesetzte Notarzt Bilder während des Einsatzes gemacht und an einige beteiligte Rettungskräfte per Messengerdienst weitergeschickt haben soll. Der Notarzt ist daraufhin vom Kreis mit den Vorwürfen konfrontiert worden und hat diese schriftlich eingeräumt, heißt es vom Kreis. Allerdings bestreitet der Betroffene laut Kreis, der Informant des Spiegels zu sein. "Wir glauben den Darstellungen unserer festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter", sagt Patrick Bockwinkel.

Auf eine Anzeige gegen den Notarzt habe der Kreis Lippe bisher verzichtet. Der Betroffene soll damit gedroht haben, selbst einen Anwalt einzuschalten, weil bereits fest eingeplante Dienste vom Kreis storniert worden seien. "Uns liegt aber bisher keine Schadensersatzforderung vor", sagt Bockwinkel. Staatsanwältin Johanna Bretthauer hat von den Vorwürfen gegen den Notarzt am Freitag aus der Presse erfahren. Zum konkreten Fall gebe die Staatsanwaltschaft derzeit keine Auskünfte, schreibt die Staatsanwältin später.

Grundsätzlich haben sowohl Staatsanwaltschaft als auch die Polizei die Möglichkeit, Ermittlungen von Amts wegen einzuleiten, sollte der Anfangsverdacht einer Straftat bestehen. Eine Einschätzung zu den konkreten Vorwürfen bleibt aus.

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