Opfer sind fassungslos: Prozess gegen Salzufler kann in Lemgo nicht beendet werden

Lemgo/Bad Salzuflen/ Bielefeld. Die Stimme der 24-Jährigen bricht kurz, während sie auf dem Flur des Amtsgerichts Lemgo über das spricht, was sie und ihr Bruder (26) in den frühen Morgenstunden des 21. Oktobers 2021 in Bielefeld durchgemacht haben. &bdquo;Ich lebe seitdem in ständiger Angst“, sagt die junge Frau und senkt ihren Blick. Sie habe komplett das Vertrauen in die Menschheit verloren. &bdquo;Ich bin völlig paranoid geworden.“ Auf der Straße müsse sie sich ständig umdrehen, fühle sich nirgendwo mehr sicher.

Nun hat der Strafprozess gegen die mutmaßlichen Angreifer von damals erneut Wunden aufgerissen. Zu einem Urteil gegen einen der Tatverdächtigen kommt es auch beim geplanten Fortsetzungstermin am Montagmittag nicht. Von drei Angeklagten ist theoretisch einer übrig geblieben, die Anklagebank bleibt jedoch ganz leer. &bdquo;Ich bin sprachlos“, sagt der Bruder und tigert unruhig über den Flur. Das Verfahren finde einfach keinen Abschluss.

Es ist zwei Jahre her, dass mehrere junge Männer die Geschwister nachts vor einem Döner-Laden in Bielefeld äußerst brutal verprügelt haben sollen. Von dem Angriff gibt es Videoaufnahmen, aufgezeichnet von einer gegenüberliegenden Überwachungskamera, die das Geschehen dokumentiert.

&bdquo;Ich gebe mein Bestes, normal zu leben“ Bei der laut Anklage gefährlichen Körperverletzung soll das Trommelfell der damals 22-Jährigen neben weiterer Verletzungen am Kiefer sowie einer Gehirnerschütterung gerissen sein. Die junge Frau klagt noch zwei Jahre später über ein &bdquo;Pochen“ im Ohr. Sie habe ihrem am Boden liegenden Bruder damals nur helfen wollen, dann sei sie selbst verprügelt worden. Bis heute befinde sich die Medizinische Fachangestellte wegen des Angriffs in Therapie, da sie mit dem Alltag überfordert sei. &bdquo;Ich gebe mein Bestes, normal zu leben, aber es klappt einfach nicht.“

Beim Prozessauftakt im November sitzen nun drei von der Staatsanwaltschaft ermittelte, mutmaßliche Täter aus Lemgo und Bad Salzuflen wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Jugendschöffengericht auf der Anklagebank. Zwei von ihnen waren zum Tatzeitpunkt vor zwei Jahren laut Amtsgerichtsdirektorin Petra Borgschulte noch unter 18 Jahre, nur der mutmaßliche Haupttäter aus Bad Salzuflen ist bereits 26 Jahre alt und war schon damals erwachsen.

Weil nach dem ersten Prozesstag die &bdquo;Tatbeteiligung der beiden Jugendlichen unklar beziehungsweise geringfügig“ gewesen sei, hatte Richter Fatih Tektin das Verfahren gegen den einen jungen Mann laut Amtsgerichtsdirektorin gegen eine &bdquo;richterliche Ermahnung“ endgültig eingestellt. Der andere junge Täter soll 30 Stunden gemeinnützige Arbeit innerhalb von drei Monaten leisten, dann werde auch das Verfahren gegen ihn eingestellt. Genaue Hintergründe kann die Amtsgerichtsdirektorin nicht nennen.

Angeklagter erscheint nicht Am Montagmittag soll es dann eigentlich zu einem Urteil gegen den verbliebenen, bereits vorbestraften Angeklagten aus Bad Salzuflen kommen, doch Verteidiger Jerrit Schöll nimmt ohne seinen Mandanten im Saal Platz. &bdquo;Er liegt wohl wegen eines Herzinfarktes seit Samstag auf der Intensivstation“, sagt der Bielefelder Strafverteidiger. Die Info habe Schöll über die Angehörigen seines Mandanten bekommen, einen Beleg der Spezialklinik in Bad Oeynhausen will er nachreichen.

Schon den ersten Hauptverhandlungstag hatte der Angeklagte laut Gericht aus gesundheitlichen Gründen kurz vor Schluss abbrechen müssen. Richter Fatih Tekin bleibt beim geplanten Fortsetzungstermin nichts anderes übrig als die Hauptverhandlung auszusetzen. Die Pause zwischen zwei Prozesstagen darf laut Strafprozessordnung nicht die Frist von drei Wochen überschreiten. Das Verfahren muss daher neu aufgerollt werden.

Prozess muss neu aufgerollt werden Streng genommen würde das bedeuten, dass auch die beiden Geschädigten ihre Aussage vor Gericht wiederholen müssten, das will das Gericht den Betroffenen aber anscheinend ersparen. Da sich alle Prozessbeteiligten mit der Verlesung der Vernehmungsprotokolle aus der Hauptverhandlung einverstanden erklären, müssen die Geschwister beim nächsten Prozesstermin nicht noch einmal die Erlebnisse wiedergeben.

Ihre Aussage vor Gericht mit den teils bohrenden Fragen der Verteidigung, habe insbesondere die Schwester beim ersten Prozesstag sehr belastet. &bdquo;Ich habe versucht, nicht zu weinen, aber es war so, als wollte man mich verunsichern“, sagt sie. Seit dem Vorfall habe die 24-Jährige generell Probleme mit dem Gedächtnis. Sich genau zu erinnern, wer zu welchem Zeitpunkt, wo gestanden und wann zugeschlagen habe, sei ihr schwergefallen.

Der Prozessauftakt habe die junge Frau so sehr aufgewühlt, dass sie seitdem krankgeschrieben ist und nicht mehr arbeiten kann, sagt sie. Auch ihr älterer Bruder könne die Folgen des nächtlichen Angriffs bis heute nicht abschütteln. Die zähe juristische Aufarbeitung mache ihm genauso zu schaffen. &bdquo;Man fühlt sich als Opfer weder ernst- noch wahrgenommen“, sagt er. Nun müssen die Geschwister noch knapp drei Monate warten, bis der Prozess erneut verhandelt wird. Ein Urteil könne ihnen helfen, endlich damit abzuschließen - das zumindest hoffen die Geschwister.

Am 27. Februar 2024 soll vor dem Jugendschöffengericht am Amtsgericht Lemgo erneut verhandelt werden. Der Prozess findet um 9 Uhr in Saal 102 statt. Dann sollen auch noch einmal die Videoaufnahmen gezeigt werden.

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