Aus für den „Kabelzwang“: Spätestens ab Juli hat jeder Mieter in Lippe die Qual der Wahl

Kreis Lippe. Für Tausende Mieter im Kreis Lippe ist es spätestens zum 1. Juli mit dem &bdquo;Kabelzwang“ vorbei. Konnten Hausbesitzer bislang für komplette Wohnblöcke den TV-Empfang per Kabel diktieren und über die Nebenkosten (Stichwort: Nebenkostenprivileg) direkt abrechnen, ist das Mitte 2024 Geschichte.

Jeder Mieter darf nach einer Gesetzesänderung nun gucken, wie es ihm passt. Die Kosten der neuen Freiheit: drohender Schüssel-Wildwuchs an der Hausfassade, Einbußen für Bürgergeld-Empfänger und drohende Haustürgeschäfte, die sich im Nachhinein als überteuert oder gar unnötig erweisen.

&bdquo;Unterschreiben Sie nichts an der Haustür“ Von letzteren kann beispielsweise der Fernsehtechnikermeister Kai Czechau aus Lemgo ein Lied singen. Eine Kundin sei gerade erst zu einem Zwei-Jahres-Vertrag eines etablierten Streaming-Anbieters überredet worden. Czechau: &bdquo;Nun hat die Dame ein zusätzliches Gerät samt Programmoberfläche, das sie nicht bedienen kann, eine zweite Fernbedienung ... und höhere Kosten für den Gesamtvertrag“.

Denn: Der Fernseher der Kundin mit eingebautem Kabel-Receiver könnte auch über den 1. Juli hinaus durchaus einfach weiter Kabel-Fernsehen empfangen - zum kleineren Preis. Kein Wunder, das die Verbraucherzentrale dringend rät: &bdquo;Lassen Sie sich nicht überrumpeln, unterschreiben Sie nichts an der Haustür. Vor allem: Keine Panik - niemand nimmt Ihnen von heute auf morgen den Fernsehanschluss weg.“

Bildschirm am 1. Juli nicht plötzlich schwarz Das bestätigt auch Czechau: Zwar darf sich jeder Mieter spätestens ab Juli für einen anderen Übertragungsweg als Kabel entscheiden (Satellit, IP-TV via Internet oder digitales Antennenfernsehen wären die Alternativen), er muss es aber nicht. Fakt ist: Zum Stichtag wird wohl niemandem einfach so das Kabel stillgelegt. &bdquo;Das lässt allein die Kabelstruktur in den meisten Mietshäusern nicht zu“, beruhigt TV-Profi Czechau, der im Zweifel qua Job für die Beratung durch einen Unterhaltungs- und Fernsehtechniker plädiert.

Auch Norbert Stukenbröker vom Haus- und Grundeigentümerverein Lemgo und Umgegend rechnet nicht mit Stress rund um den 1. Juli. Nicht nur, dass technisch erstmal alles weiterlaufen dürfte, &bdquo;die Firmen haben ja auch ein Interesse daran, dass die Kunden bleiben und die Verträge fortgeschrieben werden“.

Was indes zugenommen hat, sind die sogenannten Drückerkolonnen, die gezielt Werbung für alternative TV-Modelle machen. Berichte über dabei unsanfte Methoden hat auch Andreas Riepe, Sprecher und Prokurist bei der Wohnbau Lemgo, gehört: &bdquo;Da ist dann die Rede davon, dass das Fernsehen ab sofort nur noch gut funktioniert, wenn man gleich den 80-Euro-Glasfaser-Anschluss dazu bucht.“

Wohnbau Lemgo sorgt für sanften Übergang Der alte Rahmenvertrag, den die Wohnbau Lemgo, größter Wohnungsvermieter im Kreis Lippe, mit Vodafone abgeschlossen hatte, kam dagegen auf nicht einmal zehn Euro im Monat. Von 2300 Wohnbau-Einheiten waren so stolze 2000 mit dem klassischen Kabel-TV standardmäßig versorgt - ein Posten, der einfach auf der jährlichen Nebenkosten-Abrechnung auftauchte und nicht abwählbar war.

Das ist er nun aber, so wie es die Politik gewünscht hatte. Um den Übergang zur Wahlfreiheit für die Lipper sanft zu gestalten, hat die Wohnbau Lemgo Sonderkonditionen bei Vodafone ausgehandelt. Für all die Mieter, die beim Kabel-TV bleiben wollen. Die neuen Modalitäten seien in vielen Fällen sogar günstiger als die alten, sagt Riepe.

Sat-Schüssel bleibt kostenmäßig unschlagbar Denn die Wohnbau Lemgo, die den Kabel-Anschluss bereits Ende März und damit einige Monate eher als es das Gesetz verpflichtend vorsieht, aus der Nebenkosten-Rechnung streicht, hat eine Sorge: Dass viele Mieter nun auf Satelliten-Fernsehen setzen. Hat dieses doch, wie Fernsehtechnikermeister Kai Czechau weiß, einen Vorteil: &bdquo;Ich investiere einmalig in eine kleine 45-Zentimeter-Schüssel - Kabel durch die Wand, das war es.“

Monatliche Gebühren? Fehlanzeige! &bdquo;Nach eineinhalb Jahren habe ich die Kosten bei der Schüssel spätestens wieder raus“, sagt Czechau. Das Ganze hat einen Haken: Wenn jeder Mieter eine Sat-Schüssel an die Fassade hängt, verschandelt das unter Umständen die Optik des Gebäudes. Außerdem drohen laienhafte Arbeiten an einer Fassade, die angesichts der heute üblichen Wärmedämm-Verbundsysteme keine Fehler verzeiht.

Nachdem die Wohnbau vor einigen Jahren schon mal rigoros gegen den Schüssel-Wildwuchs an den Fassaden vorgegangen war, ist sie jetzt vorgewarnt: &bdquo;Wir werden aufpassen, dass unsere Fassaden schüsselfrei erhalten bleiben“, verspricht Wohnbau-Prokurist Riepe und hat das Recht auf der Wohnbau-Seite: Vermieter müssen Sat-Schüsseln fast immer zustimmen. &bdquo;Und das werden wir nicht tun.“

Weniger Ärger für Vermieter bei Störungen Norbert Stukenbröker von Haus und Grund hingegen erwartet diesbezüglich keinen großen Ärger. &bdquo;Für viele jüngeren Leute ist das lineare Fernsehen doch gar kein Thema mehr - denen reicht das Internet“, weiß der Interessenvertreter von Mietern aus Lemgo. Stukenbröker erkennt im Gegenteil auch Vorteile für Vermieter.

Dazu gehöre weniger, dass ein Posten bei der Nebenkostenabrechnung entfalle. Das seien &bdquo;Peanuts“ ... Der Ärger, wenn das Fernsehen mal nicht wie versprochen läuft, sei hingegen schon ein Dauerbrenner. Ist der TV-Empfang gestört, rufen heute viele Mieter ihren Vermieter an - der hat für das Ganze schließlich per Nebenkosten kassiert. Stukenbröker: &bdquo;Ich rechne damit, dass künftig mehr Mieter direkt die Störungshotline wählen.“

Das glaubt auch Wohnbau-Sprecher Andreas Riepe. Nicht ganz wohl ist ihm allerdings bei dem Gedanken, dass die Fernsehtechnik pro Haus künftig nicht mehr aus einer Hand komme. Über Weihnachten seien bei der Wohnbau gerade erst zwei Keller &bdquo;abgesoffen“, weil Hausanschlüsse nicht richtig abgedichtet worden seien. Mit jedem Extra-Bautrupp, der anrücke, steige die Gefahr, dass so etwas wieder passiert.

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