Lippes Flüchtlingshelfer besorgt: Terrordebatte schürt Angst unter Schutzsuchenden

Kreis Lippe. Die Debatte über die Zuwanderung nach Deutschland hat sich nach dem tödlichen Attentat von Solingen zugespitzt. Die Flüchtlingshilfen im Kreis Lippe und Geflüchteten sind von der Tat ebenso geschockt wie besorgt. Es ist von Asylverschärfungen, Abschiebungen und Aufnahme-Stopps die Rede - und das sehen die Initiativen und Menschen, um die sie sich kümmern, mit &bdquo;Ängsten und großer Sorge“, betont Dagmar Begemann, die Leiterin der Flüchtlingshilfe in Lemgo.

Die Wahlerfolge in Thüringen und Sachsen für die AfD, die vom Verfassungsschutz in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, tun ihr Übriges. &bdquo;Dieser Rechtsruck sorgt für Unsicherheiten ausgerechnet bei Menschen, die geflohen sind, um in Sicherheit zu sein“, sagt Begemann.

Winkelzug der Rechtspopulisten Das Thema beherrscht auch die Gespräche im Begegnungscafé der St.-Pauli-Gemeinde in Lemgo, die Dreh- und Angelpunkt der dortigen Flüchtlingshilfe ist. &bdquo;Insbesondere bei den Frauen dort erkenne ich eine Tendenz, sich zurückzuziehen - aus Furcht, unter Generalverdacht gestellt zu werden“, mahnt Begemann. Tatsächlich sei das ein Winkelzug rechtspopulistischer Kreise, um Zuwanderung ins schlechte Licht zu rücken.

Für Frank Gockel von der Flüchtlingshilfe Lippe und einen seiner Kollegen aus der Beratungsstelle, der seinen Namen nicht in den Medien lesen möchte, ist der Ruf nach verschärfter Abschiebung das vollkommen falsche Instrument gegen islamistische Tendenzen und Straftäter. &bdquo;Das lässt sich nicht mit dem Ausländerrecht in den Griff bekommen Mit solch einer Verschärfung trifft man auch Familien und Menschen, die sich längst hier integriert haben, selbst wenn sie vielleicht noch nicht den endgültigen Aufenthaltsstatus errungen haben.“

&bdquo;Es fehlt das richtige Mittel“ Unzählige Schutzsuchende seien ja genau vor dem Terror in ihren Heimatländern geflohen, und die Tat von Solingen habe sie entsetzt und schockiert. &bdquo;Wenn die jetzt mit den Straftätern über einen Kamm geschoren werden, dann erreicht der IS genau das, was er will: Unser Wertesystem zu destabilisieren“, betont Gockel. &bdquo;Wir haben in Deutschland einfach noch nicht das richtige Mittel gefunden, um dem Terror und dem Extremismus in unserem Land zu begegnen.“

Soziale Arbeit sei das beste Mittel gegen Radikalisierung, doch genau hier würden eher die Mittel gestrichen: &bdquo;In NRW werden die Landesmittel für Flüchtlingshilfe 2025 um 63 Prozent gestrichen. Das ist der falsche Weg“, sagen Gockel und sein Kollege.

Ähnlich klingt auch Lippes Landessuperintendent Dietmar Arends. Das geistliche Oberhaupt der evangelischen Landeskirche spricht angesichts des &bdquo;schrecklichen terroristischen Anschlags“ von &bdquo;Entsetzen“, das sich breitmache. An der Sicherheit auf Volksfesten und am Schutz vor terroristischen Anschlägen zu arbeiten, sei gut und richtig, meint Arends. Wichtig seien außerdem Programme für die Präventions- und Bildungsarbeit ebenso wie Maßnahmen gegen islamistische Propaganda im Internet.

&bdquo;Geflüchtete unter Generalverdacht“ Besorgt verfolgt Landessuperintendent Arends aber eben auch die &bdquo;aufgeheizte Diskussion“ um das Thema Zuwanderung und Flucht. Reflexhaft forderten nun selbst Verantwortungsträger die weitere Verschärfung des Asyl- und Aufenthaltsrechts. &bdquo;Solche Pläne haben mit den Ursachen des Terrors nichts zu tun, stellen aber Schutzsuchende vor allem auch aus Syrien und Afghanistan unter Generalverdacht“, betont Arends.

Dabei hätten die Asylsuchenden ebenso Angst vor solchem Terror. &bdquo;Nicht wenige, mit denen ich in Kontakt bin, sind gerade vor islamistischen Regierungen oder Terrorgruppen zu uns geflohen“, weiß Dieter Bökemeier als Landespfarrer für Diakonie, Ökumene und Migration.

&bdquo;Tiefe Verunsicherung“ Eine Verschärfung des Asylrechts gefährdet seiner Meinung nach den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die &bdquo;menschenrechtliche Basis unseres Landes“. Die Vereinbarkeit der Pläne mit Grundgesetz und Völkerrecht sei zudem fraglich. &bdquo;Die aktuelle Debatte bringt nicht mehr Schutz vor Terror, aber tiefe Verunsicherung für die, die in Deutschland Schutz suchen und gerade dabei sind, sich eine neue Existenz aufzubauen.“

Einfache, aber falsche Lösungen seien eine Versuchung, der die politisch Verantwortlichen nun nicht erliegen dürften, mahnen Arends und Bökemeier. Sie halten fest: &bdquo;Um gemeinsam dem Terror zu widerstehen, sollten gerade jetzt Menschenwürde und Zusammenhalt aller gestärkt werden, Einheimischer wie Geflüchteter, egal welcher Religion und Weltanschauung.“

Dagmar Begemann wirft den radikalen Kräften vor, die Gesellschaft spalten zu wollen. Klar sei: Menschen, die nach Deutschland fliehen, bräuchten eine Aufgabe und Perspektive. Wichtig sei, die Integration nicht zu vergessen und letztendlich auch über die vielen positiven Fälle zu sprechen.

Lippes Flüchtlingshelfer besorgt: Terrordebatte schürt Angst unter Schutzsuchenden

Integration in Detmold: Podiumsdiskussion beleuchtet Hürden

Migrationspolitik: So reagieren Landeskirche und SPD Lippe auf das Bundestags-Votum

Wechsel an der Spitze der Lippischen Landeskirche: Warum Dietmar Arends sich zurückzieht

Experten warnen vor «Online-Turbo-Radikalisierung»

Deutschland schiebt häufiger in die Türkei und den Irak ab

Evangelische Kirche in Westfalen kritisiert Flüchtlingspolitik der Bundesregierung

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus

0,99 € im ersten Monat

Angebot: Jahresabo nur 99 €