Vibro-Trucks in Lippe: Auf der Jagd nach heißem Untergrund

Kreis Lippe. Vibro-Fahrer Klaus Renger kommt auf der Arbeit nur langsam voran. Mehr als 20 Stundenkilometer macht sein zehn Meter langes Ungetüm trotz 500 PS und Allradlenkung sowieso nicht. Und dann hält er auch noch alle 30 Meter kurz an und lässt den Boden vibrieren. Mehr als vier bis fünf Kilometer am Tag sind so nicht zu schaffen. Bei starkem Regen sind es noch weniger. Renger fährt den ersten von drei Vibro-Trucks, die als Kolonne heute in der Nähe von Tintrup unterwegs sind. Mit ihnen sucht das Land NRW noch bis zum 15. Oktober in OWL nach Gesteinsschichten im Untergrund, die sich für Geothermie eignen.

Zehn Zeigerinstrumente, neun Schalter, drei Hebel hat Klaus Renger auf dem Metall-Armaturenbrett vor sich. &bdquo;Front Drive“, &bdquo;Rear Drive“, &bdquo;Heater“, &bdquo;Emergency Kill“, &bdquo;Clearance“. Deren englische Beschriftung ist ein starker Hinweis auf den amerikanischen Hersteller seines Spezialgefährts. Der Motor dröhnt. Das jaulende Geräusch hört sich in der Fahrerkabine an, wie das eines Mähdreschers. Wenn Renger Gas gibt, geht es auf den großen Reifen mit grobem Profil holprig voran, wie bei einem Traktor. Ein Monitor rechts von ihm zeigt in Grün, wenn der Vibro-Truck über dem nächsten Messpunkt steht. Renger bremst. Das Fahrzeug ruckt - und steht. Er drückt einen Knopf. Jetzt übernimmt die Elektronik. Mit Öldruck wird die drei mal einen Meter große Rüttelplatte in der Mitte des Fahrzeugs auf den Boden gepresst. So stark, dass sie das schwere Gefährt aus den Federn hebt. Es wackelt im Führerhaus. Eine große Masse über der Rüttelplatte wird in Bewegung gesetzt. Sechs Mal vibriert die Platte auf dem Boden für 16 Sekunden von fünf bis 72 Hertz (Schwingungen pro Sekunde).

Es kribbelt an den Füßen Die niedrigen Schwingungen hören sich an, wie wenn ein großer Traktor untertourig anfährt. Wer neben den Vibro-Trucks im Feld steht, fühlt ein Kribbeln in seinen Füßen. &bdquo;Das ist ein bisschen wie bei der Müllabfuhr“, sagt Diplom-Geologe Dr. Tobias Fritschle, einer der beiden Leiter des Projekts &bdquo;2D-Seismik Ostwestfalen-Lippe“. &bdquo;Man sieht sie noch nicht, aber man weiß, dass da was kommt.“ Die Schallwellen der drei Vibro-Trucks werden je nach Untergrund unterschiedlich reflektiert und von kleinen orange-weißen Kästchen am Wegesrand aufgefangen.

12.000 davon sind entlang der Messstrecken in OWL alle fünf Meter positioniert. Diese Geophone sind so empfindlich, dass sie die Vibro-Trucks noch aus einem Kilometer Entfernung &bdquo;hören“ können. Deshalb bleiben sie auch noch zwei bis drei Tage liegen, wenn die Kolonne der Vibro-Trucks schon längst vorbei gefahren ist. Erst dann sammelt ein Team des Essener Dienstleisters DMT, dem auch die rund 500.000 Euro teuren Vibro-Trucks gehören, sie wieder ein und liest die aufgezeichneten Daten aus.

Durch die Messungen entsteht ein 2D-Ultraschallbild des Untergrunds in bis zu fünf Kilometern Tiefe. In 1500 bis 4000 Metern Tiefe hofft man in Ostwestfalen-Lippe auf poröse Gesteinsschichten wie Kalkstein oder Sandstein aus dem Erdmittelalter, in denen sich heißes Wasser sammeln kann, das sich für Geothermie eignet. &bdquo;Je 1000 Meter steigt die Temperatur um 30 Grad“, erklärt Fritschle. Das heiße Wasser soll dann über ein Rohr einer sogenannten geothermischen Dublette an die Oberfläche gefördert werden, dort einen Wärmetauscher für ein Nahwärmenetz erwärmen und das abgekühlte Wasser über das zweite Rohr der Dublette wieder in die unterirdische Lagerstätte gepumpt werden. Während private Häuslebauer mit einer hundert bis zweihundert Meter tiefen U-Sonde den Wärmebedarf ihres Hauses decken, sucht der Geologische Dienst nach Lösungen, um ganz Wohnquartiere zu beheizen.

Geothermie-Kraftwerke in München und Paris &bdquo;In Paris gibt es solche Geothermie-Kraftwerke schon - und auch in München“, sagt Fritschle. Dort gebe es im Untergrund aber auch das bayrische Molassebecken, was wie eine riesige Badewanne geformt und die geothermische Nutzung einfach mache. &bdquo;In NRW ist der Untergrund leider sehr viel komplizierter aufgebaut und die Gesteinsschichten sind verfaltet.“

Gerade kommt Ulrich Brunsiek neugierig mit dem Fahrrad angeradelt. Er möchte wissen, was für eine seltsame weiße Truck-Karawane gerade vorbeigezogen ist. Fritschle drückt ihm einen Info-Flyer in die Hand und erklärt, was gerade passiert. &bdquo;Warum drei Trucks?“, möchte Brunsiek wissen. Die Anzahl der Trucks und auch die Vibrationsfolge habe man bei Pilot-Seismiken, kurzen Vorabtests von etwa zwei Kilometern Länge, in Herford im vergangenen Jahr festgelegt, erklärt Fritschle. Denn ohne Vibromessungen weiß der Geologische Dienst NRW nur durch die Analyse von Bohrkernen bei Tiefenbohrungen genau, wie der Untergrund an diesen Punkten aussieht. Für die Gebiete zwischen den Bohrungen behilft man sich mit Untergrundmodellen durch eine Interpretation der Gesteinsschichten, die die Berge und Täler an der Oberfläche aufbauen.

Brunsieks Nachbar kommt mit dem Auto vorbei. &bdquo;Na, willste auch wissen, was hier gemacht wird?“, grüßt er Ulrich Brunsiek. Der reicht den Flyer durchs Autofenster. Tobias Fritschle freut sich über das Interesse und die positive Resonanz. Brunsiek ist geologisch interessiert und hat eins der Kraftwerke in München von der Autobahn aus gesehen. &bdquo;Ist denn das auch lukrativ oder eher ein Zuschussgeschäft“, will er wissen. Fritschle bejaht ersteres.

350 Kilometer Gesamtstrecke Im Auftrag des NRW-Wirtschaftsministeriums unternehme der Geologische Dienst eine erste Kartierung des Untergrunds mit dem Fokus auf Geothermie, erklärt er. Vibro-Fahrten von jeweils 75 Kilometer Gesamtstrecke habe es 2021 im Münsterland, 2022 im Rheinland und 2023 am Niederrhein gegeben. Dagegen sind die 350 Kilometer Gesamtstrecke, verteilt auf sieben Messlinien zwischen Stemwede und Porta Westfalica, Petershagen und Oelde, Barntrup und Paderborn, Spenge und Marienmünster, Paderborn und Höxter, Schieder-Schwalenberg und Willebadessen sowie Lichtenau und Borgentreich, die man sich aktuell vorgenommen hat, ein echtes Mammutprojekt.

Trotzdem sind sie nur der Anfang. Denn das 2D-Ultraschallbild von OWL - was in ein paar Jahren vorliegen wird - gibt nur erste Anhaltspunkte über die Tiefe und Mächtigkeit der Gesteinsschichten. Sieht der Untergrund irgendwo vielversprechend aus, folgt in der Regel eine 3D-Messung. &bdquo;Die ist nochmal aufwendiger“, sagt Fritschle. &bdquo;Während wir jetzt nur auf Straßen unterwegs sind und von einer möglichst geraden Linie auch schon mal um 500 Meter in beide Richtungen abweichen können, geht eine 3D-Messung noch gerader querfeldein. In Münster planen die Stadtwerke das auf Grundlage unserer 2D-Messung von 2021 für dieses Jahr.“ Als dritte Erkundungsstufe folgt dann auf Grundlage des 3D-Modells eine Probebohrung. Die zeigt dann, wie viel heißes Wasser sich konkret nach oben pumpen lässt.

Vorsicht bei Rohrleitungen im Untergrund Wieder rückt die Truck-Karawane 30 Meter weiter zu den nächsten Messpunkten. Beim letzten Truck entweicht alle paar Sekunden zischend Druckluft. Ganz vorne erkundet ein Pickup die Strecke nach Hindernissen, nach hinten warnt ein Pickup mit blinkenden Lichtern vor den langsamen Spezialgefährten. Rechtlich gelten die Vibro-Trucks als Wanderbaustelle. Auf die Straße gesprühte T-Markierungen zeigen den Fahrern an, wo Messstrecken beginnen und wo nicht vibriert werden darf, weil Rohrleitungen im Untergrund liegen oder es an dieser Stelle keine hundertprozentige Sicherheit gibt, dass keine Fliegerbomben aus dem zweiten Weltkrieg im Boden liegen. Diese Vorabplanung der Strecke, die Sichtung von Karten und Plänen, die Einholung von Genehmigungen ist wichtige, aber langwierige Vorarbeit, die die Celler Firma IPS übernimmt, die heute auch mit ein paar Mitarbeitern vor Ort ist.

An einer Hauswand liegt ein gelber wasserdichter Koffer, von dem ein Kabel zu einem Messsensor auf dem Fenstersims führt. Hier kontrolliert DMT die Bodenschwingungen nach DIN, um Schäden an Gebäuden ausschließen zu können. Sie dürfen maximal fünf Millimeter pro Sekunde betragen.

Gerade fängt es an zu regnen. Immer stärker prasseln die Wassertropfen. Fritschle blickt in den Himmel. &bdquo;Wenn es zu stark regnet, können die Geophone nicht mehr korrekt messen, weil das laute Prasseln des Regens auf deren Kunststoffgehäuse zu sehr stört. Dann unterbrechen wir und haben eine sogenannte Standby-Zeit.“

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