Immer mehr Papiere, Papiere, Papiere: Lippes Handwerker sind genervt

Kreis Lippe. Mandeln sind alle. Der Teig allerdings ist fertig. Was macht also der schlaue Bäcker, der seinen Beruf liebt und sich zu helfen weiß? Er nimmt Nüsse. Backt statt Mandel- heute also Nusshörnchen und legt sie in die Theke, zwischen die Berliner und das Plundergebäck.

Hört sich einfach an. Ist es aber nicht. Denn: Der Bäcker muss noch ein Schildchen dazustellen, warum es heute eben keine Mandelteilchen gibt, falls Stammkunden sie blind kaufen sollten, und welche Ingredienzien die Nusshörnchen haben. Klar, das ist wichtig für alle, die eine Nussallergie haben, weiß Mickel Biere. Aber extra erklären, dass es keine Mandelteilchen gibt? &bdquo;Da kommt einfach eins zum anderen, was wir an Bürokratie abarbeiten müssen.“

Ganz allmählich kommt der ansonsten traditionell gut gelaunte stadtbekannte Detmolder Bäcker und Kreishandwerksmeister in Wallung, wenn es um die überbordende Bürokratie in Deutschland geht. Ja, viele Hygieneregelungen und Kontrollen müssen sein. Und nein: viele, viele nicht.

Wie viele andere Berufsgruppen klagen auch die Handwerker über die &bdquo;Krake Bürokratie“, die ihnen mit ihren Tausenden an Tentakeln Zeit stiehlt, Kosten verursacht, nahezu den Job verleidet und überhaupt immer mehr wird. Aber was steckt genau dahinter? Welcher Schriftkram ist denn alles zu erledigen?

Die zu Nuss- mutierten Mandelhörnchen sind ein harmloses Beispiel dessen, was ein Fünftel der Arbeitszeit und sechs Prozent des Umsatzes in den Handwerksbetrieben ausmacht, wie die Kreishandwerkerschaft errechnet hat: Es gibt viele weitere. Die LZ fragte nach.

Jeden Sonnenblumenkern zählen? Beispiel 1: Schutz vor Schwarzarbeit . &bdquo;Die Regeln sind für unseren kleinen Betrieb mit treuen Mitarbeitern dieselben wir für Großunternehmen. Aber haben ja gar kein ständig wechselndes Personal“, berichtet Fleischermeister Andreas Grämmel aus Detmold. Regelmäßig muss er dokumentieren, wie viele Leute bei ihm arbeiten, dass sie ordentlich angemeldet sind. Der Begriff &bdquo;Fleischwirtschaft“ habe immer wieder zu strengeren Regeln im Vergleich zu anderen Handwerken geführt, ergänzt Grämmels Kollege Thorsten Schröder aus Schlangen, stellvertretender Landes-Innungsmeister. Dafür gebe es keinen Grund, der Eintrag in die Handwerksrolle zur Unterscheidung von Industriebetrieben müsse genügen.

Beispiel 2: Die Sache mit der Kühlung. Die ist in Bieres Backstube voll digitalisiert. Und trotzdem muss ein Kollege jeden Morgen mit dem Thermometer per Hand nachmessen, ob die Backzutaten oder Teiglinge nicht zu kalt oder zu warm gelagert werden, und das Ganze dokumentieren. Dasselbe muss er übrigens bei der Kühlung des anliefernden Lastwagens machen. Biere schüttelt den Kopf: &bdquo;Das muss der Kollege dann alles abhaken. Als ob wir nicht selber das allergrößte Interesse daran hätten, dass die Ware nicht schlecht wird. Bei Problemen rufen wir den Fachbetrieb, der ist in 30 Minuten da. Das sind Werte von Tausenden Euro, das haben wir schon im Blick.“ Es fehle an Vertrauen in die Kompetenzen der Betriebsführung.

Beispiel 3: Die Kundeninformation. Thorsten Schröder fragt, warum jedes Gramm Gewürz und jedes Stück Fleisch dokumentiert werden muss: &bdquo;Wir haben die Lieferscheine doch sowieso.“ Er ist erbost: &bdquo;Auch da werden bei uns die gleichen Kriterien angelegt wie bei den Global Playern.“ Das Mandelhörnchen-Beispiel vergleicht er mit frischer Suppe. Da muss ebenso exakt nachgewiesen werden, wenn er Rind- statt Schweinefleisch nimmt. Da reicht es nicht, ebendas zu vermerken, auch alle anderen Inhaltsstoffe müssen neu angegeben werden, kann Spuren von diesem oder jenem erhalten. Es geht ihm übrigens durchaus gegen die Ehre, wenn er beim Suppekochen die Prise Salz oder das Blatt Petersilie mehr eben nicht hinzufügen darf. &bdquo;Die Kunden-Informationsregeln müssen durchforstet werden. Es gibt zu viele unterschiedliche Regeln.“

Beispiel 4: Die Statistik. Biere ergänzt, dass er jedes Ei, jedes Pfund Butter und am liebsten (aus Sicht der Bürokraten) jeden Sonneblumenkern in Listen eintragen muss, die er dann vierteljährlich ans Statistische Bundesamt schickt. Und wehe, am Jahresende stimmen die Summen nicht! Ähnliches gilt - ganz anderer Bereich - für Strom und Öl-/Gasverbrauch. Da reichte es nicht, Rechnungen der Versorger einzureichen, da müssen Statistiken ohne Ende fürs Hauptzollamt für Erstattungsansprüche angefertigt werden, &bdquo;und zwar doppelt und dreifach“.

Beispiel 5: Förderanträge. Es gibt 450 Förderstellen, berichtet Schröder. 450! Und wenn der Schlachter in Lippe Gelder aus Topf A bekommen kann, steht den Kollegen in Paderborn dieses Geld noch lange nicht zu. Da geht es um strukturschwache oder arme Gegenden, um Einkaufskraft und anderes. Das macht Probleme, liegen Filialen in unterschiedlichen Kreisen. Manche Gelder gibt es nur, wenn die Hälfte der Ware in einem Radius von 50 Kilometern außerhalb des Betriebes verkauft wird. &bdquo;Wo ist da der Sinn, wenn es um lokale Produkte geht?“ Es brauche externen Sachverstand, um Förderprogramme etwa für Investitionen beantragen zu können, dankenswerterweise helfen die Kreiswirtschaftsförderung und die Handwerkskammer.

Beispiel 6: Arbeitssicherheit. Sind Reinigungsmittel ordentlich gelagert, liegen &bdquo;Sicherheitsblätter“ vor? Was ist mit den Leitern? Sind die auch nicht kaputt? &bdquo;Wir sind doch nicht auf dem Bau, nutzen die Leiter selten. Aber die Auflagen auf dem Bau sind die Gleichen wie bei uns“, sagt Biere. Ist die Leiter im Kataster eingetragen, hängt die Warnung aus, dass man nicht mit rutschigen Schuhen draufklettern darf? Ist die Betriebsanleitung gut sichtbar?

Beispiel 7: Die Änderung bei der Gesellschaftsform. Beim Wechsel etwa von einem e.K. zu einer GmbH müssen alle Angaben zum Betrieb komplett neu gemacht werden, auch wenn sich im Ablauf gar nichts ändert, derselbe Teig gemacht und dieselbe Leiter genutzt wird - eine Arbeit von Wochen. Biere hat es jüngst bei der Übergabe an seinen Sohn erlebt. Faktisch hat sich nicht verändert, aber er hat Abende vor Papieren verbracht.

Es geht um die Zukunft des Handwerks Es sind einfach viel zu viele Auflagen, vom Spurenelemente-Nachweis bis zur Leitersicherheit, sagen die Handwerker, vom Nachweis über korrekte Müllentsorgung bis zu Regeln, wie viel Ware wie weit in Filialen transportiert und dort verkauft werden darf, ohne dass laut &bdquo;Tierischer Lebensmittel-Hygieneverordnung“ ein EU-Betrieb angemeldet werden muss. Biere: &bdquo;Eine Begründung für die Bürokratie findet sich immer. Aber wir müssen dringend Sinniges vom Unsinnigen trennen.“ Grämmel: &bdquo;Die Ministerien müssen sich zusammensetzen, aus sechs Formularblättern eins machen.“

Im Kern geht es den Handwerkern um nichts Geringeres als um die Zukunftsfähigkeit ihres Berufsstandes. Die Bürokratie fresse Personal in Zeiten der Personalknappheit, &bdquo;und wenn das so weitergeht, verschwinden immer mehr Betriebe. Du merkst die Bürokratiekosten im Portemonnaie. Da haben Kollegen in wirtschaftlich ohnehin schweren Zeiten irgendwann keine Lust mehr und junge Leute erst Recht nicht “, schwant Kreishandwerksmeister Biere Böses. &bdquo;Es muss aber doch Leute geben, die weitermachen.“ In einer Stadt wie Detmold beispielsweise gebe es nur noch vier ortsansässige Bäcker und vier Metzger.

Was sang Reinhard Mey doch gleich, 1978?

&bdquo;Einen Antrag auf Erteilung eines Antragformulars Zur Bestätigung der Nichtigkeit des Durchschriftexemplars Dessen Gültigkeitsvermerk von der Bezugsbehörde stammt Zum Behuf der Vorlage beim zuständ’gen Erteilungsamt.“

Geändert hat sich: nicht viel.

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