Schüler kochen mit Blomberger Heimbewohnern: Was das mit dem Pflegenotstand zu tun hat

Blomberg. Wenn in der Gastronomie das Personal knapp wird, wartet man eben länger aufs Bier oder muss sich zur Not damit arrangieren, dass das Lieblingsrestaurant mehr Ruhetage einlegt. Ist dann so. Aber, wenn Pflegerinnen und Pfleger fehlen, wer kümmert sich dann um die Senioren, die immer mehr und immer älter werden? Die Personaldecke ist dünn: Nach Zahlen des Kreises Lippe ging in der ambulanten und stationären Pflege binnen zwei Jahren jeder zehnte Mitarbeiter stiften - als Zahl: 499 Pflegerinnen und Pfleger. Ein Projekt in Blomberg soll nun Hoffnung stiften.

Davon sind die Beteiligten überzeugt: Petra Elsner von der Kreiswirtschaftsförderung, Rektorin Monika Precker von der Sekundarschule und Petra Bormann, Fachbereichsleiterin beim Deutschen Roten Kreuz. Die Rotkreuz-Frau weiß: Junge Menschen haben oft Berührungsängste gegenüber der Pflege. Vor dem Umgang mit alten Menschen ohnehin. Kurzum: Pflege hats schwer, wenn auch in anderen Branchen immer weniger Bewerber auf einen Job kommen.

Junge Menschen für Pflege sensibilisieren Berührungsängste abbauen, Interesse wecken, Arbeitsbedingungen klarmachen - mit diesen Punkten könnte man &bdquo;Rezepte für ein Mitarbeiter - SKS meets Harlekin“ überschreiben. Erstmalig sind mit Dzesika Fyntyna, Vanessa Michael, Stella Kimberley Schwandt, Constantin Tappe, Louis Wienkemeier und Jannis Kespohl nun sechs Schüler und Schülerinnen der SKS, also der städtischen Sekundarschule Blomberg, in der Wohngruppe Harlekin gewesen.

Dort, am Ende der Ulmenallee, und damit praktischerweise nur ein paar Gehminuten von der Schule entfernt, leben die Seniorinnen und Senioren in 21 Appartements. In der Wohnküche kamen sie nun mit den sechs Achtklässlern zusammen. Damit keine betretene Stille aufkommt, hatten sich Elsner, Precker und Bormann überlegt, dass das gemeinsame Kochen doch ein super Eisbrecher wäre: ein Rezept, das am Ende allen Beteiligten schmeckte.

Kochen als Eisbrecher zwischen Jung und Alt Das galt nämlich nicht nur für die angeschwitzten Möhrenscheiben und scharf angebratenen Frikadellen, die generationenübergreifend zubereitet und am Ende gegessen wurden, sondern auch die Metaebene. &bdquo;Ein bisschen aufgeregt waren wir vorher schon, die Bewohner zu treffen“, räumte Constantin Tappe ein. Doch die Nervosität habe sich schnell gelegt. &bdquo;Dann war es interessant Alltag und Arbeit kennenzulernen“, ergänzte Louis Wienkemeier.

Beim einmaligen Besuch soll es nicht bleiben, versichert Sekundarschul-Rektorin Monika Precker. Im Gegenteil: Bereits in drei Wochen wird das Ganze wiederholt und im kommenden Schuljahr von der dann neuen &bdquo;Achten“ fortgesetzt. Nach Angaben von Lehrer Marco Hollmann hat sich die Sekundarschule bewusst für diesen Jahrgang entschieden, weil im neunten Jahrgang bereits vergleichsweise viel im Bereich Berufsorientierung stattfindet.

Projekt wird fortgesetzt und ausgebaut &bdquo;Wer sich im 8. Jahrgang hier beim Kochen umschaut, macht vielleicht in der Neunten ein Praktikum bei uns und später mehr“, setzt Petra Bormann, Fachbereichsleiterin Betreuung und Pflege beim DRK Lippe, auf einen gewissen Klebeeffekt. Lange dafür werben musste Lehrer André Kahle bei seinen Schülern dafür nicht: &bdquo;Obwohl wir nur einen Vorlauf von zwei Wochen hatten, waren einige total begeistert, hatten Bock und haben sofort zugesagt.“

Natürlich spiele dabei nach Einschätzung von Marco Hollmann und André Kahle eine Rolle, dass allesamt Schüler und Schülerinnen aus dem Wahlpflichtbereich &bdquo;Ernährung, Konsum, Gesundheit“ angesprochen wurden. Doch selbst da wären Berührungsängste ganz normal gewesen, so die Einschätzung der beiden Lehrer. Um sich vorzubereiten, recherchierten die sechs Jugendlichen auf eigene Faust, wie es im &bdquo;Harlekin“ so aussieht und abgeht.

Schüler zeigen Eigeninitiative und Neugier Vor dem zweiten Besuch haben Dzesika, Vanessa, Stella, Constantin, Louis und Jannis nun schon ein genaues Bild. Und einen genauen Plan. Denn durften beim Auftakt die Seniorinnen und Senioren entscheiden, was es zu essen geben soll (unter anderem wurde für Eierlikörtorte votiert ...), treffen vor dem zweiten Koch-Event die Jugendlichen die Auswahl. &bdquo;Dann gibt es natürlich Tiefkühlpizza“, sagte Jannis Kespohl ... &bdquo;Nein, nur Scherz.“

Tatsächlich, so das Mädchen-Trio Dzesika, Vanessa, Stella, haben sich die Sekundarschüler gefüllte Paprika überlegt. Ein Rezept zum Weiterempfehlen? &bdquo;Das sehen wir dann“, sagte Dzesika Fyntyna. &bdquo;Was ich aber bereits jedem meiner Mitschüler weiterempfehlen kann, ist die ganze Sache hier. Man bekommt eine total gute Idee, was es bedeutet, hier zu arbeiten.“ Spontan geboren war die Idee zum Gegenbesuch - der Senioren in der Sekundarschule.

Gegenseitige Besuche stärken das Miteinander So niedrigschwellig das Kochen als Eisbrecher funktioniert, um miteinander ins Gespräch zu kommen, gebe es auch in anderen Bereichen der Arbeitswelt Chancen, das Projekt zu kopieren, ist Elsner von der Wirtschaftsförderung des Kreises Lippe überzeugt. Konkret: Wenn Tischler zusammen mit Schülern Vogelhäuser bauen oder Metallverarbeiter Stiftehalter drechseln, &bdquo;kann sich sehr viel Verständnis für Berufsbilder und Ausbildungsberufe entwickeln“.

Die Kreiswirtschaftsförderung möchte möglichen Betrieben und Schulen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen - nicht als groß angelegte Kontaktvermittlung, wohl aber mit Ratschlägen und Konzepten, wie die Wohngruppe &bdquo;Harlekin“ und die Sekundarschule das Projekt gemeinsam angestoßen und umgesetzt haben. Wenn der Fachkräftemangel in der Pflege am Ende auch nur ein bisschen kleiner werde, sei schon viel gewonnen.

Modell auch für andere Berufe denkbar Ebenfalls dazu beitragen sollen laut Elsner bereits existierende Programme: beispielsweise die Kampagne &bdquo;Bock auf Job in der Pflege“, Infostände auf Wilbasen oder das Projekt &bdquo;Pflege on Tour“. Bei dem haben schon unterschiedliche Pflegeanbieter mit dem Kreis Lippe zusammengearbeitet, unter anderem, um verloren gegangene Fachkräfte zurückzugewinnen. Beratungen des Jobcenters und der Agentur für Arbeit komplettieren die Kampagne.

Die ist auch dringend notwendig, wie der genaue Blick auf die eingangs angerissenen Zahlen belegt. So waren nach Angaben von Pressereferentin Karolina Schmidt vom Kreis Lippe im Jahr 2021 noch 5843 Menschen in der Pflege in Lippe tätig; zwei Jahre später waren es nur noch 5344. &bdquo;Hinzu kommt, dass knapp 50 Prozent der aktuell in der Pflege beschäftigten Menschen 50 Jahre oder älter sind“, betont Schmidt. Insgesamt sei die Situation &bdquo;sehr angespannt“.

Zahlen belegen den Ernst der Lage So sei die Auslastung sowohl in der ambulanten, als auch der stationären Versorgung hoch. Aufgrund des Personalmangels, der mindestens die zwischen 2021 und 2023 verloren gegangenen 500 Mitarbeiter umfasst, könnten nicht mehr alle vertraglich festgelegten Plätze belegt werden. Im stationären Bereich beispielsweise waren zuletzt (Stand: November 2024) nur 3644 von 4055 Betten tatsächlich auch belegt.

Einen Aspekt, den Petra Bormann vom DRK noch ins Feld führt: die hohe Arbeitsbelastung. Dazu gehöre natürlich der emotionale Einsatz: &bdquo;Pflege ist so viel mehr als rein körperliche Hilfe“, ergänzt Petra Elsner. &bdquo;Es geht auch um zwischenmenschliche Nähe, gegenseitiges Verständnis, Zusammenhalt und gemeinsame Interessen.“ Und, was man nicht vergessen dürfte: Die Arbeit in der Pflege mit Stützen und Heben, ist auch körperlich anstrengend.

Pflege ist emotional und körperlich fordernd Das verschärfe denn auch den Umstand, dass fast jede zweite Kollegin und jeder zweite Kollege älter als 50 sei. &bdquo;Kaum eine Altenpflegerin schafft den Job bis zum normalen Renteneintritt mit 65 oder 67 Jahren“, weist Bormann auf zahlreiche Menschen hin, die frühzeitig ausscheiden oder noch etwas anderes machen, um die Zeit bis zur Rente zu überbrücken. Apropos überbrücken: Den Geschmack der Eierlikörtorte haben die Senioren des Harlekin noch locker drei Wochen auf der Zunge, bis die Sekundarschüler das nächste Mal mit Schürze und Kochlöffel anrücken.

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