Wie seine Betreuung einem Suchtkranken aus Lippe das Leben rettete

Kreis Lippe. &bdquo;Ich war ganz unten, tiefer ging es gar nicht“, sagt Dogush Sayin und senkt dabei nachdenklich den Blick. Als wären die Wunden noch frisch. Für Jahrzehnte bestimmten Drogen und dadurch bedingte Psychosen das Wesen des heute 42-Jährigen. Lange Zeit kam er alleine überhaupt nicht klar. Selbst sein Vater, der immer zu ihm stand, verzweifelte daran. Dann bekam Dogush Sayin über das Gericht eine gesetzliche Betreuung an die Seite gestellt. Heute ist sich der Detmolder sicher: &bdquo;Mein Betreuer hat mir das Leben gerettet.“

Seine Geschichte ist gerade deshalb so eindrucksvoll, weil Dogush Sayin wohl eher als ein Ausreißer der Statistik gilt. Knapp 17 Jahre wurde er gesetzlich betreut - von Ende 2007 bis Januar 2024. Heute ist Sayin clean und lebt sein Leben wieder völlig selbstständig.

Vom Drogenabgrund zurück ins Leben Er geht zur Arbeit, hat eine eigene Wohnung und kümmert sich selbst um den Papierkram. Keine Angstzustände mehr, keine Depression, keine innere Dunkelheit. Früher sei das undenkbar gewesen, da bestimmte nur der Suchtdruck seinen Alltag. &bdquo;An Drogen verschwende ich gar keinen Gedanken mehr, dafür habe ich zu viel zu tun“, sagt Sayin und lacht.

Nur wenigen Suchtkranken gelingt das, weiß sein langjähriger Betreuer Andreas Laux aus der beruflichen Erfahrung. Laux betreibt seit mehr als 20 Jahren ein Betreuungsbüro in Extertal, hat zwei Mitarbeiterinnen, die ihm den Rücken stärken, damit er selbst vor allem bei den Menschen sein kann und nicht in Formularen versinkt, sagt er. Er ist einer von etwa 135 Berufsbetreuern , die in Lippe tätig sind. Insgesamt gibt es im Kreis rund 6500 Menschen, die gesetzlich betreut werden.

Dass Dogush Sayin sich aus dem Teufelskreis herausgekämpft hat und die Betreuung inzwischen nicht mehr braucht, sei ein großer Erfolg. &bdquo;Es ist nur einer von 10, der es schafft. Das ist leider so“, sagt Laux. &bdquo;Das war ein langer Weg mit einigen Rückfällen, aber er hat ihn gemacht.“ Laux klingt stolz, wenn er über seinen ehemaligen Schützling spricht. Als hätten sie gemeinsam ein wahres Wunder bewirkt. Beim Blick auf die Anfänge scheint das nicht abwegig.

Kennenlernen am Tiefpunkt Beide lernen sich im Dezember 2007 an einem von Sayins absoluten Tiefpunkten kennen. Sayin, damals Anfang 20, war gerade wieder in einer psychiatrischen Klinik gelandet. Er habe nicht mal mehr laufen können, erinnert sich Laux, die Augen hätten sich in alle Himmelsrichtungen gedreht. Das Bild scheint sich eingebrannt zu haben, Laux kann es genau beschreiben. Vor ihm habe ein schwankender junger Mann gestanden, gestützt von seinem Vater, schwer gezeichnet vom Drogenkonsum.

&bdquo;Es war wirklich schlimm“, sagt Laux. Vater Memet Sayin sieht das Kennenlernen bei aller schmerzenden Tragik als Wendepunkt im Leben seines Sohnes. Seine Worte dafür sind dementsprechend deutlich. &bdquo;Herr Laux ist unser Engel.“ Er habe seinen Sohn selbst nie aufgegeben, sagt der 80-Jährige, aber irgendwann habe er einfach nicht mehr gewusst, wie er ihm helfen könne.

Es dauert damals ein paar Wochen, bis sich zwischen dem Betreuer und dem neuen Klienten ein Vertrauensverhältnis aufbaut. Wirklich schwer sei das aber nicht gewesen, erinnern sich beide zurück. &bdquo;Ich habe schnell gemerkt, dass er mir helfen will“, sagt Dogush Sayin. Genau das habe ihm Mut gemacht.

Wie das Eis so schnell brechen konnte? Sein Berufsbetreuer habe sich ehrlich für ihn interessiert, sagt Sayin, immer wieder nachgefragt und zugehört, wenn es Probleme gab, ihn dabei nie von oben herab behandelt. Dieses Glück hätten nicht alle seiner Bekannten gehabt, die gesetzliche Betreuer oder Betreuerinnen an die Seite bekamen, erklärt der 42-Jährige. Auch das gehöre zur Wahrheit dazu.

Vertrauen als Basis der Betreuung Ohne die gesetzliche Betreuung hätte der Detmolder sein Leben nicht mehr in die Spur gebracht, davon ist Sayin überzeugt. Was mit Grasrauchen als Teenager anfing, entglitt ihm immer mehr aus den Händen, sagt er. &bdquo;Irgendwann bist du einfach nur krank und kannst nichts mehr.“ Einige aus seinem Umfeld seien an den Drogen gestorben, sein Mitbewohner nahm sich vor etwa 10 Jahren in einem psychotischen Rausch das Leben. Das sei schwer gewesen, aber er habe nicht aufgeben wollen.

Mit seinem Betreuer ging es daher immer wieder nach vorne, selbst nach Rückschlägen. Laux sagt, das Wichtigste an einem Betreuungsverhältnis sei, dass seine Klientinnen und Klienten ehrlich zu ihm sind. Anders funktioniere es nicht. Wer offen sei, könne viel erreichen.

Genauso war es auch mit Dogush Sayin. Laux kannte die Therapiemöglichkeiten, half ihm dabei, das Richtige zu finden, führte den Suchtkranken durch die Privatinsolvenz und besorgte ihm eine Ausbildung im Heidehaus Lage. Seit einigen Jahren arbeitet Sayin nun beim Lippischen Kombi-Service - einem Inklusionsunternehmen - als Servicekraft. Das liege ihm mehr als jeder Bürojob, gibt er zu.

Der lange Weg zum Ziel Ohne Laux wäre er nie so weit gekommen, da ist sich der Detmolder sicher. &bdquo;Er hat mich immer unterstützt, egal wo ich war, er war immer für mich da.“ Die Uhrzeit hätte keine Rolle gespielt. &bdquo;Er hat mich überall hingefahren.“ Auch wenn sich Andreas Laux nicht unbedingt als &bdquo;Taxifahrer“ bezeichnen würde, sieht er es als seine Pflicht, &bdquo;seine Leute“ abzuholen und nicht hängen zu lassen.

Im Fokus der Betreuung stehe aber immer, seinen Betreuten wieder Stück für Stück in ein normales, eigenständiges Leben zu führen. &bdquo;Das ist das Ziel. Das geht nicht bei allen - zum Beispiel wenn Menschen eine geistige Behinderung haben. Aber eine Krankheit kann ich bestenfalls heilen und eine Betreuung wieder aufheben lassen.“

Seit anderthalb Jahren steht Dogush Sayin nun wieder auf eigenen Beinen. Anderen, die Ähnliches durchleben, wolle er mit seiner Geschichte nur Mut machen. &bdquo;Wenn da jemand ist, der sich für euch interessiert, dann lasst das zu.“

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