Fast blind und selbstbestimmt: Salzuflerin bekommt durch Betreuerin Leben in den Griff

Bad Salzuflen. Irgendwann stand sie vor dem Nichts, hatte zeitweise nicht einmal mehr ein Dach über dem Kopf. Ihr ganzes Dasein geriet in &bdquo;Schieflage“, so beschreibt es Bärbel Müller selbst. Das ist jetzt etwa fünf Jahre her. &bdquo;Ich bin so stark sehbehindert, dass ich mich um meine Sachen nicht mehr kümmern konnte“, sagt die 61-Jährige. Heute ist das anders, Bärbel Müller hat eine gesetzliche Betreuerin an ihrer Seite. &bdquo;Mit ihr habe ich den Jackpot gezogen.“

Bei diesem Satz strahlt Bärbel Müller ihre Betreuerin Anna Lewandowski an, die ihr schräg gegenüber auf dem heimischen Sofa sitzt. Die fehlende Sehkraft - nur 40 Prozent auf dem rechten Auge, das andere ist aus Glas - ist Müller kaum anzusehen. Dass ihr jede Bewegung schwerfällt, darauf weisen der herumstehende Rollstuhl und ein Rollator hin. &bdquo;Ich seh sehr schlecht, meine Knochen sind kaputt, aber im Kopf bin ich fit“, sagt Müller selbstbewusst.

Krankheit, Sehverlust, Obdachlosigkeit Als ihr Leben aus den Fugen gerät, kommt offenbar alles zusammen. Neben der schlechten Sehkraft fesselt eine missglückte Knöchel-OP Bärbel Müller monatelang ans Bett. Ihre Rechnungen stapeln sich, sie zahlt die Miete nicht mehr, fliegt letztendlich aus ihrer Wohnung. Vorübergehend kommt sie in einer Obdachlosenunterkunft unter, von dort aus wird eine gesetzliche Betreuung angeregt. Die verändert alles.

Mit ihrem ersten Betreuer sei die 61-Jährige allerdings nicht gut klar gekommen, gibt Müller zu, &bdquo;die Chemie passte einfach nicht“. Seit anderthalb Jahren ist Anna Lewandowski nun an ihrer Seite. Die selbstständige Berufsbetreuerin kümmert sich um den Papierkram, Rechnungen und alle Verbindlichkeiten, die sonst so anfallen.

Warum das mit den beiden so gut funktioniert? &bdquo;Sie untergräbt nicht meine Selbstständigkeit“, sagt Bärbel Müller. Das ist ihr besonders wichtig. Müller weiß, was sie will, hat lange als Abteilungsleiterin in einer Schokoladenfabrik und später in der Produktion gearbeitet, bis es körperlich nicht mehr ging.

&bdquo;Willen der Betreuten im Fokus lassen“ Müllers Einstellung passt zum Berufsethos ihrer Betreuerin . Anna Lewandowski sieht es als eine ihrer Kernaufgaben, die Rechte der Betreuten zu stärken. &bdquo;Das Wichtigste ist, immer den Willen der Betreuten im Fokus zu lassen.“ Die studierte Sozialarbeiterin liebt ihren Job, auch wenn die Arbeit oft sehr fordernd sei. Inzwischen schaltet Lewandowski das Telefon an zwei Tagen die Woche auf Mailbox um. In dringenden Fällen können die Betreuten auf Band sprechen.

Insgesamt 65 Betreuungen und zwei Mitarbeiter hat Lewandowski. Mehr sei nicht zu schaffen. &bdquo;Ich habe momentan Aufnahmestopp.“ Die Bürokratie nehme immer mehr Zeit in Anspruch. Viel mehr Arbeit passiere vom Schreibtisch aus. Die Zeit fehle, um bei den Menschen zu sein, bemängelt die vierfache Mutter. Manchmal begrenze sie ein Gespräch auf 30 Minuten, weil es anders einfach nicht gehe.

Hilfe beginnt mit Zuhören Noch während des Gesprächs zeigt sich, was eine Betreuung wirklich ausmacht. Bärbel Müller verrät, wegen ihrer Arthrose nicht mehr in die Badewanne steigen und daher nicht mehr duschen zu können. Das zuzugeben, fällt ihr sichtlich schwer. Sie habe gefürchtet, aus ihrer geliebten Wohnung ausziehen zu müssen, wenn sie sich beschwert hätte. &bdquo;Ich kann mich nur noch waschen, anders geht es einfach nicht mehr.“

Ihre Betreuerin nimmt die Worte ernst, spricht umgehend die Möglichkeiten mit Müller durch und will ihr helfen, einen Umbau der Badewanne zu beantragen oder einen Wohnungstausch innerhalb des Hauses anzuregen. Da sich ihr körperlicher Zustand verschlechtert habe, sollte ein medizinischer Gutachter ebenfalls noch einmal ihren Pflegegrad überprüfen, schlägt Lewandowski vor. Das Gespräch mit dem Vermieter wollen die beiden dann gemeinsam führen - auf Augenhöhe.

Bärbel Müller ist zufrieden. &bdquo;Ich habe niemals damit gehadert, Hilfe anzunehmen, auch wenn ich das erst lernen musste.“ Ihre Betreuerin schätzt, dass etwa 90 Prozent der Betreuten glücklich oder zumindest erleichtert über die Betreuung sind. Bärbel Müller gehört dazu. Seit dem Verlust ihres Auges vor knapp 20 Jahren lebe sie eh viel intensiver, sagt sie. &bdquo;Aufgeben ist nicht.“

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