„Geistlicher Missbrauch“? So schätzen Experten das Gefängnis-Zeltlager in Extertal ein

Kreis Lippe. Ist das noch kindgerecht? Diese Frage stellt sich nach einem Bericht über ein christliches Abenteuer-Zeltlager in Extertal, in dem die Teilnehmer im Alter von neun bis 16 Jahren Häftling gespielt haben . Scheinwerfer suchten nachts nach Ausbrechern. Die Teilnehmer buddelten Löcher, um freizukommen. Wirklich eingesperrt seien sie aber nicht gewesen. &bdquo;Wir werden alle als sündige Menschen geboren und leben dadurch in einer Gefangenschaft, aus der wir uns mit unseren eigenen Taten nicht befreien können“, hatte Freizeit-Leiterin Tabea Ostermeier zum Hintergrund im LZ-Interview gesagt. Veranstalter waren zwei Freikirchen, die freie evangelische Gemeinde Extertal und die Gemeinde am Grasweg Lemgo. Die Redaktion hat nun mit Kirchenvertretern, dem Jugendamt des Kreises Lippe und einem ehemaligen Jugendarbeiter darüber gesprochen.

Jugendarbeit Diether Wegener ist Diakon im Ruhestand. Er war 33 Jahre lang in der katholischen Kirche vor allem in der Jugendarbeit in Augustdorf und als Gefängnisseelsorger engagiert. Er findet das beschriebene Ferienlager &bdquo;gruselig“. &bdquo;Meine beiden Enkeltöchter sind neun Jahre alt. Wenn ich mir vorstelle, dass sie solchen Machenschaften in einem Ferienlager ausgeliefert gewesen wären... Diese zarten Kinderseelen sind so zerbrechlich. Das Ganze ist für mich unfassbar“, sagt er.

Für ihn sei das eine Form von geistlichem Missbrauch. &bdquo;Ich verstehe weder die Teamer, noch die Eltern und noch weniger die verantwortliche Kirchenleitung, dass so etwas zugelassen und gutgeheißen wurde. Das sind keine harmlosen Spiele. Es ist seelischer Missbrauch, patriarchalisches Dominanzverhalten, Gottesvergiftung. Wir leben in einem demokratisch-freiheitlichen Rechtsstaat, in dem Derartiges nicht vorkommen darf und nach Konsequenzen verlangt“, ist er überzeugt. Doch d ie kleinen freikirchlichen Gemeinschaften würden sich jeglicher Kontrolle entziehen.

Das zur Verfügung gestellte Foto erinnere ihn zusätzlich an die Wachtürme des Konzentrationslagers von Auschwitz. &bdquo;Einen Gott, der eingrenzt, ausgrenzt, ausschließt und Angst verbreitet, gibt es nicht. Eine solche Gottesvorstellung ist gefährlich. Vor der Versuchung einer derartigen kruden Auslegung des Christentums kann ich nur warnen. Das wäre Verrat an der Botschaft Jesu“, sagt er.

Jugendamt Der Kreis Lippe zeigt sich &bdquo;irritiert“ angesichts des Themas sowie der Vorgehensweise dieses Zeltlagers. &bdquo;Der Fachbereich Jugend und Familie sowie der Jugendschützer des Kreises Lippe bewerten derzeit die Sachlage und werden gegebenenfalls das Gespräch mit der Gemeinde suchen“, heißt es aus der Pressestelle.

Lippische Landeskirche &bdquo;Rollenspiele oder Methoden, die Kinder und Jugendliche bedrücken oder Angst auslösen könnten, haben in unserer Arbeit keinen Platz“, sagt Thomas Warnke, Theologischer Kirchenrat der Lippischen Landeskirche. In der Jugendarbeit der Landeskirche stehe die befreiende Botschaft des Evangeliums im Zentrum. &bdquo;Grundlage unserer Arbeit ist ein Gottesbild, das von Annahme, Vergebung und Weite geprägt ist – wie es im Gleichnis vom verlorenen Sohn zum Ausdruck kommt. Ein Gott, der mit offenem Herzen empfängt, der Fehler nicht verurteilt, sondern zur Umkehr und zum Neuanfang ermutigt“, sagt Warnke.

In einer Welt, die oft laut, schnell und leistungsorientiert sei, schaffe die Landeskirche Räume, in denen Jugendliche mit ihren Fragen, Sorgen und Hoffnungen ernst genommen würden. Die Angebote seien daher geprägt von Respekt, Offenheit und Begegnung auf Augenhöhe.

Freizeiten würden dabei auch bei der Landeskirche eine besondere Rolle einnehmen. Sie böten jungen Menschen die Möglichkeit, sich selbst und andere neu zu erleben – im Glauben, in der Gemeinschaft und in der persönlichen Entwicklung. Abenteuer, Spiel, Musik, Kreativität würden ebenso dazugehören wie stille Momente, Gespräche und spirituelle Impulse. Die pädagogische Begleitung erfolge dabei durch qualifizierte Mitarbeiter, die für eine sichere und wertschätzende Atmosphäre sorgen würden.

Gemeinde am Grasweg Die Gemeinde am Grasweg in Lemgo, bei der es sich um eine Freikirche handelt, sieht sich &bdquo;aufgrund der noch anhaltenden Ferien- und Urlaubszeit“ nicht in der Lage, kurzfristig eine Stellungnahme abzugeben. Die Verantwortlichen hätten noch nicht die Möglichkeit gehabt, mit allen Beteiligten, insbesondere der mitveranstaltenden Gemeinde aus Extertal, ausführlich sprechen zu können. Die LZ-Anfrage liegt der Gemeinde seit vergangenen Donnerstag vor.

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