Sozialleistungen nicht mehr in bar? Was ein neues Gesetz für Obdachlose in Lippe bedeutet

Kreis Lippe. Ab 2026 sollen sich Wohnungslose ohne Konto Sozialleistungen wie Bürgergeld nicht mehr bar auszahlen lassen können. Das sieht ein neuer Gesetzesentwurf vor. Trotzdem sieht das Jobcenter Lippe betroffene Menschen im Kreis nicht bedroht, schließlich verzichtet die Behörde schon seit vielen Jahren darauf, Bargeld auszuzahlen, und setzt auf Barschecks, die faktisch direkten Zugang zu Geld ohne Konto ermöglichen. Aber auch deren Tage sind bei der Postbank gezählt. Die Situation wirkt auf den ersten Blick verzwickt.

Es ist der Plan für die Welt: Alles soll digitaler und weniger bürokratisch werden, darauf drängt das Anpassungsgesetz des Sechsten Sozialbuchs, das die Digitalisierung von Auszahlungen vorantreibt und damit indirekt Einfluss auf andere Sozialleistungen nimmt. Was dem einen die Arbeit möglicherweise leichter macht, könnte gerade für obdachlose Menschen Probleme mit sich bringen. Das bisher bestehende Wahlrecht, Sozialleistungen entweder auf ein Konto oder in bar zu verlangen, soll nämlich komplett entfallen.

Drogenberatung: Digitalisierung grenzt aus Aus Sicht der Drogenberatung Lippe, die auch mit vielen Klientinnen und Klienten aus der hiesigen Obdachlosenszene zu tun hat, wäre das ein fatales Signal. Es gebe immer Gründe, weshalb die Menschen nicht in der Lage wären, ein eigenes Konto einzurichten - ob wegen einer fehlenden Meldeadresse oder eben auch, weil manche Menschen überhaupt nicht die Möglichkeit hätten, sich digital durch Anmeldeprozesse durchzufinden. Dabei spiele auch Scham oder die persönliche Lebenssituation eine Rolle. &bdquo;Die Digitalisierung geht oft auf Kosten der sozial Schwachen“, meint Saskia von Oosterum, Leiterin der Drogenberatung.

Ihre Kollegin Martina Erber, Diplom-Sozialpädagogin, hat bei ihren Beratungsgesprächen öfter mit Menschen zu tun, die kein Konto besitzen und sich Sozialleistungen auszahlen lassen wollen. Sie sieht das neue Gesetz daher kritisch, weil die Arbeit in den Behörden zwar möglicherweise entschlackt, aber parallel verlagert werde. Dafür nennt Martina Erber ein Beispiel von der Supermarktkasse, wohin sich die Geldausgabe schon jetzt verschiebe. In Notfällen gäbe es die Möglichkeit, sich Geld über einen vom Amt ausgestellten Barcode an mitwirkenden Supermarktkassen auszahlen zu lassen.

&bdquo;Ich hatte erst dieses Jahr einen Klienten hier in Detmold, der auf diesem Wege 900 Euro ausgezahlt bekommen sollte“, sagt Erber. Da die Höhe begrenzt sei, hätte er dreimal in den Supermarkt gehen müssen. Die Beträge könnten nur in teilnehmenden Einzelhandelsketten - wie Rewe, Penny oder DM - eingelöst werden. Dieses System scheint aber hier in der Region eher die Ausnahme, denn weder das Jobcenter Lippe noch der Kreis Lippe oder der Stadt Detmold böten es an, heißt es auf Anfrage.

Jobcenter setzt auf Hilfe auf Augenhöhe Hier liege ein großer Unterschied zwischen den kommunalen Jobcentern wie in Lippe, die ihre eigenständigen Systeme nutzten - und den mit der Agentur für Arbeit kooperierenden Ämtern - wie beim Jobcenter Bielefeld oder Herford. Dort werde die Barcode-Methode angewendet - entsprechende Zahlscheine könnten grundsätzlich auch in Detmold eingelöst werden. Laut Jobcenter Lippe wird in Ausnahmefällen ausschließlich mit Lebensmittelgutscheinen gearbeitet, wenn Hilfesuchende einkaufen möchten.

Seit Jahren kümmerten sich spezielle Expertenteams um die Hilfesuchenden, die &bdquo;sehr genau auf die individuelle Lebenssituation eingehen“, schreibt Almuth Siekmann-Marxmeier, Leiterin des Fachbereichs Wirtschaftliche Hilfen. &bdquo; Diese Teams kennen die Bedarfe dieses Personenkreises und verfügen über eine langjährige Erfahrung im Umgang mit Menschen ohne festen Wohnsitz.“ Es seien aber nur noch wenige Menschen, die tatsächlich ihr Geld ohne Konto ausgezahlt bekämen.

Das Jobcenter betont, es sei wichtig, niemanden auszuschließen und die Menschen finanziell zu stabilisieren. Aus Sicht des Amtes wird sich mit dem neuen Anpassungsgesetz im Kreis Lippe daher nicht viel ändern. &bdquo;Bargeldleistungen werden bei uns bereits seit vielen Jahren nicht mehr ausgezahlt. Stattdessen stellen wir Barchecks aus, die bei Banken – beispielsweise der Sparkasse – eingelöst werden können“, schreibt Siekmann-Marxmeier. Dieses bestehende Verfahren hätte sich über lange Zeit bewährt.

Dagegen stellt die Postbank das Scheckverfahren für die Auszahlungen von Sozialleistungen zum Jahreswechsel komplett ein. Daher verweisen die an die Agentur für Arbeit angeschlossenen Jobcenter bundesweit, wie beispielsweise im Rhein-Neckar-Kreis (Baden-Württemberg) darauf, dass ein Bankkonto für den Erhalt von Sozialleistungen nun Pflicht wird.

Deutsche Bundesbank kündigt Ende der Schecks an &bdquo;Sie haben einen gesetzlichen Anspruch auf ein sogenanntes Basiskonto – auch wenn Sie kein Geld auf dem Konto oder Schulden haben“, heißt es vom Amt im Rhein-Neckar-Kreis. Dazu sind Banken verpflichtet. In der Realität sind die Hürden für Menschen in prekären Situationen aber oftmals höher, das sieht die Drogenberatung Lippe regelmäßig in der Praxis. Konkret scheitere es oftmals bereits an den nötigen Ausweispapieren, der zwischenmenschlichen Kommunikation und der eigenen Schuldenangst, heißt es.

Spätestens in zwei Jahren muss auch das Jobcenter Lippe dann wohl die bisherige Arbeitsweise überdenken. Die Deutsche Bundesbank hat zum Jahresende 2027 das Ende für Verrechnungsscheck angekündigt. Damit verschwindet eine der letzten papiergebundenen Zahlungsmethoden endgültig aus dem deutschen Finanzwesen. Für Menschen, die auf die direkte Hilfe angewiesen sind, fällt damit ein niederschwelliges Angebot unwiederbringbar weg.

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