Fairtrade: "...und dann wundern wir Europäer uns über Armutsflüchtlinge"

Lemgo . Die Fairtrade-Initiative Lemgo hat einen neuen Sprecher: Helmut Kohorst. Der pensionierte Lehrer ( 68 ) glaubt, dass jeder seinen Teil zu einer besseren Welt beitragen kann. Wie das geht? Durch Aufklärung... und den einen oder anderen Euro extra. Sagt Helmut Kohorst im Interview zu seinem Amtsantritt.

Erstes Vorurteil: Alleine erreiche ich sowieso nichts. Also kann ich mir die drei, vier Euro mehr für fairen Kaffee sparen. Kommt eh aufs Gleiche raus, oder?

Helmut Kohorst : In der Tat bewege ich als Einzelner nichts, das belegt die Entwicklung des Welthandels seit drei, vier Jahrzehnten. Aber Siegel, Veranstaltungen, Flyer, Fairtrade-Kaffee im Rathaus: All das zeigt, es bewegt sich etwas. Dann bin ich nicht mehr alleine. Und wenn möglichst viele mitdenken und mitmachen, können sie zusammen doch eine Menge bewegen.

Zweites Vorurteil: Fairtrade ist nur was für Besserverdiener. Ich muss mir das leisten können.

Kohorst : Auch beim fairen Handel gibt es Preisspannen. Beim Kaffee zwischen 14 Euro oder 7 Euro beim Discounter. Also kann ich auch mit kleinem Geldbeutel etwas tun.

Ein Bruchteil kommt dann beim Kaffeebauern etwa in Nicaragua an – was hat er davon?

Kohorst : Mehr Geld – entweder bessere Bezahlung oder die Chance, vielleicht sogar mit anderen eine eigene Genossenschaft mit gesichertem Absatz zu besseren, verlässlichen Preisen zu gründen. Bessere Sozialstandards sind außerdem ein wichtiger Aspekt.

Wie funktioniert das konkret?

Kohorst : Sehen wir uns den normalen Kaffeemarkt an: Ist die Ernte gut, rauschen die Preise in den Keller, ist sie schlecht, hat auch der einzelne Bauer wenig Bohnen zu verkaufen. Beides ist schlecht für ihn. Fairer Handel garantiert einen Preis oberhalb des Weltmarktkurses, Planungssicherheit und das größere Fangnetz einer Genossenschaft. Ein Teil des Geldes geht in die Bildung für die Kinder und die Alterssicherung.

Kaffee ist das bekannteste Fairtrade-Produkt, wo funktioniert das Prinzip noch?

Kohorst : Zum Beispiel bei Kakao, Schokolade, Bananen, Honig, Tee... Aber auch bei heimischen Produkten kann ich genauer hinsehen, wenn ich will. Sehen Sie mal, unter welchen Bedingungen manche Spargelkolonne arbeitet. Es gibt regionale oder Bio-Siegel, damit sind soziale Standards in Deutschland verbunden.

Schokolade... Genuss mit einem guten Gefühl – gibt es das?

Kohorst : Zumindest mit einem besseren. Denn die Rohstoffe zu einem fairen Kurs abzukaufen, ist das eine. Die Schokolade direkt beispielsweise in Afrika produzieren zu lassen, wäre noch besser. Dann würde die Wertschöpfung direkt dort hängenbleiben. Aber dann kostet die Tafel eben drei Euro und nicht 69 Cent. Das zeigt, wie weit der Weg noch ist.

Lemgo trägt inzwischen seinen Teil bei, ist Fairtrade-Kommune...

Kohorst : Das ist ein Anfang. Die Schulen, die Kirchen, Geschäfte, Gastronomen, das Rathaus – sie alle ziehen mit. Doch wir brauchen auch eine Massenbewegung. Und da sind die Discounter wichtig. Hier war Fairtrade, wenn überhaupt, nur als Bückware zu bekommen, die unten lag. Inzwischen hat das Sortiment diese Nische verlassen und operiert auf Augenhöhe. Das begrüße ich natürlich sehr. Und auch in Lemgo gibt es noch viele Einrichtungen und Geschäfte, die mitmachen und ihr Sortiment um Fairtrade-Produkte erweitern könnten.

Wie haben Sie das Thema für sich selbst entdeckt?

Kohorst : Als wir 1979 nach Lemgo gezogen sind, sind wir sofort in die Eine-Welt-Gruppe gegangen. Durch die Städtepartnerschaft mit Vanduvre konnte ich vier Wochen nach Burkina Faso im Westen Afrikas, um dort eine Schule mit aufzubauen. Eine besondere Erfahrung.

Inwiefern?

Kohorst : Was die Mentalität, aber auch die Lebensverhältnisse angeht. Die Menschen erzeugten Nahrungsmittel mit einfachsten Mittel, auf dem Feld mit einer kleinen Hacke. Afrika war der vergessene Kontinent.

Fernab des Fokus der ersten Welt?

Kohorst : Ja, außer als Absatzmarkt. Das ist ja das Schizophrene. Die Afrikaner haben ihre Rohstoffe billig verkauft, ohne dass etwas hängen blieb. Auf der anderen Seite haben wir dort Emaille-Geschirr, Flip Flops und nachgemachte Adidas-Trikot gesehen. Alles aus China importiert. So verdrängt man die Produktion aus dem eigenen Land.

Hat sich daran etwas geändert?

Kohorst : Leider nicht. Afrika wird weiter der eigenen Absatzmärkte und der Rohstoffe beraubt. Es ist sogar schlimmer geworden, was Billigtextilien angeht. Da in Asien die Löhne immer weiter steigen, wird inzwischen teilweise in Afrika produziert, doch zu von außen diktierten, schlechten Arbeitsbedingungen. Die Gewinne schöpfen andere ab. Und das aktuelle Freihandelsabkommen zwischen Europa und Afrika zerstört zum Beispiel durch EU-Export von subventioniertem Geflügelfleisch die lokalen Märkte für afrikanisches Geflügel. Und dann wundern wir Europäer uns über Armutsflüchtlinge.

Persönlich: Helmut Kohorst Helmut Kohorst (68) ist Lemgoer und pensionierter Lehrer. Er war am Gymnasium Aspe in Bad Salzuflen und seit 2001 bis zu seinem Ruhestand 2014 als stellvertretender Direktor am Engelbert-Kaempfer-Gymnasium tätig. Seine Fächer: Mathematik, Erdkunde und Informatik. Der neue Sprecher der Fairtrade-Initiative Lemgo ist auch Mitglied der Eine-Welt-Gruppe der Heilig-Geist-Gemeinde.

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