AfD-Chef Oertel wittert in Lemgo einen "Skandal"

Lemgo. Bereits in der jüngsten Ratssitzung hatte AfD-Fraktionschef Rolf Dieter Oertel die Stadt mit 17 Fragen zum Thema &bdquo;Chemische Reinigung" traktiert. In Person von Jürgen Hennigs, Boss des Straßen- und Entwässerungsbetriebes, kam die Verwaltung ihrer Pflicht auf Antworten nach. Im Anschluss ärgerten sich wiedergewählte Ratsmitglieder hinter vorgehaltener Hand: fast 30 Minuten Wiederholung bekannter Sachverhalte. Einer sprach aus, was wohl viele dachten: Dr. Burkhard Pohl, Fraktionsvorsitzender der Grünen, empfahl dem Kollegen Oertel, sich nächstes Mal vorher schlau zu lesen.

AfD-Chef spricht von "Belehrung" Beim AfD-Fraktionschef ist der Rat als &bdquo;Belehrung" angekommen, wie sich dieser in einer E-Mail an Bürgermeister Markus Baier beschwert. &bdquo;Ich muss mich nicht in alte Geschichten einlesen, sondern meine Pflicht ist es, die Bürger umfassend zu informieren und ihnen die Wahrheit zu sagen. Vermutlich hat kein Lemgoer je die Ratsprotokolle konsumiert, um über den Skandal bestens informiert zu sein." Oertel schreibt von &bdquo;schwammigen Antworten" Hennigs – &bdquo;sie erinnern sinnbildlich an die drei Affen: nichts gehört, nichts gesehen, nichts gesagt".

Schon in der Ratssitzung klang an: Die AfD glaubt der Verwaltung nicht, die seit Jahren in Informations- und Diskussionsrunden stets das Gleiche betont: Jahrzehnte nach der Verklappung der Gifte an der Reinigung sei kein Schuldiger mehr dingfest zu machen. Weder der frühere, noch der heutige Besitzer, oder eine Aufsichtsbehörde, die möglicherweise geschlafen hat. Fest steht: Abriss und Dekontamination laufen und kosten den Steuerzahler viel Geld.

"Absurde Vorwürfe" und "Populismus"

Eine Auskunft, die alle Parteien der vergangenen Ratsperiode akzeptiert hatten und haben. Doch jetzt kommt die AfD und wittert den, so Oertel, &bdquo;Skandal". Vom &bdquo;gelangweilten" Stadtrat, der &bdquo;Belehrung" Pohls und der &bdquo;schwammigen" Auskunft von Hennigs &bdquo;nachdenklich gemacht", legt die AfD nach: Montag steht das Thema erneut auf der Tagesordnung des Rates. Dieses Mal will Oertel keine Antworten, sondern eine Abstimmung. Antrag: Einrichtung des &bdquo;Ausschusses zur Aufklärung der Vorkommnisse bezüglich einer Giftmülldeponie inmitten der Stadt". Ein U-Ausschuss?

Damit ist kaum zu rechnen, wie Reaktionen der anderen Fraktionschefs zeigen. Carsten Steinmeier (CDU) spricht von &bdquo;absurden Vorwürfen" und &bdquo;Populismus". Nach Bekanntwerden der Vergiftung sei reagiert und auch geprüft worden, ob ein Verursacher haftbar zu machen sei. 90 Dokumente dazu seien im Ratsinformationssystem abrufbar.

Alexander Baer (SPD): &bdquo;Zu jeglichen Anfragen hat bisher der Fachausschuss beraten und die Verwaltung geantwortet. Die Presse hat laufend und ausführlich informiert. Die AfD zeichnet sich hier ausschließlich durch Klamauk aus." Burkhard Pohl (Grüne): &bdquo;Ein Jahrzehnte alter Umweltfrevel wird beseitigt – gut so. Und alles ist öffentlich. Herr Oertel hat Antworten erhalten. Nun kommen neue Unterstellungen." Barbara Schiek-Hübenthal (FDP): &bdquo;Aufklärung hat stattgefunden." Udo Golabeck ( eSL ): &bdquo;Wir haben uns in unzähligen Sitzungen damit beschäftigt."

Wolfgang Sieweke verweist auf eine BfL-Anfrage von 2013, die bereits die Schuld-Frage stellte. Der damaligen Auskunft der Stadt zufolge sei die Kontamination erst nach späten Analysen – etwa des Grundwassers – festgestellt worden. Genauere Untersuchungen des Klärwassers, die früher auf den Frevel hätten hindeuten können, habe es nicht gegeben. Ob die Gewerbeaufsicht Hinweise gab, könne &bdquo;nach Aktenlage nicht nachvollzogen werden". Es sei aber von früheren Mitarbeitern der Reinigung bekannt, dass regelmäßig Prüfungen stattfanden.

"Perfide Strategie" Ein Kommentar von Till Brand

Die Fragen der AfD haben sicher ihre Berechtigung ... gehabt. Im Jahr 2020 sind sie nichts als Populismus. Die Schuldfrage kann nicht mehr geklärt, vor Jahrzehnten Verantwortliche können nicht mehr befragt werden – und die Akten geben nicht her, wer damals Mist gebaut hat. Das geht auf Kosten der Steuerzahler, ist zu bedauern, aber nun mal keine neue Erkenntnis. Kein neuer Skandal, wie die AfD uns weismachen will.

Vor diesem Hintergrund spielt die AfD geschickt mit Fragen, die weh tun, auf die es aber nie Antworten geben wird. So lässt sich Stimmung machen. So lässt sich der Eindruck erwecken, hier sei vertuscht oder gar gelogen worden, ohne dass irgendjemand die Anschuldigungen widerlegen könnte. Dann gilt aber die Unschuldsvermutung.

Ein Vorwurf stimmt hinten und vorne nicht: Die Bevölkerung sei hintergangen worden. Über nur wenige Themen haben Redakteure der LZ in den vergangenen Jahren so oft geschrieben wie über die alte Reinigung und ihr giftiges Erbe. Googeln Sie selbst – Sie werden sehen. Die AfD spielt nun auch in Lemgo ihr Lied vom Staatsversagen und korrupten Eliten. Perfide!

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