Auch in Lemgo liegt die Entscheidungshoheit mehrheitlich in männlicher Hand

Lemgo. Lemgo ist Durchschnitt – zumindest, was den Anteil der Frauen in der Politik betrifft. Gut 27 Prozent der Ratsmitglieder sind weiblich – bundesweit sieht das laut Statistik ganz ähnlich aus. Damit bleibt die Entscheidungshoheit in vielen Bereichen in männlicher Hand, und das, obwohl auch in Lemgo mehr Frauen als Männer leben und es bei der Wahlbeteiligung keine großen Unterschiede gibt.

Vier Frauen, die sich zum Teil seit Jahrzehnten in der Kommunalpolitik engagieren, sind Heike Busse (SPD), Andrea Freitag (CDU), Dr. Katharina Kleine Vennekate (Grüne) und Barbara Schiek-Hübenthal (FDP). Ebenso wie Jessica Katharina Schrader (Einfach Soziales Lemgo) und Sonja Schaak (AfD) gehören sie zu den 13 Frauen, die im Rat der Stadt mit seinen 48 Sitzen vertreten sind.

Als einzige Fraktionschefin sticht dabei Barbara Schiek-Hübenthal heraus. Seit 1999 hat die Diplom-Finanzwirtin das Amt bei der FDP inne und hat es damals von ihrer Vorgängerin Karin Hehner-Rügge übernommen. Die weiblichen Strukturen waren damit schon gegeben, sagt die heute 60-Jährige, die zugibt, sie habe dennoch erst lernen müssen, sich in Diskussionen aktiver einzubringen. &bdquo;Nicht die Ellenbogen benutzen, aber wohl seinen Platz zu behaupten", wie es die Liberale formuliert.

Denn noch immer agieren die Geschlechter verschieden: Während viele Männer aktiv das Wort suchen und gerne im Mittelpunkt stehen, halten sich Frauen oft zurück. Und vielleicht, so mutmaßen die Politikerinnen, liege darin auch einer der Gründe, warum sich der weibliche Nachwuchs nur so spärlich einstelle. &bdquo;Frauen sollten sich nicht so schnell vom Ziel abbringen lassen", sagt dann auch Andrea Freitag, die seit 1999 die CDU im Rat vertritt.

Auch frauen dürfen etwas Falsches sagen Wenn Frauen Fehler machen, so ihre Erfahrung, habe das anders als bei Männern oft ein Geschmäckle, dabei komme es auf das Ergebnis an. &bdquo;Auch Frauen dürfen etwas Falsches sagen", appelliert sie an ihre Geschlechtsgenossinnen, nicht vorschnell aufzugeben und sich von kritischen Stimmen nicht beirren zu lassen. Die 61-Jährige weiß, wovon sie spricht. In den vergangenen Jahrzehnten habe es durchaus Situationen gegeben, in denen sie sich als Frau angegriffen und nicht ernst genommen gefühlt habe. Anstrengend, &bdquo;doch deshalb schmeiße ich nicht hin".

Laut Umfrage der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) sind es eben solche männlichen Attitüden, die Kommunalpolitikerinnen das Ehrenamt verleiden: Profilierungssucht, Klüngelei oder auch endlose Monologe werden als Beispiele genannt. &bdquo;Transparenz schaffen, das Einbinden in Entscheidungsprozesse", nennt Andrea Freitag denn auch die Schlüsselbegriffe, um mehr Frauen für die Politik zu gewinnen.

Das sieht Heike Busse, Sozialversicherungsfachangestellte, ähnlich. Die 60-Jährige sitzt seit 2009 für die SPD im Rat. Und ebenso wie Andrea Freitag spricht sie für die neue Fraktionsführung, wenn sie sagt: &bdquo;Absprachen im Hinterzimmer wird es bei uns nicht geben."

Während in der CDU-Ratsfraktion (15 Sitze) mit Andrea Freitag nur eine Frau vertreten ist, sind es bei der SPD (12 Sitze) immerhin 4; bei der FDP (3 Sitze) ist mit Barbara Schiek-Hübenthal ein Drittel der Ratsfraktion in Frauenhand, je eine Vertreterin ist es bei eSL (2 Sitze) und der AfD (2 Sitze). Die Grünen bringen es bei neun Sitzen im Rat mit fünf Frauen immerhin auf 56 Prozent. Einen Grund dafür sieht Dr. Katharina Kleine Vennekate, die 2020 als Bürgermeisterkandidatin für die Grünen antrat, in einer Regelung, die seit 1986 in der Partei Usus ist: Ungerade Plätze in der Ratsfraktion werden an Frauen vergeben, soweit es Kandidatinnen gibt. Eine andere Kultur und ein anderes Miteinander habe sich aus dieser Regelung entwickelt, ist die 59-Jährige überzeugt, ebenso daraus, dass die Fraktionssitzungen im rotierenden System geführt werden.

Frauenquote als Ziel? Sie selbst ist stellvertretende Fraktionschefin und steht dem Ausschuss für Gleichstellung vor, doch der grüne Vorsitz für den Umwelt- und für den Verkehrsausschuss bleibt in Männerhand. Und eben da sieht die Hochschulpastorin auch bei ihrer Partei durchaus noch Handlungsbedarf. &bdquo;Frauen, traut euch was", appelliert sie an ihre Geschlechtsgenossinnen. Sie sollten mutiger sein, sich in Themen einzubringen, die sie interessieren, auch wenn sie nicht vom Fach sind. Denn Qualifikation bedeute weit mehr als nur Expertenwissen.

Einer &bdquo;Frauenquote", wie sie bei den Grünen Usus ist, können Barbara Schiek-Hübenthal und Andrea Freitag indes wenig abgewinnen. Wenngleich auch sie sich ebenso wie Heike Busse wünschen, dass nicht nur die Sozialthemen von Frauen abgedeckt werden, möge letztlich doch jede/r dort eingesetzt werden, wo sie oder er sich am besten einbringen kann.

Und das könne sich durchaus entwickeln: Andrea Freitag etwa ist seit Jahren im Stadtentwicklungsausschuss aktiv. Beharrlich habe sie darauf hingearbeitet, ein &bdquo;super-spannender Ausschuss", nennt sie Mittelstraße und offengelegte Gewässer als Herzensprojekte – und &bdquo;den gebe ich auch so schnell nicht wieder ab".

Doch was tun, um mehr Frauen für die Politik zu interessieren? Vor allem Jüngere sind kaum vertreten, und Barbara Schiek-Hübenthal weiß auch, warum: &bdquo;Kommunalpolitik ist zeitaufwendig. Sitzungen fallen in den Abend, dazu die Vorbereitungen – wer das mit Familie umsetzen will, ist auf Unterstützung angewiesen." Zumal viele Frauen weiterhin das Gros der Familienarbeit tragen. Andrea Freitag, Altenpflegerin und Mutter von zwei mittlerweile erwachsenen Töchtern, weiß aus eigener Erfahrung: Mütter, die sich in der Politik engagieren, müssen auf vieles verzichten.

Doch wie können sie den Frauen die Angst nehmen, die Dreifach-Bürde Arbeit, Familie und Politik zu stemmen? Frühere Sitzungszeiten oder Teilhabe per Video, führt Dr. Katharina Kleine Vennekate Möglichkeiten an. Wichtiger aber noch sei das persönliche Vorbild, das Gespräch zu suchen. Basisarbeit nennt das Heike Busse, die ebenso wie ihre Ratskolleginnen immer wieder Frauen anspricht, sie auffordert, mal reinzuschnuppern in die Sitzungen oder als sachkundige Bürgerin erste Erfahrungen zu sammeln.

Dann erfahren sie im besten Fall, wie sie ganz konkret ihre Zukunft in der Stadt mitgestalten, und das eben begeistere und mache Lust auf mehr. Männliche Vorbehalte müssten sie dabei nicht befürchten, denn im Netzwerken tun es die Frauen mittlerweile den Männern längst nach. &bdquo;Sachorientiert, mit Interesse, Herz und noch mit etwas mehr", suchen sie nach Ansicht von Barbara Schiek-Hübenthal nach Lösungen – und vielleicht sei es ja eben das, was den kleinen Unterschied zum anderen Geschlecht ausmache.

Heike Busse bringt es augenzwinkernd mit Margret Thatcher auf den Punkt: &bdquo;Möchte jemand etwas erklärt bekommen, fragt er einen Mann. Falls er etwas erledigt haben möchte, fragt er eine Frau."

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