Serie "Mit Herz für Lemgo": Schritt für Schritt dem Tod entgegen

Lemgo/Dörentrup. 2013 war es. Als der Aufruf in der Lippischen Landes-Zeitung stand und etwas in Birgit Grothmann zum Schwingen brachte. Der Ambulante Hospizdienst suchte Menschen, die Sterbende auf ihrem letzten Weg begleiten. Die damals 49-Jährige las den Text und das Thema ließ sie nicht mehr los. "Es hat gedauert, ich habe mich rangetastet und mir letztlich gesagt: Sei mutig." Zehn Jahre später weiß sie, dass es für sie die richtige Entscheidung war.

Es ist ein schwerer Weg, den sie angetreten ist: Menschen bis ans Ende zu begleiten, das bedeutet, dem Tod direkt zu begegnen und immer wieder vor unberechenbaren Situationen zu stehen. Von denen hat Birgit Grothmann viele erlebt. "Jeder Mensch geht individuell mit dem Sterben um, und von Besuch zu Besuch kann alles anders sein", sagt die 59-Jährige, die sich im Ambulanten Hospizdienst Lemgo engagiert. Jung sieht sie aus, wie sie da sitzt, in Jeans und Lederjacke, mit welligem Haar, offenen Augen hinter dem runden Brillengestell, während sie nachdenklich im Cappuccino rührt. Angst habe sie nicht - und doch sei es jedes Mal eine Herausforderung, ein Innehalten und Durchatmen, wenn sie vor der Tür stehe und sich frage, "Wie wird es heute sein?".

Manchmal zieht sich das Sterben hin Etwa 25 Menschen hat sie in den vergangenen zehn Jahren begleitet, ältere, aber auch viele in der mittleren Lebensphase und auch die ganz Jungen, wie etwa die Mutter, die kleine Kinder und Mann zurücklassen wird. Manchmal geht es schnell und sie ist nur ein oder zwei Mal zu Besuch gewesen, dann wieder begleitet sie die Sterbenden über Monate, "ein Jahr, das ist schon lang". Mehrmals die Woche kommt sie dann vorbei, bleibt bei dem Kranken oder auch den Angehörigen, hört zu, nimmt auf, versucht, Kraft zu geben.

Doch wie kann sie selbst das verkraften, wie dem unermesslichen Leid begegnen, wenn die schlichten Floskeln "Alles wird wieder gut" einfach nicht mehr greifen? Birgit Grothmann nickt, "Lösungen, die kann ich nicht bieten". Aber was sie bieten kann, ist zuzuhören. Gerade dann, wenn sich Angehörige und Sterbende in der größten Krise vielleicht nicht mehr viel zu sagen haben. "Manchmal", erzählt die Dörentruperin, "bin ich auch mehr für die Angehörigen da. Höre zu, frage, wie es ihnen geht." Dann etwa, wenn die Sterbenden den Besuch ablehnen oder auch sich weigern, das Schicksal hinzunehmen.

Es ist ein Sprung in unbekannte Tiefen Generell aber müssen Sterbende und Angehörige dem Besuch zustimmen. Birgit Bleibaum, Koordinatorin beim Hospizdienst, führt dann die ersten Vorgespräche und sucht die passende Begleitung unter den Ehrenamtlern aus. Für Birgit Grothmann ist es dennoch stets der Sprung in unbekannte Tiefen. Denn was und welche Situation sie konkret erwartet, das kann ihr vorab niemand sagen - wenngleich sie in einem dreimonatigen Seminar auf den Hospizdienst vorbereitet wurde und als gelernte Altenpflegerin die Zeichen des nahenden Todes einzuschätzen weiß.

Doch manchmal, sagt sie, "sind sie schwer auszuhalten", diese "qualvollen Situationen", und vor allem bei jüngeren Menschen oder auch Männern und Frauen in ihrem Alter fühle sie noch mehr mit. Angst, nicht die richtigen Worte zu finden, habe sie nicht. "Der Schlüsselsatz ist: Was beschäftigt dich? Und was kann ich schon falsch machen, wenn ich zuhöre und Zuspruch gebe?"

Die Anteilnahme ist groß, es entstehen emotionale Bindungen und während sie erzählt, von der älteren Dame, die Angst davor hatte, dass sie die Enkel mit ihrem Leid belaste oder auch von der jungen Mutter, die ihre Kinder nicht mehr aufwachsen sieht, dann scheint es, als verschleierten sich ihre graugrünen Augen hinter den Brillengläsern und habe sie Mühe, die Tränen zurückzuhalten. Abschütteln lasse sich diese Trauer nicht. Gut, dass ihr der Mann zu Hause interessiert zuhöre, dass sie in ihrem Beruf als Praxislehrerin an einem Berufskolleg aufgehe, Familie habe und an der Nähmaschine Ausgleich finde.

Tief empfundene Dankbarkeit, lebendig zu sein Auch die Gruppenabende mit den zehn anderen Helfern im Ambulanten Lemgoer Hospizdienst seien hilfreich, ebenso Supervisions-Sitzungen. "Ich mache weiter, bis ich nicht mehr kann", ist Birgit Grothmann mittlerweile überzeugt, für sich das richtige Ehrenamt gefunden zu haben. Weil es ihr Sinn gibt, weil sie weiß, wie wichtig ihre Arbeit ist und weil "ich glaube, dass ich das ganz gut kann".

Aber natürlich mache es etwas mit ihr, wenn sie teils mehrfach in der Woche zwei bis drei Stunden dem Tod begegne. Der muss nicht immer traurig sein, es gebe viele fröhliche und auch dankbare Momente. "Ich bin mitfühlender geworden, weil ich hinter die Kulissen blicken darf und erfahre, warum manche Situationen so sind." Und dann ist da natürlich die tief empfundene Dankbarkeit, dafür, lebendig zu sein, die Zeit noch nutzen zu dürfen. "Und ich habe gelernt, mich nicht über Dinge zu ärgern, die ich doch nicht ändern kann."

Kennen auch Sie jemanden, der in der Serie "Mit Herz für Lemgo" gut aufgehoben wäre? Dann melden Sie sich gerne unter kkantelberg@lz.de.

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