Im Lemgoer Ehrenbuch finden auch SS-Männer ihren Eintrag

Lemgo. Wer ist Opfer, wer Täter? Wieviel Ehre geziemt denen, die sich am Terror beteiligt haben? Passend zum Gedenken an das November-Pogrom 1938 lädt Marcel Oeben für Samstag, 11. November, ins Stadtarchiv ein. Sein Thema: "Das Lemgoer Ehrenbuch - zwischen Trauer und NS-Ideologie".

Menschen, die im Zweiten Weltkrieg gestorben sind, finden sich im Lemgoer Ehrenbuch wieder: Soldaten, Zivilisten, Kinder, und auch Vertreter der Waffen SS. Rund 1000 Personen, deren Daten samt Bild in loser Blattsammlung zusammengefasst sind. Ein Buch, zu Ehren und zur Erinnerung der Opfer des Krieges. Doch handelt es sich durchweg um Opfer? Dieser Frage geht Stadtarchivar Marcel Oeben nach.

"Nationalsozialismus schimmert noch durch" Durchaus ein gewagtes Vorhaben, wie er sagt, und will sich vorsichtig herantasten, wie mit der Problematik umzugehen ist. Im Stadtarchiv liegen die 300 Seiten in Stapeln auf dem Tisch. Jeweils vier Verstorbene, samt Daten und Foto sind pro Seite aufgeführt. 1000 Schicksale, die sechs Mappen füllen. "Im Kern noch ein NS-Ehrenbuch", ist Oeben überzeugt, zumindest schimmere der Nationalsozialismus noch immer durch.

Die Ursprünge der Sammlung gehen auf Wilhelm Gräfer, Lemgoer Bürgermeister von 1924 bis 1945, zurück. Eine Sammlung zu Ehren der Gefallenen wollte er noch während des Zweiten Weltkrieges schaffen, für die Informationen von Angehörigen zusammengetragen wurden. Nach dem Krieg führten Hauptmann Froben und später Vertreter des Heimatvereins die Auswertung fort, bis das "Ehrenbuch" 1959 abgeschlossen wurde.

Geordnet nach Todestag sind Soldaten, aber auch Zivilisten aufgeführt. Längst nicht alle sind in Lemgo gestorben, Herta Russig etwa kam mit ihren zwei Kindern am 7.3.1940 beim Fliegerangriff in Dresden ums Leben, Soldaten starben an Bauchschüssen oder beim Versuch, Verwundete auf dem Schlachtfeld zu bergen, bei einem anderen ist Tuberkulose als Todesursache angeführt, ein Kind wurde von Fahrzeugen der Besatzungskräfte überrollt, auch ein Deserteur, der hingerichtet wurde, ist im "Ehrenbuch"zu finden.

Schüler protestierten Im Rathaus wurde das "Ehrenbuch" ausgestellt, stets mit den passenden Seiten zum Todestag - bis 1990 eine Detmolder Schülergruppe ins Rathaus kam, just an dem Todestag eines Soldaten der Waffen SS. Sowohl Schüler, als auch Lehrerin waren konsterniert und sprachen bei Stadtdirektor Faßhauer vor, der daraufhin die 23 Einträge von Mitgliedern der SS entfernen ließ.

Doch zwei Jahre später kam es erneut zum Eklat. Diesmal lag eine Beschwerde von Angehörigen eines SS-Mannes vor, die den Gefallenen vor Ort ehren wollten und vergeblich nach seinen Daten suchten. Faßhauer ordnete eine Prüfung der Lebensläufe an, mit dem Ergebnis, dass letztlich einem der 23 SS-Männer die Aufnahme im "Ehrenbuch" verwehrt worden war: Er hatte auch im KZ Dienst geleistet.

Stillschweigend aus dem Rathaus entfernt Das Vorgehen wurde von einer lebhaften öffentlichen Diskussion begleitet, die Meinungen über das Buch gingen stark auseinander - das 2007 dann eher still und heimlich aus dem Rathaus und in den Tiefen des Stadtarchivs verschwand. Ein Faksimile ist seitdem in der Friedhofskapelle an der Rintelner Straße zu finde n, versehen mit einer zeitgenössischen Einordnung der Stadt.

In seinem Vortrag am Samstag, 11. November, wird Marcel Oeben die Chronologie des "Ehrenbuches" aufarbeiten. Dabei geht es ab 18 Uhr im Stadtarchiv auch um die Frage, ob es auch die Falschen ehre und welche Intention dahinter stand. Die Sammlung ist mittlerweile digitalisiert und kann auch online im Stadtarchiv eingesehen werden. "Vielleicht auch als Ausgangspunkt für eine eigene Recherche", ermutigt Stadtarchivar Marcel Oeben alle, Spuren in die Vergangenheit zu verfolgen. Der Eintritt zum Vortrag am Samstag, 18 Uhr, ist frei.

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