Muttergottes steht in der Lemgoer Marienkirche im Mittelpunkt

Lemgo. Marienfrömmigkeit in einer lutherischen Kirche? Auch wenn sie ursprünglich der Jungfrau Maria geweiht war und bis heute ihren Namen trägt – es mag für Protestanten ungewohnt gewesen sein, was die Marienkantorei am 4. Advent dargeboten hat.

Doch das Programm hat gewiss alle Musikfreunde gleich welcher Konfession überzeugt. Und schließlich war es Martin Luther selbst, der Maria höchste Wertschätzung entgegenbrachte.

Marias Geschichte zieht sich durch das Konzert Die junge Frau, die den menschgewordenen Gott neun Monate lang in ihrem Leib trägt: Das Geheimnisvolle, Mystische dieser unglaublichen Geschichte zog sich durch das Konzert. So klang das &bdquo;Ecce advenit“ von Jacobus Gallus (1550-1591) gleich zu Beginn noch aus dem Verborgenen, der Chor sang unsichtbar im Seitenschiff, was der Engel Maria verkündet: &bdquo;Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären“

Ihre Antwort, vertont von Heinrich Schütz, kam nach dem feierlichen Einzug des Chores machtvoll und strahlend. Ihr Lobgesang, das Magnificat, ist ein revolutionäres Lied; es ist der Dank an Gott, der die Hochmütigen, die Mächtigen dieser Welt vom Stuhl stößt und die Niedrigen erhöht.

Bei Schütz steht die Musik ganz im Dienst des Wortes, und so, klar akzentuiert und gut verständlich, sang die Kantorei nicht nur diesen neutestamentlichen Text, sondern auch das Wort des Propheten Jesaja aus dem Alten Testament, das Christen auf Christus beziehen: &bdquo;Tröstet, tröstet mein Volk“

Dann aber stand Maria wieder ganz im Mittelpunkt: mit &bdquo;Ave maris stella“ (Meerstern, sei gegrüßt) des Norwegers Trond Kverno (geboren 1945). Zart, fast zerbrechlich wirkend setzten die Frauenstimmen ein, mit ebenso heiklen Schwebetönen gefolgt von den Männern, dann steigerte sich das Ganze dramatisch.

Ave Maria in schwebenden Klängen Maria als &bdquo;Meerstern“, Schutzpatronin der Seeleute, steht für den rettenden Stern, der auf dem Meer die Richtung weist. Auch das &bdquo;Ave Maria“ von Franz Biebl (1906-2001) ist von schwebenden Klängen geprägt: Diese Vertonung des Rosenkranz-Gebets leitete über zu: &bdquo;Mit dir, Maria, singen wir“ (1994) von Jean-Claude Gianadda. Das Publikum sang Teile dieses modernen geistlichen Liedes im Stil eines Chansons mit.

Wiederum geheimnisvoll schwebend, mit großen Spannungsbögen: &bdquo;O magnum mysterium“ von Francis Poulenc (1899-1963): Das Staunen über die Geburt Jesu gewinnt Gestalt. In ähnlicher musikalischer Sprache, nur sehr viel älter: &bdquo;A solis ortus“ von Gilles Binchois (um 1400-1460). Er zählt wie auch Johann Georg Neithardt (1680-1739) zu den kaum bekannten Meistern, deren Genius an diesem Abend in der Marienkirche zum Klingen kam: in der Vertonung des 24. Psalms, &bdquo;Die Erde ist des Herrn“, mit machtvoller Aufforderung: &bdquo;Machet die Tore weit, dass der König der Ehre einziehe!“ Josef Gabriel Rheinbergers (1839-1901) &bdquo;Laudate Dominum“ nach Psalm 134 beschloss das Konzert.

Zwischendurch spielte Julian Weller auf der neuen Orgel eine Choralbearbeitung von Johann Sebastian Bach und auf der Schwalbennestorgel, im kantigen Renaissance-Klang, ein Präludium von Franz Tunder (1614-1667).

Souveräner A-cappella-Chor All die Vokalmusik, die an diesem Adventssonntag in der Marienkirche erklang und von dem gotischen Raum veredelt wurde, braucht einen souveränen A-cappella-Chor mit homogenem Klang. Einen solchen hat Kantor Volker Jänig mit seiner Kantorei zur Verfügung: Die Sicherheit, auch in heiklen leisen Stellen, ist eindrucksvoll, die Stimmen sind kraftvoll und untereinander ausgewogen, die Intonation ist astrein.

Gott wird Mensch – diesem Geheimnis kann man sich nur annähern. Über Jahrhunderte hat das die Musik getan. Die Komponisten, deren Werke erklangen, sind dem Geheimnis auf ihre Weise ein Stückchen nähergekommen. Und damit auch alle, die in der vollen Marienkirche musizierten und zuhörten.

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