Hühner aus Massentierhaltung gerettet - jetzt leben sie erstmals frei in Verl

Verl. Carlotta hat im Hühnerstall das Sagen. Carlotta war wohl immer schon durchsetzungsfähig, man sieht es ihr an. Wenigstens das Brustgefieder hat die Legehenne gegen die pickenden Artgenossinnen verteidigen können, als sie sich noch mit 59 anderen Hühnern zweieinhalb Quadratmeter &bdquo;Kleingruppenkäfig" in einer sauerländischen Massentierhaltung teilen musste. Elfriede, Nugget, Pommes und Miss Omelett sehen deutlich zerrupfter aus. Doch diese schlimmen Zeiten sind vorbei. Gemeinsam mit fünf weiteren Legehennen genießt das Quintett im Garten von Ute Füchtencordsjürgen jetzt sein zweites Leben.

Und das kam so: Irgendwann, schon länger her, hat Iris Vosskord im Fernsehen einmal einen Bericht über das qualvolle Leben von Legehennen in der konventionellen Massenhaltung gesehen. &bdquo;Ich habe sofort mein Kaufverhalten geändert", sagt sie. Seither kommen zu Hause nur noch Eier aus der Freilandhaltung auf den Tisch. Vorgestellt wurde in dem Beitrag damals auch der gemeinnützige Verein &bdquo;Rettet das Huhn" aus Wolfsburg. Der vermittelt seit Jahren ausgediente Legehennen an tierliebe Menschen, die die Vögel aufnehmen und ihnen ein artgerechtes Restleben ermöglichen.

Der Stress halbiert die Lebenserwartung

Rund 45 Millionen Legehennen füllen die deutschen Ställe. Nach 14 bis 17 Monaten haben die Hühner ihre produktivste Zeit hinter sich und werden durch neue Hennen ersetzt. Die Vögel kommen zum Schlachter, aber selbst das Fleisch der im Legestress abgemagerten Tiere wird nicht mehr verwertet. Sie werde allenfalls noch zu Tierfutter oder Hühnerbrühe verarbeitet. Immerhin 12.000 von ihnen kann der Wolfsburger Verein pro Jahr retten. Die Hühner werden nicht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus dem Stall geholt; vielmehr arbeiten die Tierschützer mit kooperationsbereiten Eierproduzenten zusammen. Früh morgens, wenn sie noch im Schlafmodus sind und das Eingefangenwerden ihnen weniger Stress bereitet, werden die Vögel &bdquo;ausgestallt" und anschließend auf die bundesweit verstreuten Vermittlungspunkte verteilt.

Als Iris Vosskord hörte, dass sich ihre Schwester Ute Füchtencordsjürgen Hühner wünscht, stand das Geschenk zum heutigen 60. Geburtstag fest. Am vergangenen Samstag konnten die beiden Frauen die Vögel am &bdquo;Rettet das Huhn"-Vermittlungspunkt Leopoldshöhe abholen. Seither nennen sie sich mit ein wenig Stolz &bdquo;Adoptanten". Auf der großen Wiese im Garten an der Paderborner Straße hat &bdquo;die Trümmertruppe", wie Vosskord die fünf braunen und fünf weißen Legehennen liebevoll nennt, ein neues Zuhause gefunden. Mit allem, was das Hühnerleben erst lebenswert macht: Stall und Sandbad, Tränke und Wiese zum Scharren mit reichlich Auslauf: 100 Quadratmeter machte der Verein &bdquo;Rettet das Huhn" für die zehn Tiere von Ute Füchtencordsjürgen zur Bedingung.

Ausgerechnet die fünf Weißen, heute die Ängstlichen auf der Wiese, trauten sich noch am Samstag als erste aus dem aufgearbeiteten Bauwagen heraus, den die Schwestern schon vor Wochen über das Internet in Osnabrück gekauft, frisch gestrichen, gegen Milben behandelt und für die Hühner mit Heu und Sitzstangen kuschelig hergerichtet hatten. Zum ersten Mal in ihrem Leben sahen die Legehennen Tageslicht, zum ersten Mal einen Grashalm.

Chicken-Watching auf dem Gartenstuhl

Sieben bis acht Eier täglich legen die zehn Hennen noch. &bdquo;Ich kann meine Geburtstagskuchen schon mit eigenen Eiern backen", sagt Füchtencordsjürgen und grinst: &bdquo;Die sind total hässlich, so zerrupft – aber ich bin jetzt schon verliebt. An jedem Morgen, wenn ich sie aus dem Bauwagen lasse, geht mir das Herz auf." Und ihre Schwester kommt täglich nach der Arbeit vorbei und besucht die lebhaften Legehennen, an deren weitgehend unbefiederten Hälsen und kahlen Hinterteilen sich mittlerweile die ersten neuen Federn zeigen. In einem dreiviertel Jahr spätestens, hoffen die beiden, werden sie wieder aussehen &bdquo;wie ganz normale Hühner".

Vielleicht noch drei, vier Jahre können die der Massentierhaltung entkommenen Legehennen ihr zweites Leben genießen, wenn sie gesund bleiben. Ihre Lebenserwartung ist nur halb so hoch wie die artgerecht gehaltener Hühner. Bei Ute Füchtencordsjürgen sollen sie jedenfalls bleiben dürfen, &bdquo;bis sie eines Tages umfallen". Bis dahin genießen die Schwestern ihren Anblick und beobachten das Leben auf der Wiese hinter dem mobilen Zaun. &bdquo;Wir haben uns zwei Gartenstühle dort vorn hingestellt. Da sitzen wir dann und betreiben Chicken-Watching."

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