Nach Missbrauchskandal folgt Millionenumbau: Was Camper auf dem Platz in Elbrinxen hält

Kreis Lippe. Inzwischen scheint Gras über die Sache gewachsen zu sein. An der Stelle, auf der jahrzehntelang ein blickdichter Bretterwall die vermüllte Parzelle des Lügde-Haupttäters Andreas V. von der Außenwelt abgeschirmt hatte, ist eine wilde Wiese gewachsen. Fünfeinhalb Jahre sind seit dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals auf dem Campingplatz in Elbrinxen vergangen. Die beiden Täter sitzen schon lange hinter Gittern. Der Tatort selbst hat mit einem neuen Besitzer jetzt die Chance auf einen echten Neuanfang bekommen. Aber ist das wirklich so einfach möglich?

Ein Besuch auf dem Gelände lässt hoffen: Schon nach den ersten Monaten Bauphase wirkt das Areal freier, aufgeräumter und moderner. Als hätte es eine Metamorphose durchlebt. Die neu aufgehängte Lichterkette am Eingangszaun zählt zu den kleinen Details, die düstere Erinnerungsfetzen wie durch Zauberhand verblassen lassen. Dabei geht es hier nicht um ein bisschen Deko zum Aufhübschen, sondern um große Investitionen.

Vier bis fünf Millionen Euro will die neue Schweizer Besitzerfamilie Fridez in die Hand nehmen, um das in die Jahre gekommene Areal in ein luxuriöses Campingresort zu verwandeln. Die bittere Vergangenheit des Missbrauchsskandals soll dafür elegant abgestreift werden. Nicht mal der digitale Routenplaner Google Maps erinnert sich noch an den alten Namen des Platzes, der im Jahr 2019 monatelang bundesweit durch die Schlagzeilen geisterte.

Spuren sind längst verblasst Trotzdem sperrt sich Campingplatz-Kenner Klaus Zumhasch, bekannt als Ortsbürgermeister von Lügdes Kernstadt und aktuell als direkter Ansprechpartner für alle Fragen rund um das Gelände, nicht dagegen, bei einem Rundgang auch auf das dunkle Kapitel des Platzes einzugehen. Es zählt schließlich auch ein Stück weit zu seiner eigenen Geschichte mit dem Areal. Auch Klaus Zumhasch kannte den verurteilten Dauercamper Andreas V. jahrelang als &bdquo;gute Seele des Platzes“, auch er ließ sich – genau wie die meisten anderen – von der Fassade täuschen. &bdquo;Wenn man hier so steht, bekommt man nach wie vor Gänsehaut“, sagt Klaus Zumhasch und blickt auf die inzwischen hochgewachsene Wiese, auf der V. einst mit seinem Pflegekind hauste und sich über Jahre hundertfach sexuell an Kindern verging.

Diese schmerzhafte Stelle lässt Zumhasch nicht einfach aus, obwohl es hier nichts zu sehen gibt. Die ehemalige Parzelle soll – genau wie die des anderen verurteilten Haupttäters Mario S. – nicht wieder vermietet werden, so viel steht fest, sagt Klaus Zumhasch. &bdquo;Hier wird unsere neue Kompostieranlage entstehen.“ Aus längst Verdorbenem etwas hoffnungsvolles Neues schaffen, das Bild lässt sich symbolisch über den gesamten Platz stülpen.

Neuer Besitzer strebt nach Klientelwechsel Klaus Zumhasch selbst hilft seit 2012 auf dem Campingplatz in Elbrinxen aus, stand dem Vorbesitzer Frank Schäfsmeier als Vertreter zur Seite. Nun will der ehemalige Berufssoldat auch den neuen Investor bis zum Jahresende beim Neustart unterstützen. Der Rentner aus Lügde kennt das Areal eh so gut wie seine eigene Westentasche, vielleicht sogar ein bisschen besser.&bdquo;Wir wollen das, was hier passiert ist, auf keinen Fall vergessen“, sagt er in einem ruhigen Moment. Sich konstruktiv mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, das sei wichtig. Aber: Der Blick müsse auf die Zukunft gerichtet sein. &bdquo;Das, was jetzt kommt, ist für den Campingplatz und die ganze Region eine enorm große Chance. So was bekommt man kein zweites Mal angeboten.“

Das mag stimmen. Mehr als 20 Plätze hatte sich der Schweizer Investor deutschlandweit sowie in Österreich und der Schweiz angeschaut. Dass die Wahl ausgerechnet auf das mitten in der Bundesrepublik liegende Fleckchen Erde in Elbrinxen fiel, scheint selbst langjährige Camper überrascht zu haben. Viele glaubten nicht mehr daran, dass der alte Betreiber den Platz überhaupt loswerden könnte. Nicht &bdquo;nach dieser Geschichte“, heißt es. Die idyllische Lage – samt Freibad mit kostenlosem Eintritt für Camper – habe Fridez überzeugt.

Jetzt stehen die Zeichen, egal wohin man schaut, auf Umbruch. Kaum hat der starke Regen nachgelassen, sind einzelne Arbeiter an diesem Nachmittag unter der brennenden Sonne dabei, weitere Kabel an den Blockhütten für Wallboxen auszulegen. E-Mobilität sei jetzt hoch im Kurs, sagt Zumhasch, auch ein E-Auto soll den Gästen neben dem modernen Rezeptionshäuschen als Leihwagen angeboten werden, um rausfahren zu können. Auf der anderen Seite des Platzes bewegt ein Trecker Erde von A nach B. Es herrscht alles – nur eben kein Stillstand mehr.

Vier-Sterne-Luxus auf dem Campingplatz Mit dem neuen Vier-Sterne-Luxusresort will die Familie Fridez einen Klientelwechsel bewirken und wieder verstärkt auf Tourismus setzen, sagt Klaus Zumhasch. Viele Angebote und Attraktionen sind dafür in der Mache. Nach 20 Jahren soll es wieder eine Gastronomie auf dem Areal geben, ein Pächter aus Pyrmont steht in den Startlöchern, auch wenn sich die Bauarbeiten noch etwas hinziehen.

Kein Wunder, parallel müssen erst die wichtigsten Projekte draußen beendet werden – dazu zählen auch die großzügig neu angelegten Parzellen. Von einer Bowlingbahn über ein Fitnessstudio bis hin zu einem Abenteuerspielplatz reichen die Pläne. Die feste Tischtennisplatte und ein urig moderner Aufenthaltsraum für die Camper sind schon einige Monate in Betrieb.

Auf dem Hang am oberen Teil des Areals ist jetzt gerade ein neuer Sanitärcontainer aufgestellt worden, an den ebenfalls zwei barrierefreie Stellplätze grenzen. Wer nicht mehr gut zu Fuß ist, kann hier sorgenfrei campen. &bdquo;Der Container hat Hotelqualität.“ Auch die am Hof gelegenen Duschanlagen sind für mehr als 100.000 Euro erneuert worden, sagt Zumhasch. &bdquo;Und das ist alles nur der Anfang, es wird noch viel mehr passieren.“

Beim Schlendern über den Platz wirkt die gesamte Fläche freier und weniger verbaut als noch vor einigen Jahren. Das Gefühl täuscht offenbar nicht. Inzwischen wird mehr Wert darauf gelegt, so erklärt es Zumhasch, dass das Gesamtbild auf der 100.000 Quadratmeter großen Fläche stimmt. Parzellenbesitzer, deren Grundstücke zuwuchern und optisch immer weiter verfallen, sind angeschrieben und aufgefordert worden, ihre Plätze in Ordnung zu bringen. &bdquo;Wer sich nicht daran hält, wird geräumt.“ Betroffen seien davon allerdings nur wenige, meint Zumhasch.

Wie kommen die Alteingesessenen mit den Veränderungen klar? Die meisten der langjährigen Camper begrüßten es sogar, sagt Zumhasch, dass sich hier endlich etwas auf dem Platz tue, das sei sein Eindruck. Reißaus habe wegen des neuen Besitzers samt aller neuen Dinge niemand genommen, auch wenn es eine natürliche Fluktuation unter den Gästen gebe. In den meisten Fällen altersbedingt. &bdquo;Neulich hat sich eine verwitwete Dame mit ihren 80 Jahren unter Tränen verabschiedet, weil sie die Parzelle einfach nicht mehr alleine halten kann.“ Der Platz gehöre für viele eben schon seit Jahren zum Leben dazu, wie ein zweites Zuhause. Daran hatte der Skandal nichts geändert – wieso sollte ein Besitzerwechsel es also tun?

Zu den großen Liebhabern des Campingplatzes in Elbrinxen gehört auch das Ehepaar Dörr aus Holzminden. Seit mehr als 20 Jahren kommen die Camper regelmäßig her. Unzählige Wochenenden haben Detlef und Daniela Dörr also schon auf dem Platz verbracht und die Natur genossen, um sich vom stressigen Job bei der Berufsfeuerwehr zu erholen. Er hauptberuflich im Chemielabor, sie als Laborassistentin. Sie sind gerade dabei, Umzugskartons für ihr neu gemietetes Tinyhaus auszupacken. Zwei davon gibt es jetzt auf dem Platz, eines haben die Dörrs zu ihrem regulären Stellplatz dazu gebucht. &bdquo;Wir haben es hier immer geliebt“, sagt Detlef Dörr. &bdquo;Sobald man die Tür aufmacht hat, war man in einer anderen Welt.“ Die Vögel zwitscherten, die Natur sei einmalig.

Auf dem Platz spricht keiner mehr über den Missbrauchsskandal Jetzt sitzen beide auf der kleinen hölzernen Terrasse. Ihr Haus in Holzminden haben sie kurzerhand verkauft, sie brauchen nur noch eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung im Haus der Tochter in Minden. Dass der neue Platzbesitzer das Klientel wechseln möchte, ist ihnen nicht entgangen. Aber: &bdquo;Er fragt die Bedürfnisse der Camper ab und setzt vieles um“, sagt der 65-Jährige. Das Ehepaar fühlt sich daher sehr wohl. &bdquo;Es hat sich viel erneuert, das gefällt uns. Wir bleiben“, sagt seine Ehefrau. Nicht alle Camper sind begeistert, manche täten sich mit Veränderungen schwer. &bdquo;Anderen gefällt nicht, dass sie nichts mehr zu meckern haben“, sagt Daniela Dörr und muss lachen.

Über den Missbrauchsskandal spricht man hier auf dem Platz nicht mehr, sagen die Dörrs, auch wenn ihn niemand vergessen habe. Es sei einfach alles gesagt. Lange hat sich das Paar nicht getraut, anderen zu sagen, auf welchem Campingplatz es ist. Zu oft habe man ihnen Unverständnis entgegengebracht. Dabei habe nie zur Debatte gestanden, den Platz zu verlassen. &bdquo;Das ist eine ganz schlimme Sache gewesen. Wir waren alle schockiert.“ Aber der Ort habe nichts dafürgekonnt. Inzwischen hat das Ehepaar selbst ein vierjähriges Enkelkind. &bdquo;Die Kleine liebt es hier.“ Der Campingplatz sei ein Paradies für Kinder. Inzwischen stimmt das vielleicht sogar wieder.

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