Tierischer Kindsmord im Storchennest: In Elbrinxen spielen sich mitunter Familiendramen ab

Lügde-Elbrinxen. Da sitzen sie wieder, die großen Vögel mit den roten Beinen und den langen Schnäbeln. Nicht nur in den Storchendörfern Elbrinxen und Donop, sondern auch auf den umliegenden Feldern im lippischen Südosten ist der Weißstorch schon fast so ein gewohnter Anblick wie der Graureiher. Doch die Tiere kämpfen ums Überleben, und das ist dramatischer, als es sich mancher vorstellen mag: Allein in Elbrinxen an der Storchenstation, wo derzeit 38 erwachsene Weißstörche leben , sind in dieser Brutsaison bereits vier Storchenjunge von ihren Eltern aus dem Nest befördert worden.

&bdquo;Das erlebe ich immer wieder“, sagt Rolf Klinge. Er gehört zu den Ehrenamtlichen, die seit Jahrzehnten die Störche in der mittlerweile 40 Jahre alten Station betreut. &bdquo;Es hängt immer davon ab, wie das Nahrungsangebot aussieht.“ Und das war durch die lange Trockenheit in den vergangenen Wochen reichlich dürftig. Das Klischee, dass der Storch durch Feuchtwiesen stakst und Frösche und Kröten fängt, stimmt schon lange nicht mehr.

Mäuse, Käfer und vor allem Regenwürmer gehören auf den Speisezettel, eiweißreiche Kost halt. &bdquo;Wenn die Äcker frisch gepflügt sind, dann sehen wir die Störche ja häufig auf dem Acker, auch, wenn gerade die Wiesen gemäht sind“, weiß der Elbrinxer Storchenexperte. &bdquo;Aber das ist jetzt alles durch, und weil es die ganze Zeit so trocken war, gab es noch nicht mal mehr Regenwürmer.“

80 Küken werden täglich verfüttert Die Störche an der Storchenstation in Elbrinxen haben Glück, denn Klinge und seine Mitstreiter servieren den Langbeinern mit den roten Strümpfen wenigstens ein Frühstück. &bdquo;Zurzeit verfüttern wir täglich 80 Küken“. Das wiederum bringt die ehrenamtliche Hilfe an ihre Grenzen, weil die Hähnchenküken importiert werden müssen und deutlich im Preis gestiegen sind. &bdquo;Es hat schon seinen Grund, warum wir auch Führungen anbieten, so kommt zusätzlich zu den Spenden auch ein bisschen Geld herein.“

Bei den Störchen ist der Futtermangel eine echte Existenzfrage. &bdquo;Wenn die Eltern merken, dass sie es nicht schaffen, die komplette Brut groß zu ziehen, dann kommt es vor, dass sie das schwächste der Jungen aus dem Nest werfen.“ Während Rolf Klinge dieses Phänomen des Infantizids in der vergangenen Saison kaum beobachtet hat - es hat 2024 genügend geregnet, sodass die Störche genügend Nahrung gefunden haben - ist die Lage in diesem Jahr prekärer: &bdquo;Ich habe das allein in dieser Saison bereits vier Mal erlebt.“

Die Ursachen sind fast immer der Nahrungsmangel. Das war auch in den 60-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts schon bekannt: &bdquo;Während der drei ersten Lebenswochen der Jungen bleibt ein Altvogel ständig als Wache am Nest“, heißt es beispielsweise im 1966 erschienenen Handbuch der Vögel Mitteleuropas, einem Standardwerk. Doch falle in diesen drei Wochen ein Altvogel aus, so verhungern die Nestlinge, da für den verbleibenden Altvogel das Wachehalten vor dem Füttern kommt.“

Erhaltungstrieb: Manchmal tötet ein Elternteil ein Junges Das ist nicht alles: Junge Störche, die nicht normal betteln wie ihre kräftigeren Geschwister, würden von den Eltern nicht mehr anerkannt. &bdquo;Geraten sie auf den Nestrand so wird ihnen nicht geholfen. Sterbende oder tote Junge werden, solange sie klein sind, verschlungen.“ Größere fielen bei den Schlingversuchen aus dem Nest beziehungsweise würden auch aus dem Nest geworfen. Manchmal lägen tote Junge aber auch längere Zeit im Nest. Gelegentlich würden von angreifenden Fremdstörchen oder, wenn der Pflegetrieb dem Fresstrieb weicht, sogar von einem der eigenen Eltern auch Junge getötet. Der Grund könne in offensichtlicher Krankheit der Jungen oder in der Unerfahrenheit der Storcheneltern liegen, wenn sie erstmals Junge aufziehen.

Also keine mangelnde Elternliebe, sondern der schlichte Erhaltungstrieb treibt die Storcheneltern zu diesem drastischen Schritt, der in der Fachwelt Infantizid genannt wird und sowohl bei anderen Vogelarten als auch mitunter in der Welt der Säuger vorkommen kann.

Stärkere Vogeljunge schubsen Geschwister aus dem Nest Kronismus bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Eltern ihre Jungen nicht nur töten, sondern auch fressen. Das Wort ist eine Anlehnung an den Gott Kronos, der in der griechischen Mythologie als Sohn des Uranos und der Erdgöttin Gaia gilt und aus Angst vor dem eigenen Machtverlust seine eigenen Kinder verspeist.

Es passiert auch, dass stärkere Vogeljungen ihre Geschwister aus dem Nest schubsen, sagt Matthias Füller, ehemaliger Leiter der Biologischen Station und Vogelkenner par excellence: &bdquo;Das nennt man dann Kainismus, in Anlehnung an den biblischen Kain, der seinen Bruder Abel erschlagen hat.“ Mitunter bleibe es nicht nur bei der Tötung der Futterkonkurrenz: &bdquo;Bei Greifvögeln frisst das stärkere Junge manchmal auch ein schwächeres.“ Denn auch die leiden unter langer Trockenheit, und auch sie ernähren sich von Mäusen und Regenwürmern. Oder eben in allergrößter Not auch mal von den eigenen Artgenossen.

Wer übrigens die Storchenstation in Elbrinxen unterstützen oder sie besuchen möchte: Hier ist der Kontakt: http://storchenverein-in-elbrinxen.de/

Tierischer Kindsmord im Storchennest: In Elbrinxen spielen sich mitunter Familiendramen ab

Angebot zur Kommunalwahl

Schöne Fotos: In Elbrinxen brüten so viele Storchenpaare wie nie zuvor

Die Storchenstation Elbrinxen bietet ein Naturschauspiel

Tot im Nest: Ein Storchenküken auf dem Braker Schloss in Lemgo hat es nicht geschafft

Störche im Kreis Gütersloh könnten bald erneut auf einem Mobilfunkmast brüten

Zwei Nester, beide bebrütet: Der „Storchenvater“ von Hölsen

Storchenküken in Lage: Vogelbabys sind vor zwei Wochen geschlüpft