Stehlen professionelle Banden zentnerweise Pilze aus Bielefelds Wäldern?

Bielefeld. 2022 ist ein gutes Pilzjahr, eines, das sich nun dem Ende zuneigt. Aber auch eines mit Misstönen. Es gibt Probleme. Gleich mehrere.

Pilz-Mafia im Wald Mit einer Pressemitteilung sorgt der Waldbauernverband NRW für Aufsehen. Von "regelrechten Horden", die in die Wälder einfielen, spricht der Verband. Von Gruppen mit Stirnlampen für den Pilzdiebstahl im Halbdunkel - von Gruppen mit Funkgeräten, um sich vor der Polizei zu warnen. "Zentnerweise Steinpilze" würden von "gut organisierten Sammlergruppen" gegen alle Regeln aus den Wäldern gestohlen. Ein Hintergrund: Pilzpreise sind massiv gestiegen, auch, weil Nachschub aus Russland fehlt. Züchten lassen sich Steinpilze quasi nicht. Deutlich über 100 Euro ist das Kilo getrocknete Steinpilze wert, sogar frische liegen in dieser Region.

Und doch schütteln alle in Bielefeld (und auch in Düsseldorf) nur mit dem Kopf über die deftige Pilz-Pressemittelung des Verbandes, der private Waldbesitzer vertritt. Aus dem Ministerium heißt es nüchtern: "Es ist kein Trend erkennbar, dass gewerblicher Diebstahl von Pilzen in NRW zunimmt." Es seien weiterhin, wie jedes Jahr, nur Einzelfälle.

"Clans im Wald?" Stimmen aus Bielefeld bestätigen das. Waldbesitzer Rolf Meyer zu Bentrup: "Clans im Wald? Ich habe davon nullkommanull mitbekommen." Clemens von Spiegel, der die privaten Waldbesitzer in Bielefeld vertritt: "Ich weiß nicht, wo das sein soll, hier bei uns habe ich das noch nicht wahrgenommen - aber aus Sachsen-Anhalt, Brandenburg und der Berliner Ecke habe ich schon von rumänischen Gruppen gehört."

Da die Hälfte der Wälder in Bielefeld private sind, die andere öffentliche, geht die Anfrage auch an die Stadt. Sprecherin Kristina Beermann: "In Umweltamt und Umweltbetrieb sind keine Auffälligkeiten bekannt." Bielefelds Ranger Aaron Gellern vom Landesforstbetrieb sagt: "In Bielefeld sind die Pilzecken wohl zu klein, das ist für professionelle Pilzsucher zu uninteressant."

Täglich im Wald ist Klaus-Werner Bielecki, einer der letzten echten Pilzexperten. Der Renter weiß unglaublich viel über Pilze, und sieht jeden Tag auch Sammler. Die Pilz-Mafia aber hat er noch nicht entdeckt, seltene Arten hingegen schon. "Vielleicht sind die Trupps im Bergischen unterwegs", mutmaßt er. Gewerbliche Sammler hat er keine gesehen. Das Land stellt dazu fest: Gewerbliches Sammeln sei ohne Wenn und Aber Diebstahl.

Fehlverhalten im Wald Das gibt es, auch im Teuto. Aus Unwissenheit, aber auch aus Rücksichtslosigkeit. Bielecki schüttelt den Kopf. Da gibt es Leute, die auch die ältesten Pilze erst einmal abschneiden, in der Hand auf Maden prüfen - und dann wegwerfen. Dabei reiche ein leichter Druck auf die Pilzmitte, dann wisse jeder sofort, ob der Pilz noch etwas tauge. Fest muss der Pilz sein. Nur junge gehörten in den Korb, "die anderen braucht der Wald selbst, für die Pilz-Population". Bielecki: "Wir Sammler sind auch für die Pflege zuständig."

Wer einen Pilz abschneidet (nicht rausreißt!), sollte immer etwas Laub auf die Schnittstelle geben, damit der Pilzfuß nicht austrocknet. So bleibe das komplizierte Lebewesen Pilz erhalten, könne auch künftig seine Fruchtkörper, die umgangssprachlich als Pilz bezeichnet werden, hervorbringen.

"Eine Straftat" Ranger Aaron Gellern ärgert, dass einzelne Sammler "einfach alles abschneiden und dann zu Hause bestimmen". Das sei absolut nicht in Ordnung. "Bestimmen sollte jeder die Pilze vor Ort - und alle stehenlassen, die man nicht essen will." Wer mit einer streng geschützten Art im Korb erwischt werde, habe "eine Straftat" begangen.

Zu den Regeln gehört auch, dass das Sammeln in Naturschutzgebieten verboten ist. Es gelte das Wegegebot, damit sei das Sammeln im Wald untersagt. Laut Land ist es auch nur erlaubt, pro Sammler und Tag bis zu zwei Kilogramm mitzunehmen. Das Ministerium betont, dass klare Verstöße gegen diese beiden Regeln mit Bußgeldern von mehreren Tausend Euro geahndet werden. Und wenn bei den angeblichen Horden der Pilz-Mafia tatsächlich Stirnlampen im Einsatz sein sollten, wäre auch das gegen die Spielregeln. Frühe Morgen- und Abendstunden sollten tabu sein, weil das Wild da seine Ruhe brauche.

Schöne Seiten des Sammelns Es war ein gutes Pilzjahr. Ranger Gellern: "Es sind viele private Sammler im Wald unterwegs." Und das, obwohl sich immer weniger Deutsche mit Pilzen auskennen. Doch die Kultur des Sammelns wird wiederbelebt, weil Osteuropäer, die nach Deutschland kommen, das Pilze-Sammeln als Kulturgut und Ergänzung zum Supermarkteinkauf pflegen.

Da Pilze vor allem unter jüngeren Bäumen wachsen, ist das Sammeln übrigens meist weniger der lockere Waldspaziergang unter alten Buchen sondern mehr ein "sich ins Gebüsch schlagen" - und viele verzichten darauf, auch der Zecken wegen. Nicht so Experte Bielecki. Bei einer Tour durch den Wald zeigt er Riesenbovisten und Steinpilze, Maronen, mächtige Anis-Champignons und Parasolpilze - ja, sogar den seltenen Eichhase hat er entdeckt. Clemens von Spiegel von den privaten Waldbesitzern sagt: "Dieses Jahr waren es gewaltig viele Pilze".

"Fünf Prozent weniger" Experte Bielecki hat auch ein gutes Jahr erlebt, es sei aber insgesamt zu trocken. Jetzt gehe das Pilzjahr zu Ende. Und auch wenn es ein gutes war, so beobachtet er im Wald, dass der Klimawandel sogar die Pilze treffe. "Seit einem Jahrzehnt sind es jedes Jahr fünf Prozent weniger", sagt der Rentner. Pilze bräuchten 10 bis 15 Zentimeter feuchten Waldboden, längst seien es aber oft nur zwei, drei Zentimeter. Zu wenig. Dazu sterbende Bäume, mit denen Pilze ja in Symbiose leben - ein Problem. Der Rentner zeigt viele Stellen, auf denen er früher Maronen und Steinpilze in Massen finden konnte, heute dagegen kaum noch. Und er zeigt Stellen, die noch immer gut sind. Auch, weil er sie pflegt, weil er anständig mit Wald und Pilz umgeht.

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