SPD-NRW-Chef Kutschaty: "Meine Mission ist noch nicht beendet"

Düsseldorf. Der Landesparteichef erklärt, welche Schlüsse er aus der Wahlniederlage zieht. Mit der Innenpolitik von Herbert Reul geht er hart ins Gericht.

Herr Kutschaty, Innenminister Reul hat kürzlich die Kriminalitätszahlen für NRW vorgestellt. Die Delikte sind um knapp 14 Prozent gestiegen und in vielen Bereichen sogar über dem Niveau vor Corona. Wie bewerten Sie das?

In NRW gab es in den Vorjahren nicht wegen Reul weniger Delikte, sondern wegen Corona. Jetzt zeigt sich, wo die Innenpolitik wirklich steht. Nach sechs Jahren Herbert Reul im Amt gibt es in NRW mehr Gewaltdelikte als vorher. Diese Entwicklung wird aber den Bediensteten nicht gerecht, die unter schweren Bedingungen Tag für Tag für uns alle im Einsatz sind. Das ist natürlich Herbert Reuls schlechtes Ergebnis und allein mit dem Anstieg nach Corona nicht zu erklären.

Womit dann?

Es stellt sich die Frage, ob die Schwerpunktsetzung die Richtige ist. Man kann mit starken Bildern Razzien im Bereich der Organisierten Kriminalität durchführen. Das reicht aber nicht. Reuls PR-Auftritte können eine präventive Innenpolitik, die Straftaten bereits in den Ursachen bekämpft, nicht ersetzen. Man regelt das nicht allein durch Streifengänge, sondern auch durch eine vorausschauende Sozialpolitik. Dort, wo soziale Probleme und Armut gering sind, ist auch die Kriminalität niedrig.

In der SPD-Amtszeit mit dem damaligen Innenminister Ralf Jäger sah es nicht besser aus...

Mit Herbert Reuls heutigen Zahlen gab es ja auch leider kein gutes Wahlergebnis. Man kann heute objektiv sagen: Die vielen präventiven Projekte, die vor 2017 geschaffen wurden, wie das Haus des Jugendrechts oder das Projekt &bdquo;Kurve kriegen“, haben mit dafür gesorgt, dass zu unserer Amtszeit und in Reuls ersten Jahren die Kriminalität zurückgegangen ist. Die ist jetzt aber wieder massiv gestiegen. Herbert Reul ist mit seiner Innenpolitik gescheitert.

Sie haben als Landesparteichef und Spitzenkandidat das historisch schlechteste Ergebnis der SPD bei einer Landtagswahl in NRW zu verantworten. Welche Schlüsse ziehen Sie?

NRW ist Schlusslicht bei der Wahlbeteiligung. Die vielen Krisen haben dazu geführt, dass sich viele Menschen im Frühjahr 2022 eine Auszeit vom politischen Geschehen genommen haben. Das gilt nicht nur für Menschen in prekären Lagen, sondern auch für die Ärztin oder den Bäcker. Um da überhaupt noch durchzudringen, braucht es Klarheit. Die Unterscheidbarkeit zwischen den großen Parteien war nicht da in einer Zeit, in der die Möglichkeit eines dritten Weltkriegs im Raum stand. Wir brauchen mehr Konfrontation in der Auseinandersetzung aus der Sicht derjenigen, die sich heute nicht politisch vertreten fühlen. Gerade NRW hat da riesige Baustellen: Bildung für Kinder, Fachkräftemangel, Transformation der Wirtschaft und die Frage, wie wir die Infrastruktur im Land verbessern. Das sind zentrale Herausforderungen der kommenden Jahre.

Wollen Sie die weiterhin als Landesparteichef angehen?

Ja, denn ich habe Ideen, Lust und Bock darauf. Meine Mission ist nach zwei Jahren im Amt noch nicht beendet. Dafür schweben mir noch viel zu viele Ideen im Kopf herum, wie unser Land besser wird und wie ich unsere Partei nach vorne bringen möchte. Wir sind oft noch in ganz alten Ritualen verhaftet und müssen mehr Mut für Unkonventionelles zeigen. Eine neue Generalsekretärin, die da auch noch eine gesunde Distanz zum Betrieb hat, wird dafür eigene Ideen mitbringen.

Könnten Sie sich eine Doppelspitze vorstellen?

Diese Frage wird bei uns derzeit nicht ernsthaft diskutiert. Wir haben uns in den vergangenen Jahren ja sehr mit dem Aushandeln interner Kompromisse beschäftigt. Die SPD verliert nicht nur in NRW so Wahlen. Das sollten wir also vermeiden. Wir brauchen mehr Klarheit: Wie sprechen wir die Menschen noch an? Wir müssen als NRW-SPD neugieriger werden, mehr am Leben der Gesellschaft teilhaben. Die nächste Wahl wird nicht im Plenarsaal oder in Vorstandsschalten entschieden, sondern auf der Straße und im Netz. Da müssen wir besser werden. Auch das gehört zur Neuausrichtung, nicht nur in Wahlkampfzeiten.

Wollen Sie Spitzenkandidat für die nächste Wahl 2027 werden?

Die Frage stellt sich doch heute noch nicht. Ich bin aber nie als Übergangslösung angetreten und das habe ich auch weiterhin nicht vor.

Deutschland muss sich klimaneutral aufstellen. Vor allem die Grünen setzen auf eine ökologische Wende. Braucht es nicht eher eine sozial-ökologische Wende?

Absolut, uns bleibt gar nichts anderes übrig. Mit Rechthaberei schafft man keine Mehrheiten. Wir nennen uns nicht ohne Grund Sozialdemokratie. Veränderung und Akzeptanz gehören zusammen. Deshalb fragen wir: Wer profitiert von Maßnahmen und das gilt auch für den Klimaschutz. Soziale Teilhabe und Ökologie gehören zusammen, um Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Wenn unsere Wirtschaft in 20 Jahren noch erfolgreich sein will, wird das nur gelingen, wenn wir klimaschützend produzieren. Das muss bereits jetzt gestaltet werden.

Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund den aktuellen Vorstoß von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, dass ab 2024 keine neuen Erdgas- und Ölheizungen mehr eingebaut werden sollen?

Es ist gut, dass Bauministerin Klara Geywitz dafür sorgt, dass Habecks recht ambitionierte Zielvorgaben auch wirklich umsetzbar sind. Viele Gebäude sind technisch nicht mit leichten Mitteln umrüstbar und Material und Handwerker aktuell schwierig zu bekommen. Zielvorgaben sind wichtig. Zur Umsetzbarkeit gehört jedoch auch, dass die Menschen dran glauben und Unterstützung erfahren. Diese Rolle übernimmt die SPD.

Der aktuelle Streik im öffentlichen Dienst wirkt sich auf viele Lebensbereiche aus. Wie bewerten Sie jüngste Forderungen nach einem begrenzten Streikrecht?

Wer das macht, legt die Axt an viele Grundprinzipien unseres Staates an. Ich habe noch nicht erlebt, dass Gewerkschaften schuld daran sind, dass das wirtschaftliche Gleichgewicht in Deutschland gestört ist. Es darf selbstverständlich keine Eingriffe in das Streikrecht geben. Es braucht im Gegenteil mehr Mitbestimmung. Denn die Arbeiterinnen und Arbeiter sind die größten Experten für die Zukunft unserer Wirtschaft.

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