Gewaltexzess von Fußballfans in NRW könnte erst der Anfang gewesen sein

Bielefeld. Mehrere brutale Zwischenfälle haben Fußball-Deutschland zuletzt erschüttert. Eine zufällige Häufung – oder ein neuer Trend? Experten registrieren jedenfalls Veränderungen in der gewaltaffinen Fan-Szene und warnen vor weiteren Eskalationen. Gerade das anstehende Revier-Derby zwischen Dortmund und Schalke am kommenden Samstag bereitet ihnen Sorgen.

"Die Rivalität zwischen Dortmund und Schalke hat sich schon vor Corona zugespitzt", sagt der Politikwissenschaftler und Fan-Forscher Jonas Gabler aus Berlin. Zuletzt eskalierte der Konflikt: Als sich Hunderte Schalke-Fans frühmorgens auf die Reise zum Auswärtsspiel bei Union Berlin machten, tauchten plötzlich Hooligans der Revier-Rivalen Borussia Dortmund und Rot-Weiss Essen auf. Sie prügelten teils mit Baseballschlägern auf sie ein. Mehrere Personen wurden verletzt.

Gabler stuft den Fall in seiner Brutalität als Ausnahme ein, wenngleich es in dieser Saison schon mehrfach zu Gewalt durch deutsche Fans gekommen ist. Vor allem war das bei Spielen auf internationalem Niveau der Fall, zum Beispiel bei der Partie zwischen Köln und Nizza im vergangenen Herbst.

Grenze zwischen Ultras und Hooligans verschmilzt "In den vergangenen zehn Jahren kam es in Deutschland zu immer mehr Gründungen von Fan-Gruppierungen, bei denen die Grenze zwischen Ultras und Hooligans verschmilzt", sagt Gabler. Solche Gruppen, so der Experte weiter, treten im Stadion auf wie Ultras, also die besonders fanatische und organisierte Fan-Szene eines Vereins. Das zeigt sich zum Beispiel durch gemeinsame Choreografien. Allerdings spielten gewalttätige Auseinandersetzungen bei den neuen Gruppierungen eine hohe Rolle, ein klassisches Merkmal der gewaltsuchenden Hooligan-Szene.

In den ersten drei Ligen Deutschlands werden aktuell mehr als 12.000 Personen als gewaltbereite Fans eingestuft. Diese unterteilen sich in die sogenannte "Kategorie B" (gewaltbereite Fans) und "Kategorie C" (gewaltsuchend). Zu letzterer zählen also Hooligans, deren Zahl laut der "Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze" auf knapp 2.800 beziffert wird. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Gesamtzahlen der gewalttätigen Fans minimal gestiegen.

Mit Kampfsport auf Rückkehr vorbereitet? Gabler erwartet, dass sich diese Zahlen im laufenden Jahr durchaus deutlicher verändern können. In der Fan-Sozialarbeit habe man beobachtet, dass während der Pandemie "Kraftsport als eine Art Ersatzhandlung" betrieben wurde. Gabler warnt davor, in Alarmismus zu verfallen und von plötzlich steigenden Gewalttaten im Stadion auszugehen. "Dennoch lässt es die Vermutung zu, dass die Szene für die Rückkehr in die Kurve trainiert hat."

Das Ende der Corona-Einschränkungen geht auch mit einem weiteren Trend einher: "In den vergangenen Monaten gab es gefühlt deutlich mehr Einsätze von Pyrotechnik in den Profi-Ligen. Es scheint Nachholbedarf zu geben", so Gabler. In der Hooligan-Szene sei dieser Effekt aber eher weniger zu beobachten. Die meisten Auseinandersetzungen fänden ohnehin nicht im Umfeld des Stadions statt. Hooligan-Gruppen verabredeten sich zu organisierten Kämpfen eher an geheimen Orten. "Ich denke nicht, dass diese Verabredungen während der Pandemie große Einschnitte erlebt haben."

"Muss mit Racheaktionen rechnen" Der FDP-Innenexperte Marc Lürbke aus Paderborn zeigt sich derweil wegen des anstehenden Revier-Derbys besorgt. Er befürchtet Gegenreaktionen der Schalker Anhänger und, dass "auch normale Bürger oder friedliche Fans in die gewalttätigen Auseinandersetzungen geraten könnten". Erich Rettinghaus, NRW-Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, sieht das ähnlich. "Man muss leider mit Racheaktionen seitens der Schalker rechnen, die werden sich das nicht bieten lassen."

Er fürchte anders als Gabler auch deutlich mehr Gewalt, vor allem in NRW, wo viele große Vereine auf engem Raum nebeneinander konkurrierten. "Ich gehe davon aus, dass wir in den kommenden Monaten wieder mehr mit gewalttätigen Auseinandersetzungen im Rahmen von Fußballspielen zu tun haben werden", so Rettinghaus. "Wichtig ist es für uns, durch die Kontaktbeamten in die Szene zu kommen und präventiv zu arbeiten." Er nimmt aber auch die Vereine in die Pflicht: "Die müssen ihren Anhängern klare Ansagen machen und auch rigoros handeln. Zum Beispiel mit Stadionverboten für Problemfans."

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