Drei Jahre Corona: "Wir haben zutiefst verstörende Bilder produziert"

Kreis Höxter. Es sind zwei Sätze, die sie betroffen und vor allem richtig wütend machen: Weil sie verletzend sind. Weil sie gedankenlos dahingesagt werden. &bdquo;Das ist doch nur ne Erkältung“. Oder: &bdquo;Das wird schon wieder“: Diese beiden Sätze zu Menschen, die Verluste und Trauer im Zusammenhang mit Corona zu bewältigen haben, das macht Sandra Brökel sauer. Weil die, die sie aussprechen, nicht wissen, wie verletzend sie beim Gegenüber wirken. Die Trauertherapeutin und -begleiterin, die auch in der Notfallseelsorge und Krisenintervention arbeitet, hat in drei Jahren Pandemie im Kreis Höxter eine Menge an Krisen, Trauer und Verlusten miterlebt. Sie war da, wenn Hilfe gebraucht wurde. Und sie hat zugehört. Mit Respekt und Offenheit, mit Verständnis und Akzeptanz.

&bdquo;Ich habe damit mehr Erfahrung, als mir lieb ist“, sagt die Steinheimerin nach drei Jahren Leben und Sterben mit dem Corona-Virus im Kreis. &bdquo;Vieles hat mich getroffen und wirklich verstört.“ Und dennoch sagt sie: &bdquo;Mein Leben ist reicher und wertvoller geworden. Weil mich nicht mehr jede Kleinigkeit aufregt. Ich gehe auf Schatzsuche statt Fehlerfahndung.“ Trauer sei vielfältig und nicht allein aufs Sterben bezogen. &bdquo;Trauer ist, wenn mir das Schicksal etwas wegnimmt, was mir im Leben richtig war.“ Auch durch das Virus. Trauer bedeute Verzweiflung, aber auch Angst und Wut.

Sie erinnert sich an den ersten Einsatz in der Notfallseelsorge, als eine junge Palliativpatientin zuhause habe sterben wollen, die vier Kinder um sich. Als Einsatzkräfte, ausgestattet mit Schutzanzügen, Handschuhen und Masken, habe man im Umfeld solcher Schicksale &bdquo;zutiefst verstörende Bilder produziert“: &bdquo;Wie in einem Seuchenfilm.“ Was vielen Menschen auch gefehlt habe, sei die Möglichkeit, von einem sterbenden Angehörigen Abschied zu nehmen. &bdquo;Das ist aus therapeutischer Sicht so wichtig. Für das Begreifen dieser Situation. Für das Akzeptieren des Todes.“ Weder im Krankenhaus noch beim Bestatter sei das während der Lockdowns möglich gewesen.

Gesellschaft habe Tod tabuisiert &bdquo;Dadurch“, sagt Sandra Brökel, &bdquo;wird Trauer kompliziert“. Die Gesellschaft habe den Tod sowieso schon in die Tabu-Ecke gedrängt – vor 100 Jahren sei das mit dem Aufbahren der Gestorbenen daheim ganz anders gewesen. &bdquo;Und heute so unwirklich.“ Besonders in der Pandemie, in der auch Beerdigungen anders, unbegreifbar waren: Beispielsweise beschränkt auf maximal 20 Personen. Beerdigungen seien Wertschätzungen und non-verbale Bekundungen für Angehörige: &bdquo;Wir stehen an Deiner Seite.“ Ohne das? &bdquo;Da fehlte was.“

Sie erinnert sich an eine Frau, deren Mann einsam auf einer Intensivstation mit dem Virus starb. Auch die Frau sei zuhause erkrankt gewesen, als der Anruf mit der Nachricht kam. Die Frau sei noch heute entsetzt und verletzt über Aussagen wie: &bdquo;Das ist doch nur ne Grippe.“ Für diese Frau sei es eben keine Grippe gewesen. Der Tod als solches sei schwer genug gewesen. &bdquo;Aber dann noch das Kleinreden obendrauf.“

Eine andere Frau sei mit Post-Covid heute berufsunfähig. &bdquo;Sie hat ihren Beruf geliebt, hat früher viel gejoggt. Heute kann sie nicht mehr“, erzählt Sandra Brökel erschüttert. &bdquo;Und dann hört sie von anderen: ,Ich habs auch gehabt. War doch gar nicht so schlimm.“ So komme neben körperlichen Folgen nun auch noch die Depression hinzu – wegen des Unverständnisses in ihrem Umfeld. Sandra Brökel: &bdquo;Und die Menschen sind in ihrer Situation wirklich verzweifelt, denn es gibt noch keine Behandlung.“

Dann berichtet sie noch von dem Mann, der mit Bauchspeicheldrüsenkrebs nicht mehr lange zu leben hatte – und in der ersten Phase der Pandemie einfach nur Weihnachten zuhause sein wollte. &bdquo;Unter dem Weihnachtsbaum mit der Familie.“ Das blieb ihm aufgrund der Kontaktsperre versagt. &bdquo;Er konnt es nicht nachholen, denn er hatte keine Zeit mehr.“ Eine andere Krebspatientin habe eine Panikstörung entwickelt, weil sie drei Wochen in ihrer Einsamkeit auf einer Krebsstation lag, ihre OP mehrfach verschoben wurde – &bdquo;und sie völlig allein war“: Da reiche WhatsApp eben nicht aus. Da werde der Mensch gebraucht. Und durfte nicht kommen.

Situation mit einem Kind Besonders zu knabbern hatte sie selbst an einer Situation mit einem Kind in der Kindertrauergruppe Regenbogen. Dort sei ein Mädchen zu Beginn des ersten Lockdowns weinend zusammengebrochen. Ihre Mutter war gestorben, der Vater daheim weine, das Baby schreie. Und die Gruppe sei ihr einziger Ort für ein Stück normales Leben. &bdquo;Ihr könnt jetzt aber nicht dicht machen“, habe das Kind ihr gesagt. Sie musste, erinnert sich Sandra Brökel noch heute emotional tief bewegt an das Gespräch. &bdquo;Ich habe das Mädchen nie wieder gesehen.“

&bdquo;Wir habe viel Schicksale überhaupt nicht im Blick“, sagt sie abschließend. &bdquo;Wir sollten einen Schritt zurücktreten, in uns hineinhorchen und die Bewertung anderer aus unseren Aussagen herauslassen.“ Sie spricht von Verständnis, von Da-Sein, von Respekt. &bdquo;Ich höre zu, ich bewerte nicht“, sagt sie über ihre Arbeit und ihre Aufgabe. &bdquo;Denn ich weiß eben nicht, wie sich das in dem Moment anfühlt.“

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