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Mehr Unterrichtsausfall in NRW – und längst nicht alle Stunden erfasst

Anneke Quasdorf

Über alle Schulformen hinweg sind im ersten Schulhalbjahr 2023/24 insgesamt 4,7 Prozent aller Unterrichtsstunden ersatzlos ausgefallen. - © Caroline SeidSeidel-Dißmannel
Über alle Schulformen hinweg sind im ersten Schulhalbjahr 2023/24 insgesamt 4,7 Prozent aller Unterrichtsstunden ersatzlos ausgefallen. (© Caroline SeidSeidel-Dißmannel)

Zum ersten Mal nach der Corona-Pandemie hat das nordrhein-westfälische Schulministerium am Montag wieder aktuelle Zahlen zum Unterrichtsausfall veröffentlicht. Über alle Schulformen hinweg sind demnach im ersten Schulhalbjahr 2023/24 insgesamt 4,7 Prozent aller Unterrichtsstunden ersatzlos ausgefallen. Allerdings sei auch mehr Unterricht angesetzt worden als vor fünf Jahren, betonte Schulministerin Dorothee Feller (CDU).

Zur Einführung einer flächendeckenden Erhebung des Unterrichtsausfalls waren für das erste Halbjahr 2018/19 demgegenüber 3,3 Prozent kompletter Unterrichtsausfall ermittelt worden. Direkt anschließend war die Statistik ausgesetzt worden, weil es während der Corona-Pandemie über weite Strecken keinen regulären Unterricht mehr gab und die Schulen nicht mit Bürokratie belastet werden sollten.

Fachleute kritisieren die Zahlen. Sie sehen in der Unterrichtsausfall-Statistik kein Instrument, das die tatsächlichen, teils gravierenden Lücken repräsentativ erfasst. „Diese dürften sehr viel höher sein“, sagt Stephan Osterhage-Klingler, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft NRW aus dem Regierungsbezirk Detmold. Zum einen werde der geplante Ausfall, der bereits an vielen Schulen Normalität sei, nicht erfasst. „Das heißt: Eine Ganztagsschule kürzt zwei Nachmittage – das taucht aber unter Ausfall nicht auf.“

Vertretungsunterricht verzerrt Statistik

Zweites Problem: Vertretungsunterricht fällt in der Statistik unter planmäßig erteilter Unterricht. „Über die Qualität erfahren wir hier aber nichts“, sagt Osterhage-Klingler. „Im Zweifel vertritt aber zum Beispiel ein Studierender fachfremd – das ist dann sehr wohl ein Ausfall, weil die Kinder so die geforderten Lernstände nicht erreichen.“

Auch Martina Reiske, Mitglied im Vorstand der Schulleitungsvereinigung NRW, übt Kritik. „Die Statistik zeigt nicht die Realität in Schule.“ Sie bilde weder die Lücken ab, die den Kindern entstünden, noch die Not der Beschäftigten. „Schulen sind ja auch sehr bemüht, den Unterricht planmäßig hin zu würgen – auch, damit sich nicht so viele Eltern beschweren. Das kommt ja auch noch hinzu: Es fällt uns auf die Füße, wenn wir so viel Unterricht ausfallen lassen, wie die Personallage es eigentlich diktiert.“

„Gemäß Stundenplan“ wurden den Angaben zufolge rund 78 Prozent des vorgesehenen Unterrichts erteilt (2018/19: 83 Prozent). Neben dem ersatzlos ausgefallenen Unterricht gab es auch Vertretungsunterricht in unveränderten Lerngruppen (8,1 Prozent) oder veränderter Zusammensetzung (1,6 Prozent), eigenverantwortliches Arbeiten (1,5 Prozent), Distanzunterricht (0,5 Prozent) sowie „Unterricht in besonderer Form“ – etwa Exkursionen, Projekttage, Praktika, Schul- oder Sportfeste (5,3 Prozent). Die Rückmeldequote habe über alle Schulformen hinweg 100 Prozent betragen. Detaillierte Gründe für den Unterrichtsausfall sollen zusammen mit dem Gesamtbericht für das Schuljahr 2023/24 im vierten Quartal nachgeliefert werden.

Ministerium nennt zwei Sondereffekte

Ein Teil der höheren Ausfallrate ist aus Sicht des Schulministeriums auf zwei Sondereffekte zurückzuführen: Zum einen habe es im ersten Schulhalbjahr 2023/24 einen zusätzlichen pädagogischen Tag für digitales Lehren und Lernen gegeben. Zum anderen habe es im Herbst 2023 infolge außerordentlich häufiger akuter Atemwegserkrankungen einen erhöhten Krankenstand bei den Lehrkräften gegeben.

Der Arbeitsauftrag bleibe, mehr Personal zu gewinnen, unterstrich Ministerin Feller. Richtig sei aber auch, dass die öffentlichen Schulen in den Klassen 1 bis 10 im ersten Halbjahr pro Klasse und Woche durchschnittlich 1,8 Prozent mehr Unterricht angesetzt hätten als vor fünf Jahren. Trotz der höheren Ausfallrate verbleibe damit unter dem Strich immer noch ein Mehr an Unterricht.

Die Landesregierung scheue aber nicht davor zurück, den Unterrichtsausfall weiterhin systematisch und transparent zu erfassen und die Probleme klar zu benennen, versicherte sie. Es werde alles getan, um zusätzliche Lehrer zu gewinnen, etwa mit der Qualifizierung von „Ein-Fach-Lehrkräften“ und Seiteneinsteigern.

Darüber hinaus setze das Schulministerium weiter auf die Unterstützung sogenannter Alltagshelfer, die Lehrer von einfachen, nicht pädagogischen Tätigkeiten entlasten sollen. Inzwischen seien fast 1.400 an Grund- und Förderschulen in NRW tätig. Da die Rückmeldungen sehr positiv seien, solle das Modell auf die Klassen 5 und 6 der weiterführenden Schulen ausgeweitet werden. Die bisherigen Maßnahmen für eine verbesserte Unterrichtsversorgung hätten bereits dazu geführt, dass zwischen Dezember 2022 und Dezember 2023 rund 3.900 Stellen zusätzlich besetzt worden seien.

Mit Material der dpa.

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