Verzweifelt: Mutter (82) findet keinen Pflegedienst für ihren Sohn in Bielefeld

Bielefeld. Plötzlich war alles anders im Sommer vor 21 Jahren. Axel Güse, damals 32, hatte gerade den elterlichen Heizungs- und Sanitärbetrieb in Sennestadt übernommen. Er arbeitete viel, war sportlich und genoss sein Leben. Ein tragischer Unfall beim Schwimmen in einem Badesee veränderte alles. &bdquo;So ausweglos wie jetzt war es aber noch nie“, sagt seine Mutter Karin Güse (82). Nachdem ihr Pflegedienst nach mehr als 20 Jahren gekündigt hat, sei einfach kein Ersatz zu finden.

Essen kochen, Wäsche waschen: &bdquo;Ich mache, was ich kann, aber die Pflege schaffe ich einfach nicht allein“, sagt die Rentnerin mit Tränen in den Augen. 20 Jahre lang sei ihr seit dem Unfall querschnittsgelähmter Sohn von einem Bielefelder Anbieter mustergültig versorgt worden. Zu vielen Mitarbeitern habe sich über die Jahre ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt, berichtet Axel Güse. Dann fusionierte der Dienst mit einem größeren. &bdquo;Und wir bekamen zum 30. Juni die Kündigung, weil sich die Bezirke geändert haben.“

Mehr als 25 Pflegedienste habe sie kontaktiert – erfolglos. &bdquo;Erst alle hier bei uns in Sennestadt, dann auch anderswo in der Stadt“, berichtet die 82-Jährige, die selber gesundheitlich angeschlagen ist. &bdquo;Leider keine Kapazitäten mehr, Personal- oder Fachkräftemangel, nicht im Einzugsgebiet“: Das habe die Familie als Begründung immer wieder zu hören bekommen. Über eine Bekannte kam dann der Kontakt zu einem Dienst aus der Innenstadt zustande. Aber aufgrund von Umstrukturierungen sei auch der jetzt wieder abgesprungen.

Verzweifelte Suche nach Unterstützung Erneut haben sie vergebens nach Alternativen gesucht. &bdquo;Wir würden ja auf jeden Fall auch für zusätzliche Fahrtkilometer, -zeiten und Kosten aufkommen, die nicht von der Pflegeversicherung übernommen werden“, unterstreichen Axel und Karin Güse. Trotzdem haben sie bisher keinen Ersatz finden können. Morgens eine Stunde zum Waschen und Anziehen, nachmittags und abends noch mal etwa 20 Minuten: Das sei die Unterstützung, nach der sie &bdquo;wirklich verzweifelt“ suchen. &bdquo;Irgendjemand muss uns doch helfen“, sagt die 82-Jährige.

Die technischen Hilfsmittel, wie beispielsweise Alexa, die ihm auf Befehl den Fernseher anschaltet, seien schon Gold wert, ergänzt ihr Sohn, der 1990 sein Abitur am Hans-Ehrenberg-Gymnasium gemacht und jetzt Pflegestufe fünf hat. Aber für vieles sind eben doch Menschen gefragt. Weil er seine Hände nicht bewegen kann, muss ihm seine Mutter die Kaffeetasse reichen, ihm beim Essen helfen.

Unterstützung für die Nacht, in der Zeit von 22 bis fünf Uhr am nächsten Morgen, hat die Familie ohnehin schon komplett privat organisiert. Der 53-Jährige muss alle drei bis vier Stunden gewendet werden. &bdquo;Das ist alles kein Spaß“, sagt er. 13 Monate Krankenhaus nach dem Unfall im Jahr 2003, vor fünf Jahren noch mal 19 Monate nach einer schweren Operation mit diversen Komplikationen und Folgeschäden: Das habe alles schon Spuren hinterlassen.

Bielefelder Zuhause behindertengerecht ausgebaut Seit dem Unfall lebt Axel Güse wieder zu Hause, hat sich die untere Etage behindertengerecht ausgebaut. So gut es ging, unterstützte er seinen Vater und die Mitarbeiter weiter per Computer im Betrieb. Aber als sein Vater mit 74 Jahren nicht mehr weitermachen konnte, mussten sie das Unternehmen 2013 schließen.

Gern würde er als Dauerkartenbesitzer mal wieder ins Stadion und ein Arminia-Spiel sehen. In guten Zeiten sei das möglich. Oder auch Konzert-, Wein- oder Weihnachtsmarktbesuche mit Freunden. Aktuell aber leider nicht. Da kann nur am Vormittag für wenige Stunden das Bett verlassen und im Rollstuhl sitzen. &bdquo;Den Rest des Tages muss ich liegen“, berichtet der Installateurmeister. &bdquo;Du musst dir auch mal Zeit für dich nehmen“, bekommt Karin Güse immer wieder zu hören. Darüber können sie und ihr Sohn aktuell nur bitter lachen.

Wie mehrfach berichtet, hat sich die Versorgungssituation in Bielefeld in der vergangenen Zeit weiter zugespitzt, weil mehrere Pflegedienste und Einrichtungen weggebrochen sind. &bdquo;In der ambulanten Pflege gibt es leider immer wieder mal die Situation, dass ein geeigneter Pflegedienst nur schwer zu finden ist“, sagt Sozialdezernent Ingo Nürnberger auf Nachfrage. Da müssten Pflegebedürftige und ihre Angehörigen oftmals Abstriche in Kauf nehmen – zum Beispiel bei der konkreten Einsatzzeit. Manche Pflegesituation brauche spezielles Fachpersonal, das beim Träger vorhanden sein muss. Das Pflegeportal der Stadt weise für Bielefeld aktuell einige Kapazitäten aus, &bdquo;aber wie gesagt, nicht in jedem Fall können diese helfen“, ergänzt Nürnberger.

Ambulante Pflege sei ein harter Job, die zeitlichen Vorgaben für die Tätigkeit sehr eng. &bdquo;Fachkräfte dafür zu finden, ist mittlerweile echt ein Problem.“ In den Außenbereichen der Stadt gebe es tendenziell mehr Versorgungsengpässe als in der Innenstadt, weil die ambulanten Träger ihre Einsatzrouten unter dem wirtschaftlichen Druck und dem knappen Personal sehr effizient planen müssten. &bdquo;Wir thematisieren diese Probleme in unserem Bielefelder Aktionsbündnis und unserem Arbeitskreis Ambulante Pflege“, ergänzt Nürnberger.

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