Barrieren in Bielefeld: So diskriminierend ist das Leben mit Assistenzhund

Bielefeld. Labrador Paul trägt Geschirr, Herrchen Andreas einen weißen Stock. Eigentlich eindeutig, was hier los ist. Andreas Bruder hat mit 28 Jahren sein Augenlicht verloren. Das Sehen hat Assistent Paul vor 11 Jahren übernommen. Viele verstehen das nicht und machen dem Paar das Leben schwer. Doch jetzt soll in Bielefeld alles besser werden - die Stadt wird assistenzhundefreundlich. Wir haben einen kleinen Rundgang durch die Stadt unternommen. Das ist ohne Augenlicht nichts für schwache Nerven.

Als Paul am Mittag an der Haltestelle Rathaus mit seinem Herrchen aus der Stadtbahn tritt, schaut er so lieb und flauschig aus, dass man ihn durchkraulen möchte. Dass der 14 Jahre alte Rüde gerade hoch konzentriert einen Menschen durch die Großstadt bugsiert, ahnen die wenigsten.

&bdquo;Jede Störung unterbricht die Konzentration“, sagt Andreas Bruder. Und das kann etwa an einer Ampel oder Bushaltestelle gefährlich werden. Manche Hundehalter lassen ihre Tiere zu Paul laufen und wundern sich, wenn Andreas Bruder sich das verbittet. Paul ist auch nur ein Mensch – mit einer Schwäche, insbesondere für schöne Damen. Da werden Herrchen Andreas’ Bedürfnisse erst mal zweitrangig.

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Hundeausbildung kostet bis zu 30.000 Euro

Vor allen Dingen ist Paul aber ein wertvoller Helfer. Die Ausbildung eines Assistenzhundes kostet zwischen 10.000 und 30.000 Euro. Bislang können die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für Blindenführhunde übernehmen, sofern ein solcher Assistenzhund medizinisch erforderlich ist. Entsprechend gilt der Blindenführhund als Hilfsmittel. Andere Assistenzhunde sind bislang nicht in den Hilfsmittelkatalog der Krankenkassen aufgenommen.

Sobald Paul in sein Geschirr schlüpft, wird aus dem Knuddelgesicht der Berufstätige. Aus Altersgründen aktuell aber nur noch in Teilzeit. Weil Andreas Bruder sich in der Gegend auskennt – er ist Mitglied im Beirat für Behindertenfragen mit eigenem Büro im Rathaus – kennt er die Umgebung grob und weiß, in der Nähe gibt’s einen Zebrastreifen. Auf das Stichwort &bdquo;Zebrastreifen“ führt Paul ihn ebendort über die Straße. Weiter geht’s am Rathaus mit &bdquo;Eingang“ und &bdquo;Aufzug“. Paul ist Profi. Hier kennt man die beiden, Probleme gibt’s selten.

Anderswo schon. Ein Arzt hat Paul einmal nicht reinlassen wollen, trotz eines Notfalls. Andreas Bruder musste seinen Sohn in der Praxis dringend untersuchen lassen. Doch Paulchen sollte draußen warten. Hochproblematisch auch der Umgang mit Taxifahrern. Eigentlich verpflichtet, Assistenzhunde kostenlos zu chauffieren, weigerten sich die meisten, Assistenzhunde mitzunehmen - unter fadenscheinigen Ausreden. Andreas Bruder hat nach fast 30 Jahren Leben als Blinder in Bielefeld inzwischen seine Spezis, die er jederzeit anrufen kann. Schön sei das aber alles nicht.

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Probleme in Bielefelder Geschäften

Auch der Handyfokus der meisten Menschen auf der Straße bringt Probleme: Leute stehen im Weg, erkennen nicht, womit sie es zu tun haben. Trotz des Schriftzugs auf Pauls Geschirr, trotz des Blindenstocks. &bdquo;Ein Vater erklärte einmal seinem Sohn, das Geschirr diene dem Zweck, dass ich den Hund trage, wenn er nicht mehr kann.“ Paul wiegt 34 Kilo. Das ist übersichtlich für einen Labrador (die zu dezentem Übergewicht neigen!), aber kaum tragbar.

In die meisten Geschäfte darf Paul rein, andere Begleithunde aber nicht. Das Problem: Sie sind als solche oft nicht zu erkennen. Diabetikerwarnhunde oder Epilepsiewarnhunde tragen keine Abzeichen, Erkennungsmerkmale wie Blindenstock oder Geschirr fallen weg. Da kommt es oft zu unschönen Szenen bis hin zu Rausschmissen. Doch all dies soll nun besser werden. Ab Januar 2025 bekommen die Halter dieser Hunde einen Ausweis. Und Bielefeld wird assistenzhundefreundliche Stadt.

Bedeutet: Die Stadtverwaltung plant, für alle städtischen Gebäude die Zutrittsrechte für Assistenzhunde zu erlauben. Das soll etwa über Aufkleber an den Eingangstüren umgesetzt werden. Zudem sollen Mitarbeitende in öffentlichen Einrichtungen und Geschäftsleute für das Thema sensibilisiert werden. Orte, an denen Assistenzhunde willkommen sind, sollen außerdem über eine interaktive Onlinekarte abrufbar sein. &bdquo;Ein großer Schritt in Richtung Inklusion“, findet Andreas Bruder. Paul indes ist das alles wurscht - Hauptsache, er bekommt ein Stück getrocknetes Hühnchen, wenn er sein Herrchen mal wieder vor dem Schlimmsten bewahrt.

Schwerer Chemieunfall

Dr. Andreas Bruder (56) ist Vorsitzender des Blinden-Vereins Bielefeld und Vater von drei Söhnen. Er war beruflich Wissenschaftler und Chemiker und ist jetzt in Rente. Mit 28 Jahren erblindete er nach einem schweren Arbeitsunfall im Forschungslabor der Universität Bielefeld.

Bei einem Versuch 1995 explodierte ein sogenannter Rotationsverdampfer. Bruder erlitt eine perforierende Augenverletzung, wurde 27 Mal operiert. Sein rechtes Auge wurde letztlich durch ein Glasauge ersetzt. Das andere Auge nimmt nur noch starke Lichteinwirkungen wahr. Es folgte eine komplette Lebensumstellung.

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