Nach Corona-Impfung: Wie ein Löhner gegen die Rentenversicherung kämpfte und gewann

Löhne. Sein schönstes Weihnachtsgeschenk hält Martin T. (Name geändert) schon seit einigen Wochen in den Händen. Denn der Rentenbescheid, der ihm Anfang Dezember zugestellt wurde, bedeutet für ihn auch das vorläufige Ende einer langen Leidensgeschichte. Sie begann in der Coronapandemie, führte zu einer schweren Erkrankung, verbrauchte einen Großteil seiner Rücklagen, zog mehrere Rehas nach sich und gipfelte schließlich in einem kräftezehrenden Streit mit der Deutschen Rentenversicherung. Viele Monate später sagt der Löhner voller Genugtuung: &bdquo;Ich habe den Kampf gewonnen – und möchte anderen Mut machen.“

Martin T.s Gefecht beginnt im März 2021 im Gesundheitssektor. Als IT-Fachmann arbeitet er zu diesem Zeitpunkt in einem niedersächsischen Krankenhaus, längst hat ein Virus das Leben von Millionen Menschen weltweit auf den Kopf gestellt. Und als nach einer gefühlten Ewigkeit erstmals ein Impfstoff gegen Covid-19 entwickelt wird, ist er einer der Ersten, die sich immunisieren lassen. &bdquo;In einem Krankenhaus müssen wir uns schließlich gegenseitig schützen“, sagt er noch heute. Und das, obwohl er mittlerweile weiß, dass die seinerzeit verabreichte Spritze nicht nur ein Vakzin freisetzen sollte, sondern in der Folge auch etliche Beschwerden und Auseinandersetzungen.

Eine seltene Erkrankung? Tatsächlich gehört Martin T. zu einem vergleichsweise kleinen Kreis von Erkrankten. Man könnte auch sagen: zu einem klein gehaltenen Kreis. Denn offiziell stellen seine Beschwerden keine klar definierte Krankheit dar. &bdquo;Post-Vac“ nennt sich das Syndrom, bei dem langandauernde Impfkomplikationen nach Covid 19-Impfungen auftreten, ohne dass die Betroffenen zuvor mit Corona infiziert waren.

Das Problem: Es liegen kaum Studien vor, die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Impfung und typischen Beschwerden belegen. Hypothesen werden in der Wissenschaft zwar durchaus diskutiert, ein einheitliches Krankheitsbild aber ist – zumindest laut Paul-Ehrlich-Institut – nicht erkennbar.

Betroffene aber berichten fast durchgehend von ähnlichen Symptomen. Martin T. etwa klagt schon kurz nach seiner ersten Impfung über ein Mattigkeitsgefühl in Schenkeln und Armen, zudem hat er mit Müdigkeitsanfällen und Konzentrationsproblemen zu kämpfen. Nach einer Auffrischung im Mai 2021 werden die Beschwerden schlimmer. Im Juli zieht er die Reißleine und lässt sich in seinem Krankenhaus neurologisch untersuchen. Einen Monat später erhält er seine Diagnose: Martin T. leidet an einer Polyneuropathie und einem chronischen Fatigue-Syndrom, also einer Erkrankung des Nervensystems und einer ausgeprägten Entkräftung des Körpers.

Die Symptome schlagen zu Bei Martin T. äußert sich das noch heute: Zittrige Finger, einschlafende Hände, schmerzendes Knie, verschwommener Blick, brennende Gelenke. Dazu: Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, nachlassende Belastbarkeit und anhaltende Müdigkeit. Bücher oder Filme kann er allenfalls häppchenweise konsumieren, Spaziergänge mit dem Hund muss er frühzeitig abbrechen, längere Autofahrten sind nahezu unmöglich.

Auch arbeiten kann Martin T. schon lange nicht mehr. Im Juli 2021 wird er als arbeitsunfähig entlassen. Noch hat er die Hoffnung auf gesundheitliche Verbesserung zu diesem Zeitpunkt nicht aufgegeben. Eine erste Reha muss er Anfang 2022 nach zehn Tagen wegen einer Coronainfektion abbrechen, eine zweite wird ihm im Mai genehmigt. Mehrfach wird er dabei kognitiv getestet, befragt, beobachtet und untersucht.

Der Kampf mit der Versicherung beginnt Die Hoffnung verfliegt, als Martin T. schließlich seinen Entlassbrief in den Händen hält. Sowohl für seine Tätigkeit als IT-Referent als auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt, so heißt es dort, könne &bdquo; kein positives Leistungsbild“ formuliert werden. Der wenig überraschende Grund: Einschränkungen im Bereich der Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistungen. Das Prädikat &bdquo;arbeitsunfähig“ ist für Martin T. damit bittere Realität.

Nicht aber für die Deutsche Rentenversicherung (DRV). Bei der reicht der Löhner einen Monat später einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente ein, die laut Sozialgesetzbuch jedem zusteht, der wegen Krankheit nicht in der Lage ist, mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten. &bdquo;Genau das wurde mir im Entlassbrief schwarz auf weiß attestiert“, sagt er. S tatt eines Bescheids aber erhält Martin T. lediglich die Aufforderung, sich weiteren Tests zu unterziehen. Dem kommt T. auch nach, besucht zunächst die DRV in Bielefeld, im Februar 2023 auch einen Gutachter in Bad Salzuflen – und erhält wenige Tage später den Ablehnungsbescheid der DRV.

Die DRV sieht die Sache anders Auf Nachfrage der Neuen Westfälischen begründet die DRV Westfalen ihre Entscheidung mit einer eigenen &bdquo;umfangreichen medizinischen Sachaufklärung“. Die Reha-Diagnose sei dabei nur ein Faktor von vielen, sagt Pressesprecher Markus Kloppenburg. &bdquo;Die ist zwar wichtig, sagt aber wenig über die tatsächliche Leistungsfähigkeit eines Patienten aus“, erklärt er. Bei Martin T. sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass seine Leistungsfähigkeit zwar herabgesetzt sei, er aber &bdquo;mindestens sechs Stunden täglich mittelschwere Arbeiten“ verrichten könne.

Mit der Lebenswirklichkeit des Löhner stimmt das keineswegs überein. &bdquo;Schön wäre es ja“, sagt er. &bdquo;Denn ich würde eigentlich gerne wieder arbeiten.“ Nicht nur, aber auch aus finanziellen Gründen. Schon Ende 2022 sei sein Anspruch auf Krankengeld ausgelaufen, seit Juli dieses Jahres kommt auch kein Arbeitslosengeld mehr. &bdquo;Wovon soll ich leben?“, fragt Markus T., der einen Großteil seiner Rücklagen bereits notgedrungen aufzehren musste.

Bei der DRV beißt er allerdings vorerst weiter auf Granit. Seinen Widerspruch lehnt die Versicherung im Mai 2024 ab – und zieht auch die bereits erfolgte Genehmigung einer weiteren Reha wieder zurück, nachdem T. diese wegen einer Influenza-Infektion schon nach wenigen Tagen abbrechen musste. &bdquo;In der Gesamtschau verbleiben unsere Sozialmediziner bei der Leistungseinschätzung“, begründet Kloppenburg die Entscheidung. Immerhin: Unmittelbar nach seinem Gespräch mit der Redaktion bewilligt die DRV Martin T. doch noch eine Reha. Der ist zwar in der Zwischenzeit vors Sozialgericht Detmold gezogen, wartet zu diesem Zeitpunkt aber noch auf eine Eröffnung des Verfahrens.

Happy-End mit Befristung Zu dem kommt es am Ende aber doch nicht mehr. Im Juli dieses Jahres wird Martin T. mit eindeutigem Befund aus der Reha entlassen. Nach wie vor kommen die Mediziner zu dem Schluss, dass der Löhner nicht arbeitsfähig sei. Erst jetzt gibt die DRV ihren Widerstand auf, verzichtet auf weitere Untersuchungen. Anfang Dezember hält Martin T. seinen lang ersehnten Rentenbescheid schließlich in den Händen. &bdquo;Endlich“, wie er erleichtert sagt.

Dreieinhalb Jahre sind mittlerweile vergangen, seit die Geschichte ins Rollen gekommen ist. Dreieinhalb Jahre voller Torturen, Rückschläge und bürokratischer Hindernisse haben nun ein Ende gefunden. Ein vorläufiges, wohlgemerkt. &bdquo;Der Bescheid gilt rückwirkend, ist aber zunächst bis Anfang 2026 befristet“, sagt Martin T.. Ein Hintertürchen, das sich die DRV offen hält, um den Löhner vielleicht irgendwann doch noch zurück in den Arbeitsmarkt zu bringen. &bdquo;Aber damit kann ich gut leben.“

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