„Das ist unglaublich“: Warum diese Kommunalpolitiker ihr Amt abgeben wollen

Düsseldorf/Bielefeld. Wenn am 14. September in NRW gewählt wird, dann geht es in der Region Ostwestfalen-Lippe mit ihren rund zwei Millionen Menschen um die Vergabe von mehr als 70 kommunalen Ämtern – darunter knapp 70 Bürgermeister-Posten sowie fünf Landratsämter in den Kreisen Paderborn, Höxter, Lippe, Herford, Gütersloh sowie in der kreisfreien Stadt Bielefeld. In Minden-Lübbecke wurde Ali Dogan erst Anfang 2023 zum Landrat gewählt; und muss sich jetzt keiner Wahl stellen. Gleiches gilt für Gütersloh, wo Matthias Trepper erst seit Jahresende regiert. Zudem werden aber die kommunalen Parlamente, also die Räte und Kreistage, gewählt.

Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Bürgermeistern und Landräten. Nach einer aktuellen Auswertung dieser Redaktion wollen 53 Amtsinhaberinnen und Amtsinhaber erneut kandidieren, während 21 aufhören und sich keiner Wiederwahl stellen wollen. Damit herrscht in Ostwestfalen-Lippe vergleichsweise eine recht große personelle Konstanz. Das ist nicht überall der Fall. In der Region Köln-Bonn mit ihren rund drei Millionen Einwohnern treten zum Beispiel nach aktuellem Stand 25 kommunale Amtsträger nicht mehr an, während sich 33 um eine Wiederwahl bewerben.

Über die Gründe, weshalb sie nicht erneut antreten wollen, sprechen einige Amtsträger nur vertraulich. Sie berichten dann mitunter von großer Frustration angesichts klammer Kassen und nervtötender Bürokratie. Doch auch eine zunehmende Schärfe im gesellschaftlichen Diskurs – vor allem im Internet – wird von einigen als Beweggrund angeführt. So berichtet eine Bürgermeisterin beispielsweise im Gespräch davon, dass ihr nachts Körbe mit Altglas vor die Haustür gestellt wurden, versehen mit dem Schild: &bdquo;Steuern kassieren, aber Flaschen nicht abholen, vielen Dank für Ihr Interesse. Ein wütender Bürger“.

Trotz dieser Negativ-Ereignisse verweisen viele Amtsträger darauf, dass sie das Privileg genießen durften, Projekte und Ereignisse konkret anzuschieben. Das werde aber immer schwieriger.

Jörg Bierwirth (58 Jahre/parteilos), seit 2015 Bürgermeister der Stadt Schieder-Schwalenberg im Kreis Lippe &bdquo;Ich sehe die Gefahr, zu wenig gestalten zu können und zu viel verwalten zu müssen. Unter diesen Rahmenbedingungen kann ich einfach nicht mehr weitermachen. Ausschlaggebend für meinen Entschluss ist eine tief sitzende Enttäuschung über die Bundes- und Landespolitik. Was auf die Kommunen zukommt, ist unglaublich.

Ein großer Anteil der finanziellen Belastungen sind Sozialausgaben, die uns um die Ohren fliegen. Wir führen 40 Prozent unserer Erträge an den Kreis ab. Durch das Umlagesystem landen die Defizite konzentriert bei den Städten und Gemeinden. Früher hatten wir als Kommune meist ein finanzielles Defizit von 1,8 bis 2,4 Milliarden Euro pro Jahr. Im ersten Halbjahr 2024 waren es vier Milliarden Euro.

Ich war früher 17 Jahre Kämmerer, ich kenne das Geschäft – und kann sagen: Die Finanzkrise 2008/09 war ein Kindergeburtstag gegen das, was wir jetzt erleben. So etwas ist noch nie dagewesen. Wir haben seit Jahren davor gewarnt, aber wurden nicht gehört.

Die Krise ist politisch verursacht, hinzu kommt die Wirtschaftskrise. Die wirklichen Entscheidungen werden in Berlin getroffen. Wir müssen bezahlen, dürfen aber nicht mitreden. Berlin entscheidet, die Kommune leidet. Das alles ist in Summe demokratiegefährdend. Die Leute sind frustriert, Ratsmitglieder schmeißen die Brocken und finden keine jungen Leute mehr, die das machen wollen.“

Jürgen Müller (65 Jahre/SPD), seit 2015 Landrat des Kreises Herford &bdquo;Ich bin nun 65 Jahre alt und habe zehn intensive Jahre als Landrat in Herford hinter mir. Mir hat das unheimlich viel Spaß gemacht, und ich konnte viel gestalten. Aber meine Familie, vor allem meine Frau, musste auf viel verzichten. Mit ihr möchte ich künftig wieder mehr Zeit verbringen. Das ist ein Hauptgrund, warum ich nicht erneut kandidiere . Zugleich stelle ich mir die Frage, ob es richtig ist, mit fast 70 Jahren Politik für 20-Jährige zu machen. Ich habe mich gefragt, ob ich in meinem Alter noch in der Lage bin, die Bedürfnisse einer viel jüngeren Generation zu erkennen – und in politische Entscheidungen umzumünzen. Ich glaube, da kommt man an gewisse Grenzen. Das hat durchaus zu meiner Entscheidung beigetragen.

Ob ein kommunaler Amtsträger nun 35 oder 55 Jahre alt sein sollte, um das Amt auszuführen, spielt hingegen in meinen Augen keine große Rolle. Ich selbst war mit 45 Jahren noch nicht so weit, um für diese Tätigkeit ausreichend vorbereitet zu sein. Man muss wissen, dass ein Bürgermeister oder Landrat durchaus 90 Stunden in der Woche arbeitet. Da ist es wichtig, dass man sich gut organisiert, Abläufe kennt sowie viel Know-how und ein großes Netzwerk hat, um manchmal auch Dinge über den kurzen Dienstweg zu lösen.

Ich starte um 7 Uhr morgens und habe oft noch Abendtermine um 21 Uhr. Wenn man so einen Alltag aber – wie ich – nicht als Belastung wahrnimmt, ist das kein Problem. Auch die Sozialen Medien habe ich nicht als negativ empfunden. Von größeren Anfeindungen bin ich ebenfalls verschont geblieben. Was sich aber verändert hat, sind die Botschaften. Ich habe den Eindruck, dass in der Bevölkerung zunehmend Wert darauf gelegt wird, wie sich ein Bürgermeister oder Landrat vermarktet.

Was den politischen Nachwuchs betrifft, so bin ich optimistisch. Herausfordernd bleibt aber ein Punkt: Was machen junge Amtsträger, die nicht aus der Verwaltung kommen und nach fünf Jahren wieder zurück in ihren früheren Beruf wollen? Ich glaube, diese Frage haben viele junge Leute im Hinterkopf. Da müssen wir nach Lösungen suchen.“

Dirk Buschmann (57 Jahre/parteilos), seit 2015 Bürgermeister der Gemeinde Hünxe im Kreis Wesel &bdquo;In den vergangenen Jahren habe ich immer wieder erlebt, wie herausfordernd kommunales Arbeiten geworden ist – gerade bei größeren Projekten wie dem Bau einer Turnhalle oder der Umgestaltung des Marktplatzes. Die Verfahren sind langwierig, die Anforderungen komplex und die Bürokratie wächst stetig. Das alles verzögert die Umsetzung spürbar – zum Nachteil der Menschen vor Ort, aber auch mit zunehmender Frustration für diejenigen, die Verantwortung tragen.

Ich spüre, wie sehr mich das auch persönlich beschäftigt – teilweise bis in die Nacht. Mein Anspruch an gute Arbeit, mein Pflichtgefühl gegenüber der Gemeinde und der Wunsch nach sichtbaren Fortschritten stehen dabei oft im Spannungsverhältnis zur Realität des Verwaltungsalltags. In den sozialen Medien prallen Meinungen und Emotionen häufig ungebremst aufeinander. Kritik gehört dazu, keine Frage. Aber manchmal wünsche ich mir ein Mindestmaß an gegenseitigem Respekt, auch gegenüber dem Engagement, das hinter kommunalem Ehren- oder Hauptamt steht.

Mir ist klar geworden, dass ich meine verbleibende Lebenszeit stärker auf das richten möchte, was mir Kraft gibt und Sinn stiftet. Dieser Entschluss ist nicht über Nacht gefallen – sondern in den letzten zwei, drei Jahren gereift. Ich will aktiv gestalten können und nicht ausschließlich mit dem Abbau von Hürden beschäftigt sein.

Ich habe Verständnis für jede und jeden, die sich unter diesen Bedingungen schwertun, sich weiter in kommunale Verantwortung zu begeben. Dabei will ich niemandem den schwarzen Peter zuschieben – es gibt viele engagierte Menschen, auch in der Landes- und Bundespolitik. Bei Kommunalministerin Scharrenbach sehe ich großes Engagement und ein offenes Ohr für die Kommunen. In anderen Bereichen jedoch fehlt es aus meiner Sicht an Praxisnähe und Orientierung an den tatsächlichen Herausforderungen vor Ort.

Ich nehme wahr, dass viele Kommunen sich in schwierigen Lagen oft alleingelassen fühlen – und dass die öffentliche Aufmerksamkeit für diese strukturellen Probleme eher gering ist. Das zu ändern, bleibt eine wichtige Aufgabe.“

Rolf Schumacher (63 Jahre/CDU), seit 2009 Bürgermeister der Gemeinde Alfter im Rhein-Sieg-Kreis &bdquo;Viele Bürgermeister haben nicht damit gerechnet, was an der Tätigkeit alles dranhängt: Sie steuern einen Rat, repräsentieren die Gemeinde gegenüber der Bevölkerung und sie leiten die Verwaltung. Bei uns sind das 200 Mitarbeiter. Man muss als Bürgermeister Mehrheiten organisieren können, das ist kein Zuckerschlecken. Es gibt seit einigen Jahren verstärkt parteilose Bürgermeister, die keinerlei Einbindung in die Parteienlandschaft haben. Im neuen Amt merken sie, wie schwierig das ist. Das schreckt insgesamt viele Leute ab – einige steigen dann nach einer Legislatur wieder aus – und fragen mich: Wie schaffst du das 16 Jahre?!

Damals hatte ich eine Idee, wo die Kommune hinsteuern sollte. Vieles konnte ich umsetzen, aber es kommt immer Neues dazu. Man braucht ein, zwei Jahre, um überhaupt zu verstehen, wie die Mechanismen ablaufen. Deshalb braucht man eigentlich mindestens zwei Wahlperioden, wenn man in einer Kommune wirklich etwas bewegen will. Fünf Jahre sind zu wenig. Allein der Bau einer Kita dauert ja drei Jahre, wenn es richtig gut läuft. Herausforderungen wie Corona, das Hochwasser, der Ukraine-Krieg und die erforderliche Aufnahme von Geflüchteten erhöhen den Druck vor Ort massiv. Die Dinge werden also schwieriger, zugleich wird das Geld weniger, weil der Bund Dinge bestellt, die wir zahlen müssen.

Hinzu kommt die Arbeitsbelastung. 7 Tage die Woche, von 7.30 bis 21.30 Uhr, kann man nichts anderes planen als die Arbeit in der Kommune. Das schaffe ich heute altersbedingt nicht mehr so wie früher. Aber: Ich habe meinen Traumberuf gefunden, in kaum einem anderen ist man so einer Themenvielfalt ausgesetzt und kann so viel vor Ort gestalten. Dieses Privileg haben nicht viele Menschen auf dieser Welt. Und es ist gut zu wissen, dass es hier Bewerber um die Nachfolge geben wird. Dann kann ich nun mit gutem Gewissen eine längere Pause machen und schauen, ob ich in Zukunft noch eine berufliche oder ehrenamtliche Herausforderung suche.“

Eckhard Ruthemeyer (64 Jahre/CDU), seit 1999 Bürgermeister der Stadt Soest &bdquo;Ich bin dankbar, das Amt des Bürgermeisters der Stadt Soest 26 Jahre lang mit Unterstützung der Bürgerschaft erfolgreich ausüben zu dürfen.

Einen Wechsel im Amt finde ich nach dieser doch recht langen Amtszeit angemessen. Neben diesem Aspekt spielten bei der Entscheidungsfindung hinsichtlich einer möglichen nochmaligen Kandidatur als Bürgermeister auch die derzeit ungünstigen finanziellen Prognosen für die Kommunen eine Rolle.

Die Entscheidung, mich als Bürgermeister nicht aktiv in den sozialen Medien zu bewegen, habe ich nach Abwägung aller Vor- und Nachteile bewusst getroffen.“

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