Vater von vermisster Paderbornerin: „Solange man nichts findet, kann sie noch leben“

Paderborn. Vor fünf Jahren - am 10. September 2020 - verschwand die damals 26-jährige Scarlett S. aus Bad Lippspringe beim Wandern im Schwarzwald. Sie war auf der sechsten Etappe des Schluchtensteigs unterwegs, erreichte aber nie den Zielort. Alle Suchmaßnahmen liefen ins Leere, von der jungen Frau fehlt bis heute jede Spur. Ihr Vater Ralf S. lässt nichts unversucht, Klarheit über das Schicksal seiner Tochter zu erlangen. Zum fünften Jahrestag ihres Verschwindens erinnert er sich an den Tag des Verschwindens und verrät, warum er nicht aufhören kann, nach Scarlett zu suchen.

Seit dem 10. September 2020 wird ihre Tochter Scarlett vermisst. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Ralf S.: Es ist immer noch wie am ersten Tag, als wäre es erst gestern passiert. Nach dem ersten Anruf ihrer Freundin, die auf sie gewartet hatte, hatten wir noch gar keine Gedanken an ein richtiges Verschwinden. Wir haben ja nicht täglich telefoniert. Am zweiten Tag wurden wir dann unruhiger, weil niemand sie erreichen konnte. Da haben wir uns erstmals ernsthaft Gedanken gemacht, und meine Frau hat unsere Tochter dann auch als vermisst gemeldet. Ganz kurzfristig sind wir dann am nächsten Morgen in den Schwarzwald aufgebrochen.

Dort war bei Ihrem Eintreffen schon eine große Suchaktion im Gange.

Ja, als wir das gesehen haben, da wurde uns richtig bewusst, warum die alle dort sind, warum der Hubschrauber am Himmel kreist. Dieser Sonntag war sehr schlimm, weil man selber auch nichts machen konnte.

Wann haben Sie zum ersten Mal daran gedacht, dass die Suche länger dauern könnte?

Wir waren sieben Tage lang in Todtmoos. Am Anfang hatten wir noch Hoffnung: Wenn wir sie heute nicht finden, dann morgen. Aber nach drei, vier Tagen war uns sehr bewusst, was passieren kann: dass man sie vielleicht nicht mehr lebend findet. Ganz schlimm war es dann, als wir nach einer Woche unverrichteter Dinge wieder nach Hause gefahren sind. Dieses Gefühl habe ich eigentlich immer, wenn ich von dort wegfahre. Dann denke ich stets: Du hast es wieder nicht geschafft, deine Tochter zu finden. Jedes Mal.

Wie sehr hat dieser Tag ihr Leben verändert?

Das Leben hat viel von seiner Leichtigkeit und Unbeschwertheit verloren. Das ist einfach weg. Man kann nicht einfach so tun, als ob die Welt in Ordnung ist. Das gelingt mir nicht. Diese Gedanken sind permanent da. Man kann das nicht ignorieren; ich denke ständig an Scarlett. Wenn ich eine junge Frau sehe, die meiner Tochter ähnelt, dann überlege ich sofort: Warum ist dein Leben anders gelaufen?

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Seit damals sind fünf Jahre vergangen. Wie werden Sie den Jahrestag von Scarletts Verschwinden verbringen?

Der 10. September ist ein Mittwoch. Ich werde am Wochenende darauf im Schwarzwald sein. Wir werden auf jeden Fall wieder Scarletts letzte Etappe laufen. Teilweise gehen wir auch getrennt, wenn es in der Nähe des Steigs vielleicht noch ein Gebiet gibt, wo noch nicht gesucht wurde. Dann nimmt sich eine Gruppe diesen Bereich vor. Und wir haben ja diese Wandersteine mit Scarletts Bild und dem Suchaufruf drauf, von denen wir neue anfertigen werden, um sie auszulegen. Außerdem tauschen wir alte Suchplakate aus.

Immer wieder hat es Suchaktionen gegeben, es gingen – teils auch obskure – Hinweise ein, vielfach wurde über den Fall berichtet. Alles ohne Ergebnis. Wie bewahren Sie dennoch die Hoffnung?

Indem man nach jedem einzelnen Strohhalm greift. Auch wenn meistens nichts dran ist, werden wir solche Hinweise nicht ignorieren. Auf gar keinen Fall. Ich kann nicht aufhören. Wie soll man das auch tun? Ich bin es gewohnt, Dinge zu Ende zu bringen. Wenn ich etwas suche, dann höre ich nicht auf. Und bisher habe ich alles gefunden. Nur bei meiner Tochter gelingt es nicht.

Trauriger Jahrestag: Verzweifelte Suche nach Scarlett S.

Was möchten Sie Menschen sagen, die vielleicht etwas zu wissen meinen, aber zögern, sich zu melden?

Gar nicht zögern! Mir sind zwanzig falsche Hinweise lieber als gar keine. Und das kann man ja wirklich erst feststellen, wenn man nachguckt.

Wie groß ist Ihre Hoffnung, Scarlett wiederzusehen?

Das ist von allen Möglichkeiten die beste und größte Hoffnung, die man haben kann. Vielleicht ist es aber auch nur Wunschdenken. Ich sage immer: Solange man nichts findet, kann sie noch leben. Aber vielleicht findet man auch einfach nur nichts. Es würde mir jetzt aber auch keine Gewissheit bringen, wenn man Scarlett einfach tot auffinden würde. Für mich besteht die erst dann, wenn man genau weiß, wer dafür verantwortlich ist und er bestraft wird.

Sie glauben also an ein Verbrechen und keinen Unfall?

Da ist alles gut abgesucht worden, mit Bergwacht, Abseilen und Drohnen. Und es ist nie etwas gefunden worden. Für einen Unfall besteht deshalb meiner Meinung nach nur eine fünfprozentige Wahrscheinlichkeit. Es ist leider sehr gut möglich, dass Scarlett irgendwie in ein Auto gekommen ist. Und dann wird auch der Suchradius nahezu unendlich. Da kann man den Weg auch 1.000 Jahre absuchen.

Wie lange werden Sie weitersuchen?

Solange ich kann. Wie soll ich denn damit aufhören können? Ich kann nicht sagen: So, das war es jetzt. Das ist auch immer meine Angst im Hinterkopf: Ist es irgendwann so, dass du bis an dein Lebensende nicht weißt, was mit deiner Tochter passiert ist? Solange ich irgendwie dazu in der Lage bin, werde ich das weiter machen.

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